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Abstand, bitte! Warum die Beamtenbesoldung (und damit die Bezüge der meisten Lehrkräfte) auf dem Prüfstand steht

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BERLIN. Das Bundesverfassungsgericht hat die Berliner Beamtenbesoldung in weiten Teilen für verfassungswidrig erklärt – mit Folgen weit über die Hauptstadt hinaus. Für die rund 600.000 verbeamteten Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland ist das Urteil deshalb relevant, obwohl sie nicht zu den unteren Besoldungsgruppen gehören, um die es vordergründig geht. Denn Karlsruhe stellt zentrale Strukturprinzipien der Besoldung neu auf – insbesondere das Abstandsgebot, das auch die Lehrerbesoldung betrifft.

Abstand, bitte! (Symbolfoto.) Foto: Shutterstock

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Berliner Beamtenbesoldung markiert einen Einschnitt mit bundesweiter Tragweite. Zwar ging es formal um die A-Besoldung des Landes Berlin in den Jahren 2008 bis 2020, tatsächlich aber setzt Karlsruhe neue Maßstäbe für das gesamte Besoldungsrecht der Länder. Davon betroffen sind auch die rund 600.000 Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland, die als Landesbeamte besoldet werden – nicht, weil sie am unteren Rand der Besoldung stehen, sondern weil das Gericht zentrale Strukturprinzipien der Beamtenbesoldung neu justiert.

Der Beschluss des Zweiten Senats vom 17. September (veröffentlicht im November) erklärt die Berliner A-Besoldung in über 95 Prozent der geprüften Besoldungsgruppen für verfassungswidrig (News4teachers berichtete). Über einen Zeitraum von zwölf Jahren habe das Land Berlin seine Beamten vielfach nicht amtsangemessen alimentiert. Zugleich weist das Gericht darauf hin, dass bundesweit rund 70 weitere Verfahren anhängig sind. Verwaltungsgerichte und Widerspruchsbehörden sehen sich seit Jahren mit einer wachsenden Zahl von Klagen konfrontiert, während Gewerkschaften ihre Mitglieder regelmäßig zu Widersprüchen gegen ihre Besoldungsbescheide auffordern.

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Der Bonner Staatsrechtler Sinan Kurt, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Institut für Öffentliches Recht der Universität Bonn, ordnet die Entscheidung auf dem Verfassungsblog als grundsätzliche Neuaufstellung ein. Das Bundesverfassungsgericht, so Kurt, reagiere nicht nur auf Berliner Versäumnisse, sondern auch auf die zunehmende Überlastung der Gerichte. Angesichts der „außerordentlichen Vielzahl an Verfahren“, die bereits anhängig seien, drohe die Verfassungsgerichtsbarkeit an die Grenzen ihrer Funktionsfähigkeit zu gelangen. Um effektiven Rechtsschutz weiterhin zu gewährleisten, habe der Senat seine Prüfungsmaßstäbe vereinfacht und zugleich verschärft.

„Das Alimentationsprinzip verpflichtet den Dienstherrn, Beamten und ihren Familien lebenslang einen amtsangemessenen Unterhalt zu gewähren“

Zentral ist dabei das Alimentationsprinzip aus Artikel 33 Absatz 5 des Grundgesetzes. Diese Alimentation ist nach ständiger Rechtsprechung kein Entgelt für konkrete Dienstleistungen, sondern Teil eines besonderen Dienst- und Treueverhältnisses. Sie soll die Unabhängigkeit der Beamtinnen und Beamten sichern und damit eine funktionsfähige, rechtsstaatliche Verwaltung gewährleisten.

In der aktuellen Entscheidung verknüpft das Bundesverfassungsgericht diesen Gedanken ausdrücklich mit dem Schutz der freiheitlichen Demokratie. In der Urteilsbegründung heißt es: „Das Alimentationsprinzip verpflichtet den Dienstherrn, Beamten und ihren Familien lebenslang einen amtsangemessenen Unterhalt zu gewähren. Es hat – im Zusammenwirken mit dem Lebenszeitprinzip – vor allem die Funktion, die Unabhängigkeit der Beamtinnen und Beamten im Interesse einer fachlich leistungsfähigen, rechtsstaatlichen und unparteiischen Verwaltung zu gewährleisten.“ Auf diese Weise sichere das Berufsbeamtentum „das Prinzip der freiheitlichen Demokratie gegen Übergriffe zusätzlich ab“.

Ein wesentlicher Teil des Beschlusses betrifft die Frage der Mindestbesoldung. Hier verabschiedet sich das Gericht von seiner bisherigen Orientierung an der sozialen Grundsicherung. Bislang galt eine Besoldung als verfassungsgemäß, wenn sie das Niveau der Grundsicherung um mindestens 15 Prozent überstieg. Diese Schwelle, so Karlsruhe, verwische den qualitativen Unterschied zwischen einer lebenslangen Beamtenalimentation und einer „leistungslos bezogenen Grundsicherung“.

Künftig ist deshalb ein neuer Maßstab entscheidend: die sogenannte Prekaritätsschwelle. Sie liegt bei 80 Prozent des Medianäquivalenzeinkommens und basiert auf anerkannten Daten der Armutsforschung, insbesondere der OECD. Diese Schwelle markiert die Grenze zu einem realen Armutsrisiko und orientiert sich stärker an gesellschaftlicher Teilhabe als an bloßer Existenzsicherung. Wird dieses Mindestniveau unterschritten, ist die Besoldung automatisch verfassungswidrig; weitere Prüfschritte entfallen.

Für Lehrerinnen und Lehrer ist diese Neudefinition der Mindestbesoldung allerdings nicht der zentrale Punkt. Sie befinden sich in der Regel nicht in den unteren Besoldungsgruppen, die typischerweise von Mindestproblemen betroffen sind. Die eigentliche Bedeutung der Karlsruher Entscheidung für den Lehrerberuf liegt an anderer Stelle – beim sogenannten Abstandsgebot.

Das Abstandsgebot ist Ausdruck des Leistungs- und Laufbahnprinzips des Berufsbeamtentums. Es verlangt, dass die Besoldung die unterschiedliche Wertigkeit der Ämter widerspiegelt. Höherwertige Ämter müssen spürbar besser besoldet sein als niedrigerwertige. Diese Abstände dürfen nicht durch politische Sparmaßnahmen oder technische Berechnungsmodelle ausgehöhlt werden.

Hier setzt die verfassungsrechtliche Kritik an vielen jüngeren Besoldungsreformen der Länder an. Um verfassungswidrig niedrige Besoldung am unteren Rand zu korrigieren, haben zahlreiche Länder nicht die Grundgehälter insgesamt angehoben, sondern auf ergänzende Zuschläge gesetzt – etwa Familienzuschläge oder sogenannte Ergänzungszuschläge zur Sicherung der Mindestbesoldung. Teilweise werden dabei pauschal Partnereinkommen unterstellt, um das rechnerische Haushaltseinkommen anzuheben.

Das Bundesverfassungsgericht macht nun deutlich, dass solche Zuschläge bei der Prüfung der Besoldungsstruktur nicht ausgeblendet werden dürfen. Entscheidend seien alle Besoldungsbestandteile, die strukturell dem Grundgehalt ähneln. Ergänzungszuschläge, die eine verfassungsgemäße Mindestbesoldung sicherstellen sollen, seien daher bei der Prüfung der Binnenabstände zwischen den Besoldungsgruppen einzubeziehen.

Die Folge ist erheblich: Werden untere Besoldungsgruppen durch Zuschläge überproportional angehoben, ohne dass mittlere und höhere Gruppen entsprechend mitwachsen, schrumpfen die Abstände im Besoldungsgefüge. Das kann dazu führen, dass Besoldungsgruppen, die oberhalb der Mindestschwelle liegen – etwa die klassischen Lehrerbesoldungen in A12 oder A13 –, dennoch verfassungswidrig alimentiert sind, weil die systematische Staffelung der Ämter nicht mehr gewahrt ist.

