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Die allermeisten Deutschen lieben Deutschland – viele aber schließen Muslime aus

BERLIN. 25 Jahre nach dem Mauerfall definiert sich Deutschland vor allem über die Wiedervereinigung. Dass der Nationalsozialismus sich tief in die nationale Identität eingebrannt hätte und bis heute keine positive Identifikation mit der Nation zulasse, ist ein Mythos – das Gegenteil ist richtig. Eine starke emotionale Verbundenheit und eine Aufwertung nationaler Identität führen allerdings auch zu aussondernden Einstellungen gegenüber der größten religiösen Minderheit – den Muslimen. Dies sind Ergebnisse einer Studie des „Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM)“ der Humboldt-Universität zu Berlin.

Die deutsche Identität ist nicht mehr von der Nazi-Zeit bestimmt. Foto: Will Palmer / Flickr (CC BY 2.0)

Die Bevölkerung in Deutschland hat ein positives Selbstbild und identifiziert sich stark mit ihrem Land. Je stärker jedoch die Identifikation, desto größer ist auch das Potenzial zum Ausschluss, was am Beispiel der Einstellungen gegenüber Muslimen deutlich wird. Dies zeigen erste Ergebnisse einer repräsentativen Studie mit dem Titel „Deutschland postmigrantisch“, die an der Humboldt-Universität zu Berlin im Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) mit über 8200 Befragten durchgeführt und von der Stiftung Mercator gefördert wurde.

„Deutschland ist durch Migration demografisch vielfältiger geworden, und die Gesellschaft handelt ihre kollektive Identität neu aus. ‚Postmigrantisch‘ richtet den Blick auf die Gestaltung der Gesellschaft nach erfolgter Einwanderung“, so Dr. Naika Foroutan, stellvertretende Direktorin des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) und Leiterin der Forschungsgruppe JUNITED, die diese Studie an der Humboldt-Universität zu Berlin durchgeführt hat.

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„Vorurteile und Stereotype verhindern gesellschaftlichen Zusammenhalt und Teilhabe. Die pauschalen und negativen Einstellungen, die die Studie gegenüber Musliminnen und Muslime festgestellt hat, bergen eine große Gefahr für das gute Miteinander in Deutschland. Genau aus solchen falschen wie einfachen Bildern versuchen gerade rechtspopulistische Parteien Kapital für ihre menschenfeindlichen Ziele zu schlagen. Deshalb müssen wir alle – auch und insbesondere die Politik – den falschen Bildern, den Vorurteilen und Stereotypen entschieden entgegentreten“, so Aydan Özoğuz, Kuratoriumsvorsitzende des BIM und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration im Bundeskanzleramt.

Eine deutliche Mehrheit (85 Prozent) der Bevölkerung sagt: „Ich liebe Deutschland“. Ausgangspunkt dieses positiven Selbstbildes ist die Wiedervereinigung. Sie stellt für 49 Prozent der Bevölkerung das historische Ereignis dar, welches Deutschland heute am besten beschreibt. Ereignisse im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg sind hingegen kaum mehr prägend für das Selbstbild (16 Prozent), und der Holocaust wird nur von 0,5 Prozent der Befragten genannt. Das widerspricht der jahrelang zementierten Wahrnehmung, Deutschland würde sich nur in einer negativen Identität wahrnehmen und könne dadurch nicht positiv mit seiner nationalen Identität umgehen. Dieser positive Bezug auf nationale Identität ist bei Anhängern aller politischer Parteien zu finden, wobei die Zustimmungswerte bei Wählern der Grünen und der Linken etwas geringer ausfallen.

Auch bei den Deutschen mit Migrationshintergrund ist die Verbundenheit mit Deutschland hoch: 81 Prozent geben an, Deutschland zu lieben und 77 Prozent fühlen sich deutsch. Fast jedem zweiten Deutschen mit Migrationshintergrund (47 Prozent) ist es wichtig, als deutsch gesehen zu werden – genauso viel wie bei den Deutschen ohne Migrationshintergrund (47 Prozent Prozent). „Wir sehen hier deutlich, dass sich die nationalen Identitätsbezüge wandeln und ausweiten – immer mehr Menschen nehmen für sich in Anspruch, deutsch zu sein, auch wenn ihre Namen anders klingen und ihre Vorfahren nicht immer hier lebten. Dies ist eine grundlegend neue Situation in Bezug auf die Definition nationaler Identität. Die Sehnsucht danach offenbart sich in vielfältigen positiven Bezügen. Es liegt jedoch auch eine Gefahr darin, wenn diese Bezüge mit einer Exklusion der ‚Anderen‘ einhergehen, die für die Selbstdefinition konstruiert werden und sich dann in stereotypen Vorstellungen niederschlagen“, so Prof. Dr. Jan-Hendrik Olbertz, Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin.

