Für eine Schule, die stärkt statt stresst – Bürgerrat Bildung und Lernen schafft Raum für die Ideen von Schüler*innen

3

Frankfurt am Main. Wie muss sich Schule ändern, damit sie zu einem Ort wird, an dem sich alle wohlfühlen können? Diese Frage steht im Mittelpunkt der aktuellen Folge des Podcasts „Bildung, bitte!“ – aufgenommen beim Aktionstag „Mentale Gesundheit“ in der Aula der Inklusiven-Ganztags-Kultur-Schule Herder in Frankfurt am Main. Initiiert vom Bürgerrat Bildung und Lernen im Rahmen der bundesweiten Kampagne „Uns geht’s gut?“ der Bundesschülerkonferenz hatten sich dort etwa 50 Schülerinnen und Schüler mehrerer Frankfurter Schulen versammelt. Alle wollten mitreden über ein Thema, das sie drängend beschäftigt.

Unter Druck (Symbolfoto). Foto: Shutterstock

Rund ein Fünftel aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland ist psychisch belastet. Darauf verweisen Studien wie das Deutsche Schulbarometer 2024 oder die COPSY-Studie 2024. Die Chance, im Rahmen des Aktionstags einmal über ihre Sicht auf das Problem reden zu können, nutzten die anwesenden Schüler*innen ausgiebig. Schon in den Arbeitsrunden war zu spüren, wie groß der Redebedarf ist. Gemeinsam reflektierten die Jugendlichen, mit welchem Gefühl sie morgens in die Schule gehen. Viele berichteten, dass sie vor allem müde sind. Andere sprachen von Stress, manche auch von Angst. Nur wenige sagten, dass sie motiviert in die Schule kommen. Viele, die sich auf ihren Schultag freuen, verbinden dies mit der Möglichkeit, dort Zeit mit ihren Freund*innen zu verbringen.

Schüler*innen sprechen offen über persönliche Erfahrungen

Auch bei der anschließenden offenen Diskussion für den Podcast war der Bedarf an Austausch groß. Viele Kinder und Jugendliche wollten ihre persönlichen Erfahrungen mit den anwesenden Schülervertreter*innen und Erwachsenen teilen. Mit dabei waren neben den gewählten Schülervertreter*innen von Bundes-, Landes- und Kommunalebene auch Mitglieder des Jungen Bürgerrats, zufällig ausgewählte Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren, die seit 2021 im Bürgerrat Empfehlungen erarbeiten, um die Bildung in Deutschland zu verbessern. Die Runde komplettierte Alix Puhl, Expertin für Früherkennung psychischer Erkrankungen bei Kindern vom gemeinnützigen Unternehmen Tomoni Mental Health. Freiheraus berichteten die Schüler*innen über Mobbing, Überforderung und Therapie – und fast immer verbunden mit dem Wunsch, dass sich Schule ändern müsse (die Aufzeichnung der Diskussion aus Frankfurt finden Sie hier als Teil des Bürgerrats-Podcasts „Bildung, bitte!“).

„Die Offenheit, die die Schülerinnen und Schüler gezeigt haben, war sehr ergreifend. Dass allerdings so viele am Aktionstag des Bürgerrats teilnehmen wollten, sollte uns als Gesellschaft nachdenklich stimmen“, sagte Gerhard Wolff von der Montag Stiftung Denkwerkstatt, die den Bürgerrat Bildung und Lernen ins Leben gerufen hat. Genau aus diesem Grund habe der Bürgerrat den Aktionstag aber initiiert – um gemeinsam mit der Bundesschülerkonferenz (BSK) und ihrer bundesweiten Kampagne „Uns geht’s gut?“ mehr Aufmerksamkeit auf die mentale Gesundheit von Schüler*innen zu lenken.

