LEIPZIG. Für Lehrkräfte ist das Verfahren von hoher symbolischer Bedeutung: Es geht nicht nur um eine Unterrichtsstunde mehr – sondern um die grundsätzliche Frage, wie viel Belastung ein Land seinen Pädagogen zumuten darf, um strukturelle Probleme zu überdecken. Eine Lehrerin und ein Lehrer ziehen im Streit um die Vorgriffsstunde in Sachsen-Anhalt, nachdem sie bereits eine Niederlage vor dem OVG Magdeburg einstecken mussten, vor das höchste deutsche Verwaltungsgericht.
Der juristische Streit um die umstrittene Vorgriffsstunde in Sachsen-Anhalt geht in die nächste Runde. Am 4. September verhandelt das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig den Fall zweier Lehrkräfte – einer verbeamteten Lehrerin aus Magdeburg und eines angestellten Lehrers aus Haldensleben. Beide wehren sich gegen die vom Land verfügte Pflicht, seit Ostern 2023 eine zusätzliche Stunde pro Woche zu unterrichten. Es sind dieselben Kläger, die bereits im Frühjahr vor dem Oberverwaltungsgericht in Magdeburg gescheitert waren.
Hintergrund: Eine Stunde mehr gegen Unterrichtsausfall
Mit der Vorgriffsstunden-Regelung versuchte das Bildungsministerium unter CDU-Politikerin Eva Feußner, den chronischen Unterrichtsausfall zu verringern. Alle Lehrkräfte müssen seit gut zwei Jahren eine Stunde mehr pro Woche vor die Klasse treten. Für Grundschulen bedeutet das 28 statt bislang 27 Unterrichtsstunden, für Sekundarschulen und Gymnasien 26 statt 25. Die Stunde kann entweder ausbezahlt oder auf einem Arbeitszeitkonto angesammelt werden, das ab dem Schuljahr 2033/34 wieder abgebaut werden soll.
Die Maßnahme löste heftigen Protest aus. Die GEW Sachsen-Anhalt sprach von einer rechtswidrigen und unverhältnismäßigen Arbeitszeiterhöhung. Vor allem aber warnte die Gewerkschaft vor weiteren Belastungen für eine ohnehin überlastete und alternde Lehrerschaft. „Die Kollegen arbeiten schon am Limit“, erklärte Landeschefin Eva Gerth im März nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Die Konsequenzen laut Gewerkschaft: steigender Krankenstand, wachsende Flucht aus dem Beruf.
Gerichtliche Niederlagen – und doch neue Verfahren
Zunächst versuchte die GEW, die Regelung auf dem Rechtsweg zu kippen. Zwei Normenkontrollklagen – eingereicht von genau den beiden Lehrkräften, die jetzt erneut klagen – sollten die arbeitszeitrechtlichen Grundlagen zu Fall bringen. Doch das Oberverwaltungsgericht Magdeburg stellte sich Anfang März klar auf die Seite des Bildungsministeriums: Die Vorgriffsstunde sei keine Erhöhung der Regelarbeitszeit, sondern lediglich eine „Arbeitszeitverschiebung“. Höherrangiges Recht sei nicht verletzt.
Parallel dazu lief der Prozess einer Grundschullehrerin aus der Altmark, die sich geweigert hatte, die Zusatzstunde zu leisten. Trotz Abmahnung blieb sie bei ihrer Haltung und wurde schließlich fristlos gekündigt – das Arbeitsgericht Stendal bestätigte die Entlassung im Juni 2024. Die Richter stellten klar: Wer sich dauerhaft der Arbeitspflicht verweigere, müsse mit den Konsequenzen rechnen.
Inzwischen allerdings hat es personelle Veränderungen an der Spitze des Bildungsministerium gegeben: Eva Feußner, die die Vorgriffsstunde eingeführt hatte, musste im Juni 2025 auf Wunsch ihrer eigenen Partei das Ministeramt abgeben. News4teachers / mit Material der dpa
Lehrerin verweigert Mehrarbeit und wird gekündigt – rechtens, urteilt das Arbeitsgericht
