BIELEFELD. Ein Vorfall während einer Klassenfahrt nach Bergen-Belsen stellt ein Gymnasium – und uns alle, wie der Schulleiter betont – vor unbequeme Fragen.
Es ist ein Ort der Stille, des Gedenkens und der Verantwortung. In der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen erinnern Stelen, Texte und Biografien an die mehr als 50.000 Menschen, die dort während der NS-Zeit ihr Leben verloren. Unter ihnen: Anne Frank, die wohl bekannteste Tagebuchautorin der Welt.
Als Schüler*innen des Bielefelder Helmholtz-Gymnasiums im vergangenen Sommer mit ihren Lehrkräften diesen geschichtsträchtigen Ort besuchen, geschieht das Unfassbare: Einige Jugendliche der neunten Jahrgangsstufe skandieren auf dem zentralen Gedenkplatz „Ausländer raus“ – in Anlehnung an eine rassistisch umgedichtete Version des Partyhits L’amour toujours von Gigi D’Agostino.
Was zunächst nur den aufmerksamen Mitarbeitenden der Gedenkstätte auffällt, zieht bald weitere Kreise. Die begleitenden Lehrkräfte sind in dem Moment anderweitig beschäftigt und bekommen den Vorfall zunächst nicht mit. Erst später wird die Tragweite klar. Der Schulleiter des Gymnasiums greift konsequent durch: Er zeigt die beteiligten Schüler*innen an und verhängt schulische Disziplinarmaßnahmen. Über den Fall berichtet aktuell die Neue Westfälische, eine regionale Tageszeitung aus Bielefeld.
«Es geht auch an Schülerinnen und Schülern nicht spurlos vorbei, wenn sich in der gesamten Gesellschaft die Grenzen des Sagbaren nach rechts verschieben»
Das Helmholtz-Gymnasium trägt den Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Für den Schulleiter ist der Vorfall kein einmaliger Ausrutscher, sondern Ausdruck eines tieferliegenden gesellschaftlichen Problems: »Solche Vorfälle passieren uns häufiger, als uns lieb ist«, sagt er in einem Interview mit dem WDR.
Seiner Einschätzung nach spielt der Einfluss sozialer Medien eine wesentliche Rolle. Die betreffenden Jugendlichen seien teilweise selbst Kinder mit Migrationshintergrund – ein Umstand, der die rassistische Parole nicht relativiert, aber die Komplexität des Problems verdeutlicht. Die Jugendlichen wurden nicht von der Schule verwiesen und sind seitdem nicht erneut auffällig geworden.
Der Vorfall ereignete sich bereits im Sommer, wurde jedoch erst durch die Recherchen der Neuen Westfälischen öffentlich. Die Vorfälle erinnern an ähnliche Geschehnisse: Im Mai vergangenen Jahres sorgte ein Video einer Pfingstparty im Sylter Ort Kampen für Empörung. Darin riefen Feiernde ebenfalls rechtsextreme Parolen wie „Deutschland den Deutschen“ – begleitet von der gleichen umgedichteten Version des Dancefloor-Hits. Seitdem verbreitet sich dieser Remix im Netz und wird offenbar auch von Kindern und Jugendlichen aufgegriffen, teilweise ohne vollständiges Verständnis für den historischen und gesellschaftlichen Kontext. Auch in Schulen wurde entsprechend gegröhlt (News4teacheres berichtete).
«Es ist nicht überraschend, dass es auch an Schülerinnen und Schülern nicht spurlos vorbeigeht, wenn sich in der gesamten Gesellschaft die Grenzen des Sagbaren nach rechts verschieben», stellte der damalige Leiter der Gedenkstätte Bergen-Belsen Prof. Jens-Christian Wagner bereits 2020 fest (News4teachers berichtete).
Anne Frank, deren Name untrennbar mit Bergen-Belsen verbunden ist, starb 1945 im Konzentrationslager. Zwischen 1942 und 1944 hatte sie sich mit ihrer Familie im Amsterdamer Hinterhaus an der Prinsengracht vor den Nationalsozialisten versteckt. Dort entstand ihr weltberühmtes Tagebuch. Nur ihr Vater Otto Frank überlebte den Holocaust. Er veröffentlichte das Tagebuch seiner Tochter und machte das Versteck zu einem Museum, das bis heute besucht wird. News4teachers