„Die Schule trägt derzeit nicht dazu bei, dass es Schülerinnen und Schülern besser geht“, bestätigte auch Maro Slomka von der Landesschülervertretung Hessen. „Im Gegenteil: Bei vielen ist sie die Ursache für noch mehr Sorgen.“ Mareike Klauenflügel, Schulleiterin der IGS Herder, sieht diesbezüglich vor allem Probleme im System Schule selbst: „Einflussfaktoren, die sich auf die mentale Gesundheit auswirken, sind meines Erachtens vor allem Prüfungen und Noten.“ Hinzu komme die starke Rhythmisierung des Schulalltags. „Den Schülerinnen und Schülern wird fortlaufend vorgegeben, was sie als Nächstes zu tun haben. Sie können ihren Lernprozess kaum selbstbestimmt und interessengeleitet gestalten. All das trägt meiner Ansicht nach erheblich dazu bei, dass viele Kinder und Jugendliche unter großem Druck stehen.“

Das unterstreicht auch Leander Heydenreich von der BSK: „Ein Kernproblem unseres Bildungssystems ist, dass wir versuchen, alle Schülerinnen und Schüler – so unterschiedlich und individuell sie auch sind – auf eine Linie zu bringen. Sie sollen zur selben Zeit, im selben Raum, mit derselben Lehrkraft und denselben Aufgaben ein und dasselbe Thema verstehen. Dabei sehen wir doch ganz deutlich, wie verschieden Menschen eigentlich sind.“

Mehr Mitbestimmung, bessere Prävention – was Schüler*innen fordern

Doch wie lässt sich Schule ändern, sodass sie zu einem Ort mit Wohlfühlcharakter wird? Auch das wollte der Bürgerrat Bildung und Lernen von denjenigen wissen, die es am ehesten betrifft – den Schülerinnen und Schülern selbst. Sie blieben daher nicht bei der Problemanalyse stehen, sondern sammelten Ideen, wie sich die Situation verbessern lässt. So wünschen sich die Kinder und Jugendlichen mehr Mitbestimmung, bessere Kommunikation mit den Lehrkräften, Programme, die das Bewusstsein für mentale Gesundheit fördern, stärkere Mobbingprävention, weniger Leistungsdruck, aber auch einen späteren Schulbeginn, Ruheräume und bequeme Möbel.

„Mir fallen unzählige Dinge ein, die man gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern entwickeln könnte, um Schule zu einem echten Lebensraum zu machen“, sagte auch Schulleiterin Klauenflügel. Vor allem bräuchte Schule Rückzugsräume, Bewegungsräume und Orte, an denen die Kinder selbst gestalten können.  Einen deutlich niedrigschwelligeren Ansatz formulierte Landesschülervertreterin Maro Slomka: „Die Frage ‚Wie geht es dir?‘ sollte in der Schule auf jeden Fall einen höheren Stellenwert haben.“ Schülerinnen und Schüler bräuchten Möglichkeiten, sich zu reflektieren, sich mit sich selbst zu befassen und auch angehört zu werden.

Hintergrund

Der Bürgerrat Bildung und Lernen

Der Bürgerrat Bildung und Lernen wurde von der gemeinnützigen und unabhängigen Montag Stiftung Denkwerkstatt ins Leben gerufen. Seit 2021 haben bereits 700 zufällig ausgeloste Menschen an den Sitzungen des Bürgerrats teilgenommen. Gemeinsam haben sie Empfehlungen für ein gerechteres und zukunftsfähigeres Bildungssystem entwickelt. Auch Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren arbeiten aktiv im Bürgerrat mit, indem sie ihre Perspektiven in die Beratungen des Bürgerrats einbringen.

Weitere Informationen zum Bürgerrat: www.buergerrat-bildung-lernen.de

Pressekontakt

Sabine Milowan
Leiterin Montag Stiftung Denkwerkstatt
Pressesprecherin
Telefon +49 (0) 228 26716-633
s.milowan@montag-stiftungen.de

Dies ist eine Pressemeldung der Montag Stiftung Denkwerkstatt.

