BERLIN. Sanierungsfall Schule: In Deutschlands Klassenzimmern regnet es durchs Dach, auf den Toiletten fehlt Seife – und an pädagogischer Zukunft fehlt es oft ganz. Die Bundesregierung will nun Milliarden investieren, doch ein Bündnis warnt: Wer nur in Beton denkt, verspielt die Chance auf echte Bildungsreform. Warum Schulbau endlich mehr sein muss als Flickwerk – und wie Architekt:innen, Lehrer:innen und eine Stiftung gemeinsam Räume fürs Lernen von morgen schaffen wollen.
Ein Schulfenster fällt während des Unterrichts in einer zweiten Klasse aus dem Rahmen, kracht auf einen Tisch und zersplittert die Platte – zum Glück sitzt dort gerade niemand. Die Schülerin, die dort bis eben noch saß, war gerade auf die Toilette gegangen. Was wie ein dramatischer Einzelfall klingt (gerade so geschehen im bayerischen Hirschau), ist in Deutschland vielerorts traurige Realität: Der Sanierungsstau an deutschen Schulen hat ein Volumen von über 50 Milliarden Euro erreicht. Und nicht nur der bauliche Zustand der Gebäude ist problematisch – auch ihre pädagogische Tauglichkeit stammt oft aus einer anderen Zeit.
Mit dem neuen Koalitionsvertrag verspricht die schwarz-rote Bundesregierung nun eine Investitionsoffensive: „Wir legen ein Investitionsprogramm auf, um bei der Sanierung und Substanzerhaltung von Schulen und zur Schaffung neuer Kapazitäten zu unterstützen“, heißt es darin. Doch wohin fließt das Geld – in intakte Dächer und Toilettenanlagen oder auch in Lernlandschaften, die pädagogischen Fortschritt ermöglichen?
Ein Bündnis aus Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, dem Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) und dem Verband Bildung und Erziehung (VBE) will sicherstellen, dass mit dem „Booster für die Infrastruktur“ nicht nur renoviert, sondern auch neu gedacht wird. In einem gemeinsamen Positionspapier fordern sie: „Jede Investition in Gebäude muss als Investition für eine zeitgemäße und zukunftsgerichtete Pädagogik verwendet werden.“
„Durch eine pädagogische Weiterentwicklung entstehen neue Nutzungskonzepte, für die auch der Raum neu gedacht werden muss“
Die beiden Vorständinnen der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, Dr. Meike Kricke und Barbara Pampe, betonen: „Zukunftsfähige Schulbauten entstehen nur im Wechselspiel zwischen Architektur und Pädagogik. Das muss gefördert und gefordert werden.“ Sie sprechen sich klar für eine neue Kultur der Planung aus: „Durch eine pädagogische Weiterentwicklung entstehen neue Nutzungskonzepte, für die auch der Raum neu gedacht werden muss.“
Es geht nicht mehr nur um funktionale Räume, sondern um Orte, die Lernen und Entwicklung aktiv fördern. Lerncluster, offene Flächen für Gruppenarbeit, Rückzugsorte für Konzentration – das sind heute Standards in skandinavischen Ländern, aber in deutschen Schulen noch die Ausnahme.
Gerhard Brand, Bundesvorsitzender des VBE, verweist auf die gesellschaftliche Dimension: „Investitionen in Schulbau sind eine Frage von Wertschätzung und Gerechtigkeit gegenüber jener Generation, welche die Schulden des Sondervermögens wird abtragen müssen. Es reicht nicht, nur in Beton zu investieren – wir müssen in Schulräume investieren, die bestmögliche Lehr- und Lernbedingungen schaffen.“
Schulbau als Chance zur pädagogischen Erneuerung
Auch Susanne Wartzeck, Präsidentin des BDA, warnt davor, Investitionen in den falschen Strukturen versickern zu lassen: „Es ist dringend notwendig, die Effizienz und Effektivität des Mitteleinsatzes in den Prozessen zu verbessern. Es muss eine Ermöglichungskultur etabliert werden, die auf das zügige Umsetzen von Bauvorhaben ausgerichtet ist.“ Gleichzeitig fordert sie mehr Raum für Entscheidungskompetenz und Dialog – auch über Fachgrenzen hinweg: „Es braucht Entscheidungsverfahren, die bauliche und pädagogische Qualität gleichermaßen einbeziehen.“
Denn gute Architektur kann mehr als nur Schutz vor Wind und Wetter. Sie kann Impulsgeberin für neue Formen des Lehrens und Lernens sein. Das zeigen nicht nur moderne Schulbauten in anderen Ländern, sondern auch Modellprojekte in Deutschland – etwa in Hamburg oder Berlin. Doch damit solche Vorbilder nicht Ausnahme bleiben, sondern Schule machen, braucht es Strukturreformen und verbindliche Qualitätsstandards.
Das Positionspapier des Bündnisses schlägt zwei zentrale Reformen vor:
- Fördermittelvergabe an Qualitätskriterien binden: Schulbau darf kein Selbstzweck sein. Er soll auf einem pädagogischen Gesamtkonzept beruhen, das durch Architektur unterstützt wird. Dazu gehört unter anderem:
- die verpflichtende Durchführung einer „Phase Null“ zur Bedarfsanalyse,
- die Integration nachhaltiger Baustandards,
- Raumkonzepte, die Mehrfachnutzung und Wohlbefinden ermöglichen,
- die Öffnung von Schulgebäuden für das Quartier.
- Strukturreform für mehr Effizienz in den Bauprozessen: Bisherige Planungsverfahren dauern oft Jahre – ein Luxus, den sich marode Schulen nicht mehr leisten können. Die Lösung:
- interdisziplinäre Projektgruppen,
- vereinfachte Genehmigungswege,
- mehr Entscheidungsspielräume in den Fachverwaltungen,
- Finanzierung von Planungsprozessen, die Architektur und Pädagogik gemeinsam denken.
„Schulbau ist ein Generationenversprechen“
Das Ziel des Bündnisses ist klar: Schulbau darf nicht länger als technisches Infrastrukturprojekt verstanden werden, sondern muss als integraler Bestandteil von Bildungsgerechtigkeit und Zukunftsfähigkeit gedacht werden. Oder, wie es im Positionspapier heißt: „Mit Schulbau muss das Generationenversprechen auf gesellschaftlichen Wohlstand eingelöst werden.“
Gerhard Brand fasst es so zusammen: „Die Qualität des Schulbaus entscheidet maßgeblich darüber, ob wir den Anforderungen einer zeitgemäßen und zukunftsgerichteten Pädagogik gerecht werden können.“
Für Lehrkräfte bedeutet das vor allem eines: Die Chance, in Schulen zu arbeiten, die das Lehren erleichtern, statt es zu erschweren. Räume, die Akustik, Licht und Luftqualität verbessern. Gebäude, die Lernen in unterschiedlichen Sozialformen ermöglichen. Und ein bauliches Umfeld, das signalisiert: Eure Arbeit ist wertvoll, eure Gesundheit ist wichtig – und das Lernen eurer Schülerinnen und Schüler hat höchste Priorität.
Gleichzeitig ruft das Bündnis Lehrkräfte zur Mitwirkung auf: Denn wer weiß besser, was im Schulalltag gebraucht wird, als diejenigen, die täglich darin unterrichten? Der VBE fordert deshalb eine konsequente Beteiligung von Pädagoginnen und Pädagogen an allen Schulbauprozessen – von der Planung bis zur Evaluation. News4teachers
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