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Warum eine unscheinbare Änderung des NRW-Schulgesetzes wohl das endgültige Ende der Hauptschule einläutet

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DÜSSELDORF. Was tun mit Schülerinnen und Schülern, die in der Unterstufe an der Realschule scheitern – und auf die Hauptschule wechseln müssten, wenn es doch immer weniger Hauptschulen gibt? Die geplante Lösung der schwarz-grünen Landesregierung von Nordrhein-Westfalen: Sie sollen auf der Realschule in ihren Klassen bleiben – in einem Hauptschul-Bildungsgang. Der Verband lehrer nrw (der Realschullehrer vertritt) spricht von einer „pädagogischen Verirrung“. Die GEW begrüßt die Änderung hingegen. Sie sieht damit das endgültige Ende der Schulform Hauptschule heraufziehen.

Ende absehbar? Illustration: Shutterstock

„Mit dem 17. Schulrechtsänderungsgesetz schlägt die schwarz-grüne Landesregierung einen pädagogischen Irrweg ein“, so heißt es in einer Pressemitteilung von lehrer nrw. Bei der Expertenanhörung zum Gesetzentwurf übte der lehrer nrw-Vorsitzende Sven Christoffer scharfe Kritik. Hoch problematisch ist aus seiner Sicht, dass der Schulträger an Realschulen dann dauerhaft einen Bildungsgang ab Klasse 7 einrichten kann, der zu den Abschlüssen der Hauptschule führt. Die Schülerinnen und Schüler im Hauptschul-Bildungsgang werden im Klassenverband mit Schülerinnen und Schülern des Bildungsganges Realschule unterrichtet.

Aktuell gibt es laut lehrer nrw bereits 18 Realschulen mit Hauptschulbildungsgang in Nordrhein-Westfalen. „Die Möglichkeit, in einer Klasse Kinder parallel nach zwei völlig unterschiedlichen Lehrplänen zu unterrichten, war vor zehn Jahren das Ergebnis eines halbherzigen politischen Kompromisses. Politische Erwägungen hatten seinerzeit Vorrang vor pädagogischen. Die einfache Formel ‚eine Klasse, ein Lehrplan, ein Schulbuch‘ wurde über Bord geworfen“, kritisiert Christoffer.

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„Diese in den Strukturen angelegte Überforderung verhindert Unterrichtsqualität. Wer das negiert, hat niemals vor einer Klasse gestanden“

„Leidtragende dieser pädagogischen Verirrung sind die Lehrkräfte, die parallel unterschiedliche Unterrichtsgegenstände behandeln und Lerninhalte vermitteln müssen. Diese in den Strukturen angelegte Überforderung verhindert Unterrichtsqualität. Wer das negiert, hat niemals vor einer Klasse gestanden.“ Betroffene seien aber auch die Schülerinnen und Schüler, die unter schlechteren Bedingungen lernen müssten. Der Verband hält es für zwingend erforderlich, dass die Landesregierung den Realschulen mit Hauptschulbildungsgang die Bildung eigener Hauptschulklassen ermöglicht – getrennt eben von den Realschülern.

„Mit der nun geplanten Institutionalisierung der Realschulen mit Hauptschulbildungsgang im Schulgesetz würde die Landesregierung eine untaugliche Übergangsregelung in eine untaugliche Dauerregelung überführen“, meint Christoffer. „Es ist vollkommen absurd, das differenzierte Schulsystem erhalten zu wollen, indem man die Realschulen mit Hauptschulbildungsgang dazu zwingt, integriert zu unterrichten. Wer trotzdem einen solchen Ansatz verfolgt, muss diesen Realschulen dann aber zumindest die weitaus günstigeren Rahmenbedingungen der integrierten Schulformen zur Verfügung stellen. Das umfasst ein geringeres Pflichtstundendeputat der Lehrkräfte, eine günstigere Lehrer-Schüler-Relation und mehr Funktionsstellen. Länger gemeinsam lernen zu Realschulkonditionen ist mit meinem Verständnis von Gleichbehandlung nicht in Einklang zu bringen.“

