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30. Gewerkschaftstag: “Gegen eine veraltete Schulstruktur” – Wie die GEW sich die Bildung der Zukunft vorstellt

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BERLIN. Wie lassen sich Schulen demokratischer, das Bildungssystem gerechter und der Lehrkräfteberuf attraktiver gestalten? Mit diesen Fragen hat sich die Bildungsgewerkschaft GEW auf ihrem 30. Gewerkschaftstag in Berlin intensiv auseinandergesetzt. Das höchste Beschlussgremium der mit rund 280.000 Mitgliedern größten Pädagog*innen-Gewerkschaft in Deutschland hat deutliche Signale an die Politik gesendet – und ein umfangreiches Reformprogramm verabschiedet.

Wurde mit großer Mehrheit als GEW-Vorsitzende wiedergewählt: Maike Finnern. Foto: GEW

„Demokratie beginnt mit Bildung“ – unter diesem Motto hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Berlin in dieser Woche ihren 30. Gewerkschaftstag in Berlin abgehalten. Fünf Tage lang berieten 432 Delegierte aus allen Bundesländern, wie das deutsche Bildungssystem gerechter, zukunftsfester und demokratischer gestaltet werden kann. In zahlreichen Anträgen und Positionspapieren wurde deutlich: Die GEW fordert einen tiefgreifenden bildungspolitischen Neustart – und stellt sich entschieden gegen Stillstand, Bildungsungleichheit und die Kommerzialisierung des Lernens.

In der Abschluss-Pressekonferenz forderte GEW-Vorsitzende Maike Finnern massive Investitionen in den Bildungsbereich. „Wir brauchen mindestens 130 Milliarden Euro aus einem Sondervermögen und jährlich zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung“, erklärte sie. Nur so könne der dramatische Fachkräftemangel bekämpft und echte Chancengleichheit hergestellt werden.

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Finnern verlangte eine grundlegende Reform der Schuldenbremse und ein gerechteres Steuersystem. Konkret sprach sie sich für höhere Steuern für Reiche, die Wiedereinführung der Vermögensteuer und eine stärkere Besteuerung von Erbschaften aus. „Wer mehr gute und gesunde Lehrkräfte will, muss gute Arbeitsbedingungen bieten“, sagte Finnern. Sie verwies auf Studien der GEW zur hohen Belastung im Lehrberuf und forderte eine verbindliche Arbeitszeiterfassung – sechs Jahre nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes immer noch nicht an Schulen umgesetzt.

Ein weiteres zentrales Anliegen: die bessere Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen. Das derzeitige Kooperationsverbot in der Bildung sei nicht mehr zeitgemäß. Stattdessen müsse ein Kooperationsgebot gesetzlich verankert werden. Nur so ließen sich große Vorhaben wie der Ausbau des Ganztags oder die Digitalisierung der Schulen wirksam umsetzen.

“Eine Schule für alle” – aktualisierte schulpolitische Leitlinien

Mit großer Mehrheit haben die Delegierten neue schulpolitische Leitlinien beschlossen – das Ergebnis eines dreijährigen partizipativen Prozesses. Ziel ist ein inklusives Bildungssystem mit einer „Schule für alle“, das kein Kind zurücklässt. Die GEW fordert ein längeres gemeinsames Lernen, die Abkehr vom gegliederten Schulsystem und ein Ende der Aussonderung von Schüler*innen mit besonderem Förderbedarf (siehe „Im Wortlaut“ unten).

In der lebhaften und längeren Debatte wurde darauf hingewiesen, dass sich der Einsatz für „Eine Schule für alle“ gegen eine veraltete Schulstruktur, aber nicht gegen die dort tätigen Beschäftigten richte. Die GEW sei eine solidarische Bildungsgewerkschaft, die die Bildungsbereiche von der Kita bis zur Hochschule und so auch die verschiedenen Schulformen als gleichwertig betrachtet. Es gelte, sich den Zwängen des gegliederten Schulsystems entgegenzustellen. Die neue Positionierung sei ein deutliches Signal in diese Richtung.

„50.000 junge Menschen verlassen jedes Jahr die Schule ohne Abschluss – fast drei Millionen junge Erwachsene haben keinen Berufsabschluss. Das ist ein gesellschaftspolitischer Skandal“, so Finnern. Bildungsgerechtigkeit müsse in benachteiligten Regionen und bei armutsbetroffenen Familien ansetzen.

Die GEW positioniert sich dabei klar gegen Rankings und eine „output-orientierte“ Bildungspolitik. Stattdessen will sie Demokratie, Teilhabe und Nachhaltigkeit ins Zentrum schulischer Arbeit stellen. Die Schule dürfe nicht dem Primat der wirtschaftlichen Verwertbarkeit untergeordnet werden.