Bürgerrat-Talk über den Sinn von Hausaufgaben – Schülerin Maxi: “Wenn man den Stoff nicht verstanden hat, sitzt man abends allein da“

Anzeige

Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

3 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Kleopas
1 Monat zuvor

“Doch wie lässt sich Schule ändern, sodass sie zu einem Ort mit Wohlfühlcharakter wird?”
Da sagt dann ein hochrangiger Ministerialer zu seinem zuständigen Staatssekretär: Wissen Sie was, unsere Tochter geht jetzt in eine Drei-Sterne-Wellness-Schule. Einfach fantastisch, alles steht im Zeichen des Wohlfühlens. 🙂
Im Ernst: Ob das nun die richtige Frage nach dem desaströsen IQB-Test ist? Wohlfühlen und schulische Leistung, das ist leider nicht dasselbe.

Rüdiger Vehrenkamp
1 Monat zuvor

Würde Schule wieder zurück zu ihren Wurzeln als Stätte der Bildung, hätten Jugendliche vielleicht sogar weniger Stress. Uns war immer ganz klar, dass in der Schule gearbeitet und gelernt wird und dass sie kein Ersatz ist für ein Jugendzentrum, einen Sportverein, das eigene Elternhaus oder eine psychiatrische Klinik. Doch all das soll Schule heute erfüllen.

Ich muss es erneut ansprechen: Wie kommen tägliche Bildschirmzeiten an den Smartphones der Jugendlichen von 5-7 Stunden zusammen? Wer sich so lange mit Youtube, TikTok und Co. beschäftigen kann, einer ständigen Reizüberflutung ausgesetzt ist, teils arg fragwürdige Inhalte über WhatsApp in Klassengruppen schickt, sich mit dem Glamour Dubais und Influencern mit ihren gestellten Hochglanzfotos vergleicht, kann von Schule nicht allzu gestresst sein.

Schule KANN das gar nicht auffangen und es ist auch nicht deren Aufgabe. Selbst in der sozialen Arbeit können wir diese neue Medienwelt und die daraus resultierende, geringe Mitarbeit von den Kindern und teilweise deren Familien, nicht kompensieren. Wie wenig unsere (oft kostenlosen) Freizeitangebote angenommen werden, habe ich hier schon öfter zu Protokoll gegeben. Und ja, liebe Kritiker, vielleicht sind unsere Angebote bestehend aus Sport, Ausflügen in Natur, Schwimmbäder und Freizeitparks, Gesellschaftsspielemittagen, gemeinsames Zelten, Kochkurse etc. immer noch nicht vielfältig genug…

Naaaja
1 Monat zuvor

«Hinzu komme die starke Rhythmisierung des Schulalltags.»

Klare (und bewältigbare) Strukturen sind hilfreich bei fast allen psychischen Belastungen und Störungen. Natürlich kombiniert mit einem verständnisvollem Umgang und der Möglichkeit bei Bedarf extra Pausen machen zu dürfen.

Sicher wird das Wegfallen jeglicher Anforderungen zunächst als entlastend erlebt, das bleibt aber längerfristig nicht so.
Ein depressives Kind wird nicht selbstbestimmt und interessengeleitet sein Lernen selbst organisieren (können). Der Antrieb, das Interesse, die Stimmung und die Motivation sind schließlich beeinträchtigt. Da funktionieren nur klar von außen strukturierte Aufgaben, die in kleine Portionen aufgeteilt werden, und schnell sichtbaren Fortschritt (und Anerkennung fürs Bemühen) bringen. Und man darf auch immer wieder versuchen, die Anforderungen etwas zu steigern. Zu extreme Schonung macht hilflos, schadet dem Selbstwert und macht psychisch noch labiler. Es ist absurd zu erwarten, dass labile Kinder durch mehr Selbstbestimmung irgendwie klarkommen. Das grenzt an Vernachlässigung… Keine KJP arbeitet ohne klare Strukturen, aus guten Gründen.