„Die Stundendeputate der Lehrkräfte an den Realschulen müssten in Folge der Gesetzesänderung von derzeit 28 Stunden auf 25,5 Stunden reduziert werden“

Die GEW begrüßt die Neuregelung – unter Vorbehalt. „Für die Schüler*innen ist diese Entwicklung sicherlich positiv zu bewerten, ihnen wird ein Schulwechsel und die Erfahrung der ‘Abschulung’ erspart – das deckt sich mit unserer grundsätzlichen Haltung, dass jede Schule aufgenommene Schüler*innen zu einem ersten Abschluss führen sollte“, so heißt es in einer Stellungnahme der Gewerkschaft zum Gesetzesentwurf.

Allerdings sei dies wohl kaum die Zielperspektive des vorliegenden Gesetzentwurfes, „da die Idee eines ‚Abschulungsverbotes‘ flächendeckend und schulformübergreifend eingerichtet werden müsste“. Vielmehr dränge sich der Eindruck auf, dass die Landesregierung mit dieser Änderung zwar auf einen Bedarf reagiere, der im schulischen Alltag allgegenwärtig sei – ohne allerdings die Konsequenz für das Schulsystem in Gänze zu ziehen und bildungspolitisch wichtige Veränderungen einzuleiten.

Die Konsequenzen seien absehbar: „Wenn Kommunen nun den Hauptschulbildungsgang grundsätzlich an Realschulen anbieten können, ergibt es aus bildungsplanerischer Sicht kaum mehr Sinn an den Hauptschulen festzuhalten und sich stattdessen auf die Realschulen zu fokussieren. Langfristig wird das Sterben der Schulform Hauptschule auf diese Weise fortgeführt, ohne allerdings mit einer klaren, landesweiten Entscheidung den Weg zu ebnen. Vielmehr wird die Verantwortung auf die Kommunen abgewälzt.“

Damit werde nun „ein Prozess des Ausschleichens der Hauptschulen aus dem Bildungssystem“ eingeleitet. Die angedachten Änderungen „zu Ende gedacht“ könnten bedeuten, perspektivisch auf ein zwei Säulen-Modell zuzulaufen. „Wenngleich die GEW NRW grundsätzlich eine andere schulreformerische Lösung avisiert, wäre das ein bedeutender Schritt für die Schulstruktur in NRW.“

Scharf kritisiert die GEW allerdings – im Einklang mit lehrer nrw –, dass die Rahmenbedingungen, unter denen die Entwicklung vonstattengehen soll, nicht angepasst werden. Durch den vorliegenden Entwurf werde die Arbeitsbelastung für die Lehrkräfte an den Realschulen zusätzlich erhöht, da die innere und äußere Differenzierung einen erheblichen zeitlichen Aufwand erfordert, die Unterrichtsstundenverpflichtung jedoch unverändert bleibt.

Konkret: „Die Stundendeputate der Lehrkräfte an den Realschulen müssten in Folge der Gesetzesänderung von derzeit 28 Stunden auf 25,5 Stunden reduziert werden. Das ist nur ein Beispiel, welches die ungleichen Rahmenbedingungen für die Lehrkräfte an Realschulen belegen soll, sicherlich können noch weitere genannt werden, wie Klassengröße, Schüler-Lehrkräfte-Relation, keine Didaktische Leitung im Schulleitungsteam usw.“, wie es in der Stellungnahme heißt.

Auf den Punkt gebracht: „Die entstehende Mehrarbeit wird nicht aufgefangen in Form einer angedachten Entlastung. Das bedeutet, dass die bereits gelebte strukturelle Mehrarbeit der Beschäftigten erhöht und einkalkuliert zu sein scheint. Dadurch wird die Attraktivität, an einer Realschule zu arbeiten, erheblich sinken.“ News4teachers

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