Künstliche Intelligenz: Demokratisch, offen, transparent

Ein viel diskutiertes Thema war der Umgang mit generativer Künstlicher Intelligenz. In einem neuen Beschluss warnt die GEW vor Automatisierung als vermeintliche Antwort auf den Lehrkräftemangel. Lernprozesse dürften nicht von Algorithmen bestimmt werden – das Primat der Pädagogik müsse gewahrt bleiben.

Gleichzeitig fordert die GEW eine demokratische Gestaltung von KI im Bildungsbereich: Transparenz, Datenschutz, Mitbestimmung und gemeinnützige, offene Technologien seien dafür entscheidend. Auch eine kritische Auseinandersetzung mit Datenmacht und Algorithmen müsse in die Bildung integriert werden.

Kita, Hochschule, Weiterbildung – Bildung als Gesamtsystem denken

Neben Schule standen auch andere Bildungsbereiche im Fokus. Die GEW fordert ein Kita-Qualitätsgesetz mit bundesweiten Standards und eine dauerhafte Finanzierung. Im Bereich Hochschule will sie Dauerstellen für promovierte Wissenschaftler*innen statt prekären Kettenverträgen – sowie eine umfassende BAföG-Reform.

Auch die Integration spielt eine zentrale Rolle: Schnellere Anerkennung ausländischer Abschlüsse, verbesserte Sprachkurse und mehr Ressourcen für Integrationsarbeit sollen Chancengleichheit für zugewanderte Menschen schaffen.

Mit Blick auf die neue Struktur der Bundesregierung äußerte sich Finnern zwiegespalten. Die Zusammenfassung der allgemeinen Bildung im neuen Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBFSFJ) biete Chancen – etwa für eine durchgehende Bildungskette von der Kita bis zur Weiterbildung. Die Abspaltung der Hochschulen ins Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) kritisierte sie jedoch scharf: Sie widerspreche einer ganzheitlichen Sicht auf Bildung und drohe, Wissenschaft auf ihre wirtschaftliche Verwertbarkeit zu reduzieren. News4teachers

Im Wortlaut

In einer Pressemitteilung der GEW heißt es wörtlich: „Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat ihre Schulpolitischen Positionen, die für die künftigen Jahre als Leitlinien für die Schulpolitik der GEW dienen werden, nach einem dreijährigen Überarbeitungsprozess aktualisiert. Das haben die Delegierten des 30. Gewerkschaftstages beschlossen. In dem Beschluss werden folgende zentrale Positionen definiert:

  • Die GEW bekräftigt den Erhalt des staatlichen Schulwesens, damit es zu größerer Bildungsgerechtigkeit, zu mehr Chancengleichheit und Nachhaltigkeit kommt.
  • Die GEW tritt offensiv für eine Stärkung von Demokratie, Teilhabe und Nachhaltigkeit in den Schulen ein. Lebendige demokratische Strukturen mit echter Beteiligung am Schulgeschehen und an Lernprojekten gehören ebenso dazu wie die Ausrichtung der Bildungsinhalte und -formen in Richtung Toleranz und Akzeptanz gesellschaftlicher Vielfalt.
  • Die GEW wendet sich gegen Rankings, Output-Orientierungen und Leistungsmessungen, aus denen keine abgesicherten Fördermaßnahmen erwachsen.
  • Die GEW strebt ein langes gemeinsames Lernen in der „Eine(n) Schule für alle“ an. Das diese Schule tragende Inklusionsverständnis umfasst alle Menschen. Eine Aussonderung oder Ausgrenzung von Kindern und Jugendlichen verbietet sich. Pädagogische Qualität bedeutet ein umfassendes Konzept ganztägiger, ganzheitlicher und umfassender Bildung.
  • Die GEW fordert eine strategische Diskussion, wie Inklusion und die „Eine Schule für alle“ umgesetzt werden können. Bislang ist es nicht gelungen, einen gesellschaftlichen Konsens für ein integratives beziehungsweise inklusives Schulsystem herzustellen. Es braucht einen echten Aufbruch!
  • Die GEW betont, dass sowohl die Schulstruktur als auch die Ausbildungsqualität der Pädagoginnen und Pädagogen, die Räumlichkeiten und deren Finanzierung überprüft werden müssen. Die GEW stemmt sich gegen die Veränderung der Schule im Sinne ökonomischer Verwertbarkeit des Menschen wie auch im Sinne einer Unterordnung der Schule unter ökonomische Interessen.
  • Die GEW ist davon überzeugt, dass die Erziehung zur Mündigkeit und die Übernahme von Verantwortung, Partizipation und Mitbestimmung im Mittelpunkt der schulischen Bildung stehen müssen. Denn Bildung ist das soziale und kulturelle Fundament einer lebendigen Demokratie.“

GEW-Chefin Finnern (frisch im Amt bestätigt) macht Kampfansage an Rechtsaußen

 

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