Geschichtsmythen in Schulbüchern: Warum der Ur-Deutsche Hermann nicht ur-deutsch ist

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BRAUNSCHWEIG. Ist es nicht schön, wenn Geschichte verbindet? Das funktioniert auch bei ganzen Völkern. Oft ist das, was die Menschen eint, ein Mythos. Der fühlt sich gut an, kann aber auch gefährlich sein.

Wer war eigentlich der erste Deutsche, historisch gesehen? Bis vor einigen Jahrzehnten war die Antwort von Schülern darauf relativ klar: Arminius der Cherusker, der früher auch Hermann genannt wurde. Er hatte doch um Christi Geburt die germanischen Stämme geeint und dann die Römer aus Mitteleuropa verscheucht, oder? In der Varusschlacht, die vermutlich bei Kalkriese (Gemeinde Bramsche, Kreis Osnabrück) stattgefunden hat, soll er die Grundlage der deutschen Identität gelegt haben.

Das ist der Mythos vom Ur-Deutschen. Vom 19. Jahrhundert bis zur NS-Zeit war dieser Gründungsmythos des deutschen Volkes weit verbreitet. «Man stellte es so dar, dass die Teilnehmer der Varusschlacht direkte Vorfahren der Deutschen waren», sagt Björn Onken, Historiker an der Universität Duisburg-Essen. Um den Nationalismus zu stärken, sei diese Geschichte ganz bewusst eingesetzt worden. Aus den Schulbüchern sei der Mythos endgültig erst in den 90er Jahren verschwunden.

„Hermannsdenkmal statue“ von Daniel Schwen - Eigenes Werk. Lizenziert unter Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 über Wikimedia Commons - http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hermannsdenkmal_statue.jpg#mediaviewer/File:Hermannsdenkmal_statue.jpg
Das Hermannsdenkmal bei Detmold – beliebtes Ausflugsziel von Schulklassen. (Foto: Daniel Schwen/CC A-SA 4.0 Wikimedia Commons)

Mythen wie diese haben immer eine Funktion. «Sie sind identitäts- und sinnstiftend oder sie legitimieren politische Ordnungen», sagt Susanne Grindel vom Georg-Eckert-Institut (GEI) für internationale Schulbuchforschung. Gerade in Krisen- und Umbruchzeiten sollen sie Zugehörigkeit erzeugen. Dadurch fanden Mythen den Weg in Schulbücher und prägten das Geschichtsbewusstsein von Generationen. Das geht nur schwer aus den Köpfen wieder raus.

Das GEI in Braunschweig veranstaltet eine Tagung zu solchen Geschichtsmythen. Am Freitag und Samstag wollten dort Historiker und Didaktiker unter anderem diskutieren, welche Funktion Mythen in Schulbüchern übernehmen und wie sie entzaubert werden können.

Dabei sind inzwischen viele Mythen aus dem Unterricht verschwunden. «Es ist nicht so, dass die Geschichtsbücher hoffnungslos veraltete Geschichten tradieren und Mythen weitergeben», sagt Grindel. Allerdings seien auch heute noch Reste von Mythen in Schulbüchern zu finden: «Unbeabsichtigt übriggeblieben.»

In manchen Schulbüchern blitzten bei der Kolonialgeschichte zum Beispiel Restbestände des Mythos vom hoffnungslos abgeschlagenen Kontinent Afrika auf. Das sei der Vereinfachung für jüngere Schüler geschuldet, sagt Grindel. «Differenzierter wird es oft erst in der Oberstufe».

Auch der sogenannte Führer-Mythos sei nach dem Krieg nur langsam aus den Schulbüchern verschwunden, sagt Christoph Kühberger von der Pädagogischen Hochschule Salzburg. Dabei geht es um ein bestimmtes Bild von der NS-Zeit. «Das sind Erzählungen, die Adolf Hitler zum wichtigsten Motor dieser Zeit machen.» Dadurch sei bei Schülern das Bild entstanden, dass die Gesamtverantwortung für die Verbrechen bei Hitler und einem kleinen Führungszirkel lag.