“Etwas weniger Disziplin”: Wie eine ukrainische Lehrerin den deutschen Schuldienst erlebt

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SIEGEN. Als Inna Kotliar vor drei Jahren aus Charkiw fliehen musste, ließ sie nicht nur ihr Zuhause, sondern auch ihren Beruf als Lehrerin zurück. Heute steht die 45-Jährige in Nordrhein-Westfalen wieder vor einer Schulklasse – dank eines besonderen Qualifizierungsprogramms.

“Noch nicht gut genug”: Inna Kotliar (links) zusammen mit Programmkoordinatorin Inga Schmalenbach. Foto: Carsten Schmale / Universität Siegen

Vor drei Jahren hat Inna Kotliar ihr Zuhause verloren. Ihr Zuhause in Charkiw. Sie floh zusammen mit ihrer Tochter aus der Ukraine nach Deutschland. In Olpe, im Sauerland, fanden sie eine kleine Wohnung. Dort fühle sie sich sehr wohl. Aber das Wort „Zuhause“, das wählt Inna Kotliar erst, als sie von der Schule erzählt. Dort sei ihr alles vertraut. Seit einigen Monaten darf die 45-Jährige wieder Lehrerin sein. Noch ist sie als Praktikantin an der Sekundarschule Olpe-Drolshagen. Aber es ist der erste Schritt, um in Deutschland unterrichten zu können.

Ermöglicht wurde ihr das durch das Programm „LehrkräftePLUS“ an der Universität Siegen, das am Zentrum für Lehrkräftebildung und Bildungsforschung durchgeführt wird. Das Qualifizierungsangebot richtet sich an zugewanderte Menschen mit und ohne Fluchthintergrund, die in ihrem Heimatland bereits als Lehrer*in gearbeitet haben. Das Programm gibt es seit 2020 und wird neben der Universität Siegen auch an den NRW-Unis Bochum, Bielefeld, Duisburg-Essen und Köln angeboten.

Inna Kotliar hat in der Ukraine Informatik und Physik an einem Gymnasium unterrichtet. Gerade mit dieser Fächerkombination ist sie an deutschen Schulen sehr gefragt. Voraussetzung, um hier unterrichten zu können, ist aber zunächst der erfolgreiche Abschluss des einjährigen Programms, bei dem sprachliche, pädagogisch-didaktische, fachdidaktische und interkulturelle Kenntnisse vermittelt werden. Am Ende gibt es ein Zertifikat. Das Zertifikat ist die Eintrittskarte für das Anschlussprogramm „Internationale Lehrkräfte Fördern (ILF)“ der Bezirksregierung Arnsberg, in dessen Rahmen die Teilnehmer*innen schon als Lehrerin bzw. Lehrer arbeiten und das dauerhafte Perspektiven an Schulen in Nordrhein-Westfalen eröffnet.

„In der Schule in Deutschland achtet man sehr auf die Entwicklung des sozialen Verhaltens und das finde ich sehr wichtig“

Inga Schmalenbach ist die Koordinatorin des Programms an der Uni Siegen und kennt Inna Kotliar seit der ersten Bewerbungsrunde. Das Auswahlverfahren ist nicht leicht, denn es gibt etwa vier bis fünfmal so viele Bewerber*innen wie Plätze. Ein entscheidendes Kriterium für die Aufnahme sind die Deutschkenntnisse. Klare Standardsprache, eingestuft als sogenanntes B1-Niveau, muss es mindestens sein. „Im Programm wird weiter an der Sprache gearbeitet mit Vertiefungsmöglichkeiten im Fachgebiet“, so Schmalenbach.

Inna Kotliar spricht ausgezeichnet Deutsch. „Aber es ist noch nicht gut genug“, meint sie selbstkritisch. Als Lehrerin müsse sie perfekt sprechen, um den Kindern ein Vorbild sein zu können. Deshalb vermeide sie, mit den Schülerinnen und Schülern, die auch aus der Ukraine kommen, in ihrer Sprache zu sprechen. „Das hilft uns nicht weiter“, meint Inna Kotliar. „Wir müssen Deutsch lernen, das ist das Wichtigste.“

Dass sie mit ihren vielen Jahren Berufserfahrung im Klassenzimmer nun wieder beobachtet und geprüft wird, findet sie nicht schlimm. „Ich bin froh, dass ich nicht nur eine Mentorin hatte, die ich im Unterricht begleiten konnte und die mir zu meinem Unterricht Rückmeldung gegeben hat, sondern dass sie mich auch in vielerlei Hinsicht unterstützt und mir das Gefühl gegeben hat, dass ich auf dem richtigen Weg bin.“

Schule in der Ukraine und in Deutschland sei nicht so verschieden, meint Kotliar. In der Ukraine werde Informatik allerdings schon aber der zweiten Klasse unterrichtet und vielleicht sei man im Punkt Disziplin etwas strenger. „Aber in der Schule in Deutschland achtet man sehr auf die Entwicklung des sozialen Verhaltens und das finde ich sehr wichtig.“ Der Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen bedeute ihr viel. „Und ich arbeite einfach gerne mit Kindern. So kann ich die Zukunft mitgestalten.“

Inga Schmalenbach hat keine Zweifel, dass Inna Kotliar ihren Weg zurück in den Schuldienst erfolgreich meistern wird. „Bei Fächern wie Informatik und Physik, aber auch bei Mathematik und Chemie rufen die meisten Schulen hurra. Die Kompetenzen der Lehrkräfte, die aus dem Ausland zu uns kommen und sowohl fachliche als auch didaktische Erfahrungen mitbringen, sind sehr gefragt.“ News4teachers 

 

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Unfassbar
11 Stunden zuvor

Nach dem, was ich von den ukrainischen Schülern über Schule in ihrer Heimat gehört habe, ist „etwas weniger Disziplin“ stark untertrieben. Sie waren erstaunt, was sich deutsche Schüler erlauben dürfen und deutsche Lehrer dulden (müssen).

potschemutschka
10 Stunden zuvor
Antwortet  Unfassbar

Das höre ich auch von den “Omas” meiner russisch-ukrainischen Community. Die schütteln ständig den Kopf darüber was in der Schule und auch schon in der Kita ihrer Enkel so los ist. Sie fragen mich ständig: “Eto normalno w Germanii?” (Ist das normal in DE?). Es fällt mir dann immer schwer, ihnen das zu erklären 🙂

Fräulein Rottenmeier
9 Stunden zuvor
Antwortet  potschemutschka

Das sieht man schon in den erstaunten Gesichtern der ukrainischen Kindern…..

Rainer Zufall
7 Stunden zuvor
Antwortet  potschemutschka

Wissen die ukrainischen Renter:innen so gut über die dortige Schulpraxis bescheid, wie die deutschen?

Rainer Zufall
7 Stunden zuvor
Antwortet  Unfassbar

Was dürfen die sich bei Ihnen im Sportunterricht herausnehmen, was in der Ukraine undenkbar wäre?

potschemutschka
10 Stunden zuvor

Passend dazu las ich gerade folgenden Artikel:
https://www.fr.de/panorama/strategien-koennten-altmodisch-erscheinen-lehrerin-mit-klarer-ansage-an-schueler-zr-94102480.html
@Redaktion – vielleicht ist das auch einen Artikel (zur Diskussion) hier bei n4t wert?

Bla
9 Stunden zuvor
Antwortet  Redaktion

– Anwesenheitskontrollen [Eintragung bei Verspätung]
– Bei 45 “gesammelten” Minuten -> Nacharbeit -> Terminvorgabe mit Absprache Eltern/Kollegium [bestenfalls feste Kollegiumszeit dazu bspw. Freitag 13 Uhr – 13:45 Uhr]
– Kenntnisnahme über diese Regelung an alle Eltern [Kollegium sowieso]
– Bezahlung der rotierenden “Nachholzeit” als Abdeckung

Kann das so funktionieren? Warum nicht?
Das Problem ist nur, dass potentiell (einige) Eltern das dann als “private Nachhilfe” gerne (versuchen) zu verwenden … Aber auch das kann man durchaus lösen.

Also somit wären Lehrer-Arbeitszeiten dann abgedeckt, da bezahlt.
Zudem hätte man einen “Grobplan”/Richtwert mit Abklärung und Kenntnis.
Die Eltern, Kollegium und SuS können sich darauf einstellen.

Glauben Sie, dass dadurch einige SuS(/Eltern) motiviert wären, pünktlicher zu kommen? Ich bin mir da recht sicher …

Tigrib
9 Stunden zuvor
Antwortet  Bla

Mach ich so, aber schon bei 15 gesammelten Minuten ist man freitags dran. Wirkt!

potschemutschka
9 Stunden zuvor
Antwortet  Redaktion

Da dürfen Sie nicht mich fragen. Ich habe den Artikel nicht geschrieben. Aber vielleicht können Sie ja die Lehrer im Artikel dazu mal interviewen?

Ich könnte dazu nur folgendes sagen:
In meinen beruflichen Anfangsjahren gab es keinen Ganztags-Unterricht und die Schule war für meine Schüler mit den Öffis oder zu Fuß erreichbar (Öffis fuhren in regelmäßigen, relativ kurzen Abständen). Nacharbeiten war somit problemlos möglich, nicht nur bei Zuspätkommen, auch bei nichterledigten HA, oder aus anderen Gründen. Die Eltern wurden über diese “Möglichkeit” immer am anfang des schuljahres informiert und damals fanden die das auch in Ordnung (gerecht). und bezüglich der Arbeitszeit der Lhrer: da hat man ein- maximal zweimal eine Stunde seiner Zeit geopfert und die Schüler hatten dann kapiert, dass ihr Verhalten Konsequenzen hat. Das hielt dann meist längere Zeit vor. Es war ja auch die Freizeit der Schüler betroffen. 🙂
Also, lieber als Lehrer mal eine Stunde opfern, als ein Schuljahr lang sich rumärgern – war zumindest meine Devise. Nebeneffekt: es sprach sich unter den Schülern rum, wenn/ob ein Lehrer konsequent handelte. 🙂 Bei hartnäckigen Fällen, leisteten Kollegen auch mal “Amtshilfe”, wenn sie selbst schon, wegen eines “Nachsitzers” länger blieben, konnte man auch noch einen Schüler eines anderen Kollegen dazu setzen.

unfassbar
9 Stunden zuvor
Antwortet  Redaktion

Besonders die Busfahrtzeiten und damit der deutlich längere Heimweg dürften lehrreich sein. Die Lehrerinnen aus dem Artikel tun sich das selbst an, weil sie hoffen, dass das nach ein paar lehrreichen Erfahrungen nicht mehr notwendig ist.

Fräulein Rottenmeier
9 Stunden zuvor
Antwortet  Redaktion

Wieso? War am Gymnasium meiner Kinder Gang und Gäbe…..wer störte oder zu spät kam, durfte am Mittwoch Mittag (kurzer Tag für alle Schüler) nachsitzen….Busfahrzeiten hat da niemanden interessiert, denn der Schüler hatte eben selber Schuld…..und konnte dann sehen, wie er nach Hause kam….
Ist übrigens vom Schulgesetz §53 NRW legitimiert…..

Ein Mindestmaß an Disziplin ist schon wünschenswert, fällt aber offenbar nicht vom Himmel….
Das A und O erscheint mir das passende Classroommangement

Und mit Lemov kennt sich @blau ja bestens aus, so oft wie er/sie davon schreibt…..(nach einigen Videos bin ich auch ganz angetan davon…..)

Karo
7 Stunden zuvor
Antwortet  Redaktion

An meiner Schule (Gemeinschaftsschule im gebundenen Ganztag 8.00h – 15.45h) erfolgt das Nachsitzen freitags ab12h (Schulschluss) bis 13.10h unter Aufsicht von zusätzlichen Fachkräften.
Diese zusätzliche beaufsichtigte Stunde gibt es nicht nur für Verspätungen sondern auch für versäumte Lernzeitaufgaben.
Die Eltern unterschreiben dies und andere Regeln bei der Anmeldung ihrer Kinder.
Wir Lehrer haben in dieser Zeit Teamsitzung/Dienstbesprechung u.ä.
So gibt es kein Problem mit zusätzlicher Arbeitzeit.