STUTTGART. Das Thema Homosexualität im Unterricht treibt die Menschen auf die Straße. Auf der einen Seite warnen sie vor «Gender-Wahn» der Landesregierung. Die andere Seite baut auf Aufklärung.
Sie steht mit einem Plakat auf dem Schlossplatz, er mit einer Regenbogenflagge auf dem Markt. Sie sieht die Familie als Kern der Gesellschaft bedroht, er möchte Normalität für Homosexuelle. Beide gehen an diesem Samstagmittag auf die Straße, um ihre Meinung zum grün-roten Bildungsplan kundzutun. Die geplante Aufwertung des Themas sexuelle Vielfalt im Unterricht an Baden-Württembergs Schulen bewegt die Menschen. Die Extremsten auf beiden Seiten müssen später sogar von Polizisten auf Pferden auseinandergehalten werden. Stuttgart ist wieder Demostadt.
Sie ist Mutter von drei Kindern. Ihren Namen möchte die Stuttgarterin nicht nennen. Ein Transparent hat sie gestaltet. «Nein zur Bevormundung von Eltern» steht drauf. Der Bildungsplan der grün-roten Landesregierung sei nicht ausgewogen, diskriminiere einseitig die Familie. «Dabei ist die doch der Kern unserer Gesellschaft.» Auf der Bühne hinter ihr, fordert gerade jemand, «dass die Eltern die Kinder erziehen und nicht der Staat». Auf Transparenten steht «Biologie statt Gender-Wahn».
Darum gehe es ja auch gar nicht, sagt er auf dem Marktplatz. Normalität müsse das Ziel sein, für Homosexuelle, für alle. Holger Edmaier ist Musikkabarettist. Seinen Namen zu nennen, damit hat er «überhaupt kein Problem». Es sei wichtig, dass sich jemand dafür einsetze, dass das Thema Homosexualität im Unterricht seinen Platz findet. Wenn Schüler zum Beispiel erführen, dass Tschaikowsky schwul war oder andere – «dann sehen sie: Ich bin nicht allein damit.» Der Begriff sexuelle Vielfalt gefällt ihm übrigens nicht. «Besser wäre partnerschaftliche Vielfalt», sagte er. «Darum geht es doch.»
Um ihn herum wehen Regenbogenflaggen. «Homophobie ist heilbar» steht auf einem Plakat. Und Christoph Michl, Sprecher der Interessensgemeinschaft Christopher Street Day (CSD), beschwört am Rednerplatz das «volle Vertrauen» in die Landesregierung. Die dürfe «bloß nicht einknicken», sagt Michel in die TV-Kamera. Zuvor appelliert er an die 400 Menschen auf dem Marktplatz, eben nicht zum Schlossplatz zu ziehen und die Konfrontation zu suchen. «Wir dürfen den Bogen nicht überspannen.» Aufklären, Ängste nehmen, Thema versachlichen. Und das Ziel? «Akzeptanz und Toleranz in die Gesellschaft bringen.» Lehren könne man das eben dort am besten, «wo es noch fruchtet».
Auf dem Schlossplatz warnen sie derweil vor «Umerziehung» und «Indoktrination». «Schützt unsere Kinder vor den grünen Gesinnungsterroristen», hat ein Vater von fünf Kindern auf sein Plakat geschrieben. Seinen Namen möchte er nicht nennen. Die Landesregierung ignoriere schlicht «biologische Wahrheiten», sagt er. Ein Stück weiter steht eine Frau, die extra aus Duisburg angereist ist. «Keine Sex-Diktatur an Schulen», steht auf ihrem Plakat. «Ich stehe für meine Enkel hier», sagt sie. «Sie sollen keinen Schock bekommen.» ROLAND BÖHM; dpa
Zum Bericht: Kretschmann: Staat will niemanden zur Homosexualität erziehen
