STUTTGART. Wer in Baden-Württemberg aufs Gymnasium will, braucht seit Kurzem eine entsprechende Empfehlung der Grundschule oder muss einen Test absolvieren. Ein Verband will das auch für die Realschulen durchsetzen und sammelt Unterschriften – durchaus erfolgversprechend.
Der Verband der Realschullehrer Baden-Württemberg ist zuversichtlich, dass er die nötigen Unterschriften für einen Volksantrag zur Einführung einer verbindlichen Grundschulempfehlung auch für Realschulen zusammenbekommen wird. Man habe bislang mehr als 20.000 der nötigen knapp 40.000 Unterschriften gesammelt, sagte die Vorsitzende des Verbands, Karin Broszat, in Stuttgart. Man spüre nun einen richtigen Lauf und sei sich sicher, bis November die nötige Stimmenzahl zusammenzubekommen.
Die Unterschriftensammlung für den Volksantrag hatte der Verband im vergangenen November gestartet (News4teachers berichtete). Sie läuft ein Jahr lang. Mit dem Antrag will der Verband erreichen, dass die Empfehlung für den Übergang von der Grundschule nach den gleichen Regeln funktionieren soll wie die verbindlichere Empfehlung für die Gymnasien: Sind sich Eltern und Grundschule nicht einig, soll ein Potenzialtest über den weiteren Werdegang des Kindes entscheiden.
Verband sieht Eigenständigkeit der Schularten in Gefahr
Der Verband argumentiert, dass nur mit einer verbindlichen Empfehlung für die Realschulen die Existenz und Eigenständigkeit aller Schularten gesichert wird. Diese sieht der Verband in Gefahr. Er fürchtet den Untergang der eigenen Schulform bei Entstehen eines Zweisäulensystems in der Bildung. Eltern würden dann alles daransetzen, ihr Kind aufs Gymnasium zu bringen. Landesvorsitzende Broszat sprach im vergangenen Herbst von einer «radikalen Zweiteilung» und einer Spaltung der akademischen und beruflichen Bildung. Mit den Realschulen und Werkrealschulen würden auch Mittelstand und Wohlstand im Land verschwinden. Wenn es nur eine einzige Säule neben dem Gymnasium gäbe, würde nicht mehr nach den Leistungsmöglichkeiten der Kinder unterschieden.
In die gleiche Kerbe schlug seinerzeit der VDR-Bundesvorsitzende Ralf Neugschwender. «Wir werden es nicht akzeptieren, dass die erfolgreiche Schulart Realschule durch eine Reform von oben herab abgewertet und in ein zweigliedriges Schulsystem gezwungen wird», sagte er. Mit dem Volksantrag hätten die Bürgerinnen und Bürger nun die Chance, der Landesregierung ein klares Stopp-Signal zu senden und die Degradierung der Realschule zu verhindern. Die Realschule sei seit Jahrzehnten eine anerkannte und geschätzte Schulform mit enger Bindung zur regionalen Wirtschaft. «Ein differenziertes Schulsystem bietet die besten Möglichkeiten, um Schülerinnen und Schüler individuell zu fördern und sie optimal auf Gesellschaft und Beruf vorzubereiten», betonte Neugschwender.
Die grün-schwarze Landesregierung hat mehrere Schulreformen auf den Weg gebracht – darunter die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium, die Einführung einer verbindlichen Sprachförderung und die Schaffung einer verbindlicheren Grundschulempfehlung (eben nur) für Gymnasien. Die Empfehlung soll künftig aus drei Komponenten bestehen: Lehrerempfehlung, Leistungstest und Elternwunsch. Stimmen zwei davon überein, soll das den Ausschlag geben.
Der Realschullehrerverband muss nun knapp 40.000 Unterschriften von Unterstützern in Baden-Württemberg sammeln. Lehnt der Landtag den Volksantrag ab, können die Initiatoren ein Volksbegehren beantragen. Dafür müssen innerhalb von sechs Monaten rund 770.000 Unterschriften gesammelt werden. Im Erfolgsfall würde dann eine Volksabstimmung durchgeführt.
Die FDP im Landtag und der Philologenverband unterstützen die Forderung. Der Philologenverband sprach von «ideologischer Gleichmacherei» sowie einer «dramatischen Überforderungssituationen bei Kindern, die entgegen der Empfehlung an einer Schule angemeldet wurden, deren Niveau für sie nicht passt».
Auch das Handwerk Baden-Württemberg stellt sich hinter den Realschullehrerverband. «Die Fokussierung auf das Gymnasium führt zu einer klaren Abwertung der Sekundarschulen», sagte Rainer Reichhold, Präsident von Handwerk BW. Das Handwerk brauche qualifizierte Schulabgänger aus allen Schulformen, um den dringend benötigten Fachkräftenachwuchs zu sichern. News4teachers / mit Material der dpa
Umfragen: Gros der (Sek-I-)Lehrkräfte für verbindliche Grundschulempfehlung