Deutschsein kann heutzutage erlernt und erworben werden, im Vergleich dazu spielen angeborene Merkmale eine geringere Rolle: Wichtig ist vor allem die Fähigkeit, deutsch sprechen zu können (97 Prozent), sowie der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit (79 Prozent). Trotzdem finden immerhin 37 Prozent der Bevölkerung weiterhin, dass deutsche Vorfahren wichtig sind, um Deutsche oder Deutscher sein zu können. Und über 40 Prozent der Bevölkerung sind der Meinung, man müsse dafür akzentfrei deutsch sprechen. Dieses sehr enge Verständnis von „korrekter Sprache“ als nationalem Kriterium offenbart eine fehlende Anerkennung der Realitäten einer Einwanderungsgesellschaft, in der die Dynamik der Veränderungen auch die Sprache vielfältiger werden lässt. Die Narrationen des Deutschseins bleiben an zentralen Punkten also immer noch exklusiv. Dies zeigt sich auch deutlich daran, dass 38 Prozent der Bevölkerung der Meinung sind, wer ein Kopftuch trage, könne nicht deutsch sein.

Winfried Kneip, Geschäftsführer der Stiftung Mercator, erklärt hierzu: „Die Studie zeigt am Beispiel von Einstellungen zu Muslimen auf, dass trotz eines insgesamt positiven Integrationsklimas Menschen mit Migrationshintergrund oft nicht als selbstverständlicher und gleichberechtigter Teil der Gesellschaft gesehen werden. Damit bestätigt sich die Dringlichkeit unserer Arbeit im Bereich Integration, in dem wir uns für chancengleiche Teilhabe aller in Deutschland lebender Menschen einsetzen.“

Exkludierende Vorstellungen in Deutschland werden am Beispiel der Stereotype gegenüber Muslimen – als der größten religiösen Minderheit – deutlich: Mehr als ein Viertel (27 Prozent) der Befragten denkt, dass Muslime aggressiver seien als sie selber, ein Drittel (30 Prozent) glaubt nicht, dass Muslime genauso bildungsorientiert seien wie ihre eigene Gruppe. Als eigene Gruppe wird auf Nachfrage auffallend oft (rund  40 Prozent) „wir Deutschen“, „die deutsche Bevölkerung“, „die deutsche Gesellschaft“ oder ähnliches genannt. Muslimisch und deutsch werden dabei überwiegend als Gegenkategorien wahrgenommen und Muslime aus dem „deutschen Wir“ herausdefiniert.

Die nicht-muslimische Bevölkerung hat eine ambivalente Haltung zu Muslimen als sichtbareren politischen Akteuren: Eine deutliche Mehrheit (67 Prozent) findet zwar, dass es das gute Recht von Muslimen in Deutschland ist, Forderungen zu stellen und ebenso viele sagen, man sollte Muslimen mehr Anerkennung entgegenbringen. Ein Fünftel (20 Prozent) der Bevölkerung aber ist der Meinung, wenn Muslime Forderungen stellten, dann sei dies ein Zeichen von Unverschämtheit und 17 Prozent empfinden dies als Zeichen von Undankbarkeit. Die Ambivalenz findet ihren Ausdruck vor allem in den Haltungen zu politisch diskutierten Themen um strukturelle, kulturelle, sozialräumliche und symbolische Anerkennung und Teilhabe: So sind 69 Prozent der Bevölkerung für den islamischen Religionsunterricht. Gleichzeitig wollen aber 60 Prozent der Befragten die Beschneidung von Jungen verbieten. Beinahe die Hälfte aller Deutschen (48 Prozent) findet, dass Lehrerinnen das Tragen des Kopftuchs nicht erlaubt sein sollte und 42 Prozent möchten den Bau von Moscheen einschränken.

Dort, wo die nationale Identität einen hohen Stellenwert einnimmt, ist die Bereitschaft, Muslimen kulturell-religiöse, sozialräumliche oder symbolische Rechte vorzuenthalten, signifikant höher. So möchten jene 46 Prozent, für die es besonders „wichtig ist, als Deutsche/r gesehen zu werden“ zu 68 Prozent die Beschneidung verbieten, zu 55 Prozent den Moscheebau und zu 56 Prozent das Kopftuch einschränken, während es bei jenen, bei denen die Wahrnehmung als deutsch keine Rolle spielt (51 Prozent) wesentlich geringere Werte sind: Gegen Beschneidung 54 Prozent, gegen Kopftuch 43 Prozent und gegen Moscheebau 35 Prozent. „Einstellungen müssen nicht zu Handlungen führen“, so Naika Foroutan, „aber hier ist Achtsamkeit geboten: Während die islamfeindlichen Einstellungen in der Bevölkerung quantitativ nicht ansteigen, nimmt die Handlungsbereitschaft zu, wie Moschee-Anschläge und die Hass-Attacken auf muslimische Einzelpersonen und Entscheidungsträger verdeutlichen. Die Qualität der Abwertungen, die auch aus der Mitte der Bevölkerung kommen, verschärft sich.“

Kontakte zwischen muslimischer und nicht-muslimischer Bevölkerung sind Teil des Alltags. Mehr als ein Drittel der Nicht-Muslime hat oft oder sehr oft Kontakt zu Muslimen im Bezugsraum Arbeit, ein Fünftel hat sehr viel Kontakt im Freundes- und Bekanntenkreis. Es zeigt sich, dass Personen, die in mindestens zwei Bezugsräumen (bspw. Arbeit und Freundes-/Bekanntenkreis) oft oder sehr oft Kontakt mit Muslimen haben, weniger stereotyp antworten als Personen, die weniger oder gar keinen Kontakt mit Muslimen haben. News4teachers

Zum Bericht: Studie macht Hoffnung: Deutschland auf dem Weg zu mehr Toleranz?

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