Urteil: In Bayern dürfen die Bürger nun über Studiengebühren abstimmen

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MÜNCHEN. Bringt dies das endgültige Aus für Studiengebühren in Deutschland?  Der Verfassungsgerichtshof in München lässt ein Volksbegehren gegen Studiengebühren in Bayern zu. Stimmen die Bürger im Freistaat dagegen, dann dürfte sich das Thema bundesweit erledigt haben.

Der bayerische Verfassungsgerichtshof hat mit seinem Urteil ein bildungspolitisches Erdbeben ausgelöst. Foto: Richard Huber / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)
Der bayerische Verfassungsgerichtshof hat mit seinem Urteil ein bildungspolitisches Erdbeben ausgelöst. Foto: Richard Huber / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Überraschung im Münchner Justizpalast: Der Verfassungsgerichtshof hat das Volksbegehren der Freien Wähler gegen die Studiengebühren an Bayerns Hochschulen zugelassen. Das Innenministerium hatte den Richtern den Fall vorgelegt, weil es das Volksbegehren für verfassungswidrig hält. Gerichtspräsident Karl Huber sagte jedoch bei der Urteilsverkündung: «Es steht nicht im Widerspruch zu Artikel 73 der bayerischen Verfassung.»

Der Artikel besagt, dass Volksentscheide über den Staatshaushalt nicht zulässig sind. Die Studiengebühren sind Teil der Hochschulfinanzierung im Staatshaushalt.

Huber begründete das Urteil damit, dass die Studiengebühren im Haushalt nur «Durchlaufposten» seien (Az. Vf. 57-IX-12). «Sie fließen nicht in den allgemeinen Staatshaushalt.» Die Hochschulen hätten eigene Haushalte und könnten daher selbst entscheiden, ob und in welchem Umfang sie diese Einnahmen nutzen. Das Budgetrecht des Freistaats sei daher nicht berührt. Zwei Richter gaben ein Sondervotum ab, weil sie das Volksbegehren für verfassungswidrig halten.

Selbst SPD und Grüne hatten ein Scheitern erwartet

Im Landtag hatten nicht nur CSU und FDP, sondern auch SPD und Grüne ein Scheitern der Freien Wähler erwartet. Bayern und Niedersachsen sind die einzigen Bundesländer, die noch Studiengebühren erheben. Stimmen die bayerischen Bürger dagegen, wird sich in den Reihen der Union kaum mehr eine Initiative für die Wiedereinführung regen. SPD, Grüne und Linke wollen das Volksbegehren nun unterstützen, wie die Parteien mitteilten.

Die Freien Wähler müssen nun das Volksbegehren organisieren. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) will die vierzehntägige Eintragungsfrist entsprechend den gesetzlichen Regeln bis spätestens 19. November 2012 festsetzen. Diese beginnt frühestens acht und spätestens zwölf Wochen nach der Veröffentlichung im Staatsanzeiger, wie das Ministerium mitteilte. Das Volksbegehren würde somit im Januar oder Februar stattfinden.

Für ein erfolgreiches Volksbegehren müssen sich innerhalb der zwei Wochen zehn Prozent der bayerischen Bürger in Unterschriftenlisten eintragen. Falls die Freien Wähler Erfolg haben, kann die Regierungsmehrheit von CSU und FDP jedoch im Landtag entscheiden, ob sie das Volksbegehren annimmt oder nicht. Sollte die Koalition es ablehnen, käme es in der letzten und entscheidenden Stufe zum Volksentscheid. Dabei wären dann alle Bürger aufgerufen, über die Abschaffung der Studiengebühren zu entscheiden – die einfache Mehrheit genügt.

Seehofer hatte bereits mit der Abschaffung geliebäugelt

Die Freien Wähler reagierten naturgemäß erfreut auf das Urteil. «Das ist ein Sieg für die Studierenden», sagte Generalsekretär Michael Piazolo. «Wir fordern die Staatsregierung auf, jetzt die Studiengebühren von sich aus zu beseitigen.» Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sei flexibel – «vielleicht kann er die Studiengebühren gleich in der Donau versenken», scherzte Piazolo.

In der Staatsregierung hatte Seehofer bereits im vergangenen Jahr mit der Abschaffung der Studiengebühren geliebäugelt, die CSU-Landtagsfraktion leistete jedoch Widerstand. Die CSU könnte über die Zukunft der Studiengebühren ohnehin nicht allein entscheiden – die FDP-Fraktion will die Gebühren behalten. Für die Gebühren kämpft auch die CSU-Studentenorganisation RCDS. Falls das Volksbegehren die Zehn-Prozent-Hürde nehme, erwarte sie von den Regierungsfraktionen, es im Landtag abzulehnen, forderte die RCDS-Vorsitzende Carmen Langhanke.

Falls die Studiengebühren kippen, würden die bayerischen Hochschulen nach Angaben der Freien Wähler jährlich etwa 150 Millionen Euro weniger einnehmen. Dafür müsse dann die Staatsregierung «vollen Ersatz» leisten, sagte Piazolo.

Der CSU-Landtagsabgeordnete Winfried Bausback war als Vertreter des Landtags bei der Urteilsverkündung. «Wir werden das weitere Vorgehen sehr genau überlegen», sagte er. «Dass sich an den Hochschulen durch die Studienbeiträge sehr viel positiv entwickelt hat, kann niemand bestreiten.» In Nordrhein-Westfalen habe die rot-grüne Landesregierung die Studiengebühren gestrichen, die Einbußen der Hochschulen aber nicht voll ausgeglichen. «Wir haben als Freistaat Bayern auf jeden Fall den Anspruch, dass unsere Hochschulen an der Spitze stehen.» dpa
(22.10.2012)

Zum Bericht: „Forscher: Gebühren mindern Studierneigung nicht“

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