„Beamtenbesoldung ist zuallererst nach der Bedeutung des Amtes zu bemessen“

Diese Einschätzung deckt sich mit der Analyse des Hamburger Staatsrechtlers Prof. Ulrich Hufeld, der sich in der WirtschaftsWoche ausführlich zu den Karlsruher Entscheidungen äußert. Hufeld betont, dass überall dort, wo der Gesetzgeber das Alimentationsprinzip verletze, die verfassungsrechtlich garantierte Fürsorgepflicht gegenüber den Beamten nicht eingehalten werde. Die Karlsruher Richter hätten „exakt nachgerechnet und aufgedeckt, dass das immer wieder vorkommt – zuletzt in der Grundsatzentscheidung vom 17. September 2025 für die Berliner Besoldungsordnungen im Zeitraum 2008 bis 2020“.

Hufeld weist zugleich den häufig gezogenen Vergleich mit Bürgergeld oder Grundsicherung zurück. „Beamtenbesoldung ist zuallererst nach der Bedeutung des Amtes zu bemessen“, sagt er. Die Beamtenschaft solle sich „ohne Armutsgefährdung ganz der Sache des Staates widmen können – mit Hingabe“. Grundsicherung hingegen orientiere sich an konkreter Bedürftigkeit. Auch Beamte im mittleren Dienst bewegten sich nicht am verfassungsrechtlichen Existenzminimum, solange der Gesetzgeber das Gebot der Mindestbesoldung beachte.

Zugleich warnt Hufeld vor einer isolierten Betrachtung einzelner Besoldungselemente. „Alimentation ist ein Gesamtpaket“, sagt er. „Besoldung und Versorgung müssen amtsbezogen und über die Lebenszeit hinweg betrachtet angemessen sein.“ Klischees über angebliche Privilegien oder „üppige Pensionen“ griffen zu kurz, weil sie den Charakter des besonderen Dienst- und Treueverhältnisses ausblendeten.

Hufeld betont den Zusammenhang zwischen verfassungsgemäßer Besoldung und dem Schutz der demokratischen Ordnung. Er zitiert das Bundesverfassungsgericht mit den Worten: „Das Berufsbeamtentum ist damit zum Garanten für eine demokratisch und rechtsstaatlich rückgebundene Verwaltung geworden und sichert durch die Dauerhaftigkeit dieser Rückbindung das Prinzip der freiheitlichen Demokratie gegen Übergriffe zusätzlich ab.“ Daraus folge eine klare staatliche Verantwortung, die Besoldung nicht auf ein verfassungsrechtliches Minimum „herunterzurechnen“.

Auch mit Blick auf aktuelle Reformmodelle zeigt sich Hufeld skeptisch. Der Gesetzgeber robbe sich, so seine Einschätzung, mithilfe von „alimentativen Ergänzungszuschlägen“ an das verfassungsrechtliche Minimum heran, statt die Grundbesoldung strukturell anzuheben. Das halte er für „einen riskanten Ansatz“, weil dadurch der systeminterne Besoldungsvergleich erschwert und das Abstandsgebot zwischen den Besoldungsstufen gefährdet werde. Zum Leistungs- und Laufbahnprinzip passe eine „allgemein und übersichtlich abgestufte Besoldung“, nicht ein zunehmend intransparenter Zuschlagsapparat.

Die Berliner Entscheidung dürfte daher nicht die letzte Rüge aus Karlsruhe bleiben. Berlin muss bis spätestens 31. März 2027 eine neue Besoldungsordnung vorlegen und Nachzahlungen in dreistelliger Millionenhöhe leisten. Andere Länder stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Für die Lehrerinnen und Lehrer bedeutet das: Ihre Besoldung steht nicht wegen individueller Notlagen auf dem Prüfstand, sondern weil das Bundesverfassungsgericht die strukturellen Grundlagen der Beamtenbesoldung neu vermisst. Wie die Länder darauf reagieren, wird entscheidend dafür sein, ob weitere Verfahren folgen – oder ob das Besoldungsrecht tatsächlich verfassungsfest neu aufgestellt wird. News4teachers

Beamtenrecht: Wann ist die Besoldung angemessen? Karlsruhe macht konkrete Vorgaben – GEW: “Befreiungsschlag”

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