Grausam oder unersetzlich? In München kocht der Streit um Tierversuche hoch

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MÜNCHEN. Für Forscher sind Tierversuche unverzichtbar, die Gegner halten sie für grausam und unnötig. Dabei steigt die Zahl der Versuchstiere weiter an. In München entstehen gerade zwei große neue Labors – Tierschützer protestieren.

Tierversuche sind mittlerweile zum Tests von Kosmetika verboten. Foto: www.understandinganimalresearch.org.uk / flickr (CC BY 2.0)
Tierversuche sind mittlerweile zum Tests von Kosmetika verboten. Foto: www.understandinganimalresearch.org.uk / flickr (CC BY 2.0)

Die Bilder wecken Emotionen: Versuchstiere in Käfigen, Mäuse unter grellen Lampen, Äffchen mit Elektroden am Kopf. Einig sind Forscher und Tierschützer, Politiker und Industrie, dass so wenig Tiere wie möglich für Versuche herhalten sollen. Computersimulation, Zellkulturen und Tests im Reagenzglas bieten in vielen Fällen bereits eine Alternative. Dennoch nimmt die Zahl der Versuchstiere weiter zu. In München sorgt der Neubau zweier Labors mit Zehntausenden Tieren daher für Proteste. «München ist nur eines von vielen Beispielen», sagt die Sprecherin von «Ärzte gegen Tierversuche», Silke Bitz. Große Zentren gibt es auch in Berlin, Düsseldorf, Hannover, Heidelberg, Göttingen, Tübingen und Freiburg – überall, wo biomedizinische Forschung stattfindet. Der Verband nennt München aber als eine der schlimmsten Hochburgen. An der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) entsteht ein neues BioMedical Center für Grundlagenforschung, in dem Lehrstühle zusammenziehen und so bestehende Einrichtungen gebündelt werden sollen. Bis zu 9000 Käfige für gut 50 000 Mäuse und andere Nager sowie bis zu 1700 Käfige für Krallenfrösche sind vorgesehen. «Durch die moderne Infrastruktur – unter anderem die Möglichkeit, alternative Methoden zu Tierversuchen zu nutzen – werden die für die Grundlagenforschung notwendigen Tierversuche der einziehenden Institute reduziert», verspricht die LMU. Am Klinikum Rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM) soll ab 2014, finanziert von Bund und Ländern, ein Forschungszentrum für Translationale Onkologie gebaut werden. Forschungsergebnisse sollen dort auf kurzem Weg rasch in die Patientenversorgung umgesetzt werden. Auf 700 Quadratmetern werden dann, so der Plan, bis zu 36 000 Mäuse und 800 Ratten leben, darunter genveränderte Tiere. Diese brächten gerade bei onkologischen und immunologischen Fragen Erfolge, erläutert die TUM. An Tieren werden nicht nur Medikamente ausprobiert, sondern auch Dialysetechniken, Impfungen, Bypass-Operationen und neue Gelenke. Hunde bekamen Zahnimplantate und künstliche Hüften. Affen wurden Schweineherzen eingepflanzt. Ob Xenotransplantationen – tierische Organe für Menschen – je den Organmangel lösen werden, ist fraglich. Bei Unbedenklichkeitsprüfungen von Gebrauchsgütern wie Farben oder Pestiziden, aber auch vor der Marktzulassung von Medikamenten sind Tierversuche gesetzlich vorgeschrieben. «Bestimmte Dinge kann man nur am Gesamtorganismus sehen», sagt Rolf Hömke vom Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa). «Eine Zellkultur hat keinen Blutdruck, eine Zellkultur hat keine Immunsystem», erläutert Hömke. «Meine erste Frage an einen Tierexperimentator wäre nicht: Haben Sie viele Versuchstiere? Sondern: Gehen Sie mit den Tieren gut um?» Gerade Forschung brauche Tiere, denen es gut gehe. «Mit einem ungestressten Tier hat man aussagefähigere Messergebnisse.» Die Unternehmen im vfa, deutsche und ausländische forschende Pharmafirmen, brauchten pro Medikament weniger Tiere, sagt Hömke. Deren Zahl sank von 2001 bis 2011 um vier Prozent, obwohl 46 Prozent mehr Forschungsgelder ausgegeben wurden, es also mehr Forschung gab. «Bei den gesetzlich vorgeschriebenen Tierversuchen gehen die Zahlen erfreulicherweise zurück», sagt auch Bitz. Alternativ-Methoden seien billiger, schneller und zuverlässiger. Insgesamt aber steigen die Versuchstierzahlen. 2011 wurden laut Verbraucherschutzministerium 2,9 Millionen Wirbeltiere verwendet, 1,9 Prozent mehr als im Vorjahr – und 60 Prozent mehr als im Jahr 2000. Gegner halten Tierversuche für ganz überflüssig. «Es gibt eine ganze Bandbreite von tierversuchsfreien Forschungsmethoden etwa an Zellen, es gibt ausgeklügelte Computermodelle, da kann man den ganzen Verlauf mit einer Substanz durchspielen und Stoffwechselvorgänge und Nebenwirkungen im menschlichen Körper digital nachahmen», sagt Bitz. Wissenschaftler entwickeln hier ständig neue Methoden. Gerade wurde eine an der Freien Universität Berlin entwickelte künstliche Haut prämiert, die allergisch reagieren kann. Einen Preis gab es auch für die Idee, Tierversuche durch Lungenstückchen zu ersetzen, die bei OPs übrig bleiben. Sie werden laut vfa-Sprecher Hömke verwendet, um zu erkennen, was bei Lungeninfektionen geschieht. Eine wichtige Rolle spiele auch die Bildgebung. Anstatt Tiere nach einem Forschungszyklus zu töten und zu sezieren, um Heileffekt oder Nebenwirkung von Mitteln zu prüfen, werden sie betäubt und per Computertomographie untersucht. Die «Ärzte gegen Tierversuche» kritisieren, Tierversuche seien nicht nur grausam. «Tierversuche sind für uns gefährlich, weil sie eine falsche Sicherheit vorgaukeln», sagt Bitz. «Im Tier kann man seit Jahrzehnten Krebs heilen – das hat mit der menschlichen Erkrankung einfach nichts zu tun.» Hömke hingegen sagt, viele Medikamente wirkten bei Tier und Mensch gleich. Nicht alles sei übertragbar, dennoch verbesserten Tests an Tieren vor klinischen Studien an Menschen deren Schutz. «Ich bin diesen Menschen schuldig, dass ich nichts unversucht lasse, Schaden von ihnen abzuwenden.» Im Kosmetikbereich muss es inzwischen ohne Tierversuche gehen. Shampoo, Deo oder Creme – seit März dürfen in der EU keine Kosmetika mehr verkauft werden, die an Tieren getestet wurden. SABINE DOBEL, dpa

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