Traurige Statistik: Zahl von Kindeswohlgefährdungen zum dritten Mal auf Rekordwert

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WIESBADEN. Vernachlässigung und Gewalt: Rund 72.800 Kinder oder Jugendliche waren 2024 von Kindeswohlgefährdung betroffen. Binnen fünf Jahren stieg die Zahl um ein Drittel.

Traurig. Foto: Shutterstock

Die Zahl der Kindeswohlgefährdungen in Deutschland hat das dritte Mal in Folge einen neuen Höchststand erreicht. Im Jahr 2024 stellten die Jugendämter bei rund 72.800 Kindern oder Jugendlichen eine Gefahr durch Vernachlässigung, psychische, körperliche oder sexuelle Gewalt fest. Laut Statistischem Bundesamt stieg diese Zahl damit binnen fünf Jahren um fast ein Drittel (plus 31 Prozent).

Auch im Vergleich zum Vorjahr nahm die Zahl zu. Da 2023 verschiedene Jugendämter keine Daten geliefert hatten, wurde die Zahl damals nur geschätzt. Gegenüber diesem Schätzwert stieg die Fallzahl 2024 um acht Prozent, gegenüber den gemeldeten Fällen sogar um 14 Prozent. Im Vorfeld hatten die Jugendämter rund 239.400 Verdachtsfälle geprüft.

Was über die Fälle bekannt ist

  • Etwa jedes zweite betroffene Kind war jünger als neun Jahre, jedes dritte sogar jünger als sechs Jahre.
  • Die meisten betroffenen Minderjährigen wuchsen bei beiden Eltern gemeinsam (38 Prozent) oder einem alleinerziehenden Elternteil (37 Prozent) auf.
  • In knapp jedem dritten Fall wurde mindestens ein Elternteil im Ausland geboren und die Familiensprache war nicht Deutsch.
  • Am häufigsten wurden Anzeichen von Vernachlässigung festgestellt. Danach folgten Hinweise auf psychische Misshandlungen. Bei gut einem Viertel gab es Indizien für körperliche Misshandlungen, bei sechs Prozent für sexuelle Gewalt.
  • Die Kindeswohlgefährdung ging in 75 Prozent aller Fälle von einem Elternteil aus. Nur bei vier Prozent war es ein neuer Partner und in sechs Prozent andere Personen wie Verwandte, Pflegeeltern, Trainer oder Erzieher.
  • Meist kam der Hinweis von Polizei und Justiz. Danach folgte das Umfeld – etwa Verwandte oder Nachbarn – und Institutionen wie die Schule. Nur in zwei Prozent der Fälle kam der Hinweis von den Minderjährigen selbst und in sieben Prozent von den Eltern.
  • Um die Gefährdungssituation zu beenden, wurde in 91 Prozent der Fälle eine Hilfe oder Schutzmaßnahme vereinbart. News4teachers / mit Material der dpa

Kinderhilfswerk: Deutschland verletzt Kinderrechte – auch im Bildungssystem

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Karl Heinz
18 Stunden zuvor

Da es vermutlich landauf landab immer wieder das Gleiche sein dürfte, wie Jugendämter versuchen sich um ihre Pflichten zu drücken, würde ich gern in dem Zusammenhang mal fragen

  • wann beginnt eine Kindeswohlgefährdung – vor allem bei Vernachlässigung, und psychischer Gewalt?
  • was sollte eine sachgemäße Meldung an das JA alles enthalten um ernst genommen zu werden?
  • ab wenn MUSS das JA reagieren – und in welchem Umfang? Eine Familienhilfe, die 1-2 mal die Woche dahin guckt und auch nur die Verfehlungen dokumentiert, die dann beim JA zu keiner weiteren Reaktion führen, dann hilft das ja auch niemanden. Oft heißt es auch, dafür sei man gar nicht zuständig. Ich würde da gern bei dem ein oder anderen anstehenden Hilfegespräch fundiert widersprechen wollen…
TaMu
2 Stunden zuvor
Antwortet  Karl Heinz

https://buendnis-kinderschutz-mv.de/cms/upload/Publikationen/Veranstaltungen/KWG_und_8a_-_Donner.pdf

Das Bündnis Kinderschutz hat in dieser Publikation sehr gut dargestellt, was unter Kindeswohlgefährdung verstanden wird und wie damit umgegangen werden muss.

Die Gefährdung wird gemeinsam mit mehreren Fachkräften, also auch Lehrkräfte und Erzieher/ Erzieherinnen, sozialpädagogische Fachkräfte, die zu der Familie nach Hause gehen, insofern erfahrenen Fachkräften, die speziell und unabhängig auf kritische Situationen schauen und eventuell involvierten Therapeuten oder Kinder- und Jugendärzten festgestellt, das heißt, unter mehr als vier Augen. Selbstverständlich werden die Kinder je nach Alter auch selbst angehört, um zu ermitteln, was das Kind selbst als hilfreich in der Situation empfindet. Das ist natürlich zeitaufwendig. Kinder werden nur bei unmittelbarer Gefahr für Leben und Gesundheit oder die sexuelle Selbstbestimmung aus Familien genommen und kurzfristig außerhalb untergebracht und auch dann, wenn sie es sich selbst wünschen. Es wird ansonsten eine Fachkraft in die Familie geschickt, die über mehrere Monate und mehrmals wöchentlich mit der Familie an der jeweiligen Situation arbeitet, so dass die Familie ein neues und den Kinderschutz- Grundlagen entsprechendes Miteinander entwickeln kann. Das wird durch eine enge Zusammenarbeit mit dem Träger und dem Jugendamt unterstützt und auch geprüft und ist häufig erfolgreich. Sehr viele Familien nehmen diese Unterstützung gerne an und erleben das neu entstehende Miteinander als sehr wertvoll.

Die immer höher werdenden Zahlen bezüglich Kindeswohlgefährdung liegen auch an der erhöhten Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, in den Schulen und Betreuungseinrichtungen und sind deshalb eher „positiv“ zu sehen, da viel früher und sensibler reagiert wird. Es wird auch vom Kinderschutzbund davon ausgegangen, dass früher viel seltener Gefährdungen gemeldet wurden und dass bei vielem weggeschaut und als Privatangelegenheit von Familien gesehen wurde, zum Beispiel dauerndes Anschreien oder Klapse.
Es ist also nicht so, dass es immer mehr Kindeswohlgefährdungen gibt, sondern viel mehr Meldungen, häufig sogar durch die betroffenen Kinder, die in Einrichtungen erfahren, dass es nicht in Ordnung ist, wie sie zuhause behandelt werden und dass ihnen Hilfe zusteht.

Je nachdem, wie intensiv Sie mit einem betroffenen Kind zu tun haben, können Sie möglicherweise bei den Hilfsgesprächen konstruktive Beiträge leisten, wenn Sie sich an die entsprechende Stelle beim Jugendamt wenden. Je älter das Kind oder der/ die Jugendliche, entscheidet dieses mit, wer gehört werden soll. Es geht immer um das Wohl des Kindes, das dieses anders sehen kann, als ein Erwachsener.

blau
2 Stunden zuvor
Antwortet  Karl Heinz

Bei Meldung müssen die wenigstens mal vorbeischauen

potschemutschka
1 Stunde zuvor
Antwortet  Karl Heinz

Ich hatte während meiner Berufstätigkeit immer wieder Kontakt zum Jugendamt.
Ein Problem, welches ich dabei hatte und welches, nach meiner Einschätzung, die Arbeit sehr erschwerte, war der Datenschutz. Wir Lehrer, Erzieher und Sozialarbeiter wurden deshalb nicht über relevante Dinge (die Familien betreffend) informiert. Dabei kannten wir die Kinder/Jugendlichen meist besser (wir sahen sie ja fast täglich), als die jeweiligen Mitarbeiter des JA. Ein besserer Datenaustausch wäre deshalb sicher besser. Ich verstehe nicht, warum da der Datenschutz ein Hindernis sein kann, alle Seiten sind doch berufsbedingt zum Schweigen verpflichtet. Der Fall dringt also nicht nach außen. Wie soll man aber effektiv helfen, wenn man auch untereinander nicht alle Fakten kennt? Darauf angesprochen, erklärte die Mitarbeiterin des JA: “Wenn wir Ihnen das erzählen, haben die Eltern kein Vertrauen mehr zum JA:” ???
Das zweite Problem – der Personalmangel/Zeitmangel des JA.
Drittens, die Mitarbeiter des JA müssen sich bei den Familien zu einem Hausbesuch vorher anmelden und müssen auch nicht in die Wohnung gelassen werden. Sie erhalten so auch kein objektives Bild zu den Verhältnissen dort.
Vor ein paar Jahren besuchte ich eine Fortbildung zum Thema “Kindeswohlgefährdung”, durchgeführt von einem Polizei-Komissar diese Bereiches. Es war erschütternd, was er uns aus seiner Arbeit erzählte und die Bilder, die er uns zeigte spuken heute noch manchmal in meinem Kopf herum. Ich war froh, dass die damalige Erzieherin zu dieser Fortbildung kurzfristig nicht mitkonnte. Sie war noch sehr jung und gerade schwanger. Sie hätte das nicht verkraftet. Eine Aussage des Polizisten blieb bei mir hängen: “Wenn Sie einen starken Verdacht auf Kindeswohlgefährdung haben, dann rufen Sie gleich die Polizei! Wir kommen in die Wohnungen, das Jugendamt nicht!”

Gelbe Tulpe
2 Stunden zuvor

Das ist dann wohl der Preis von mehr Globalisierung, marktkonformer Demokratie und Arbeitsangebotserhöhung zur Lohnsenkung. Armut schafft soziale Probleme, das ist nicht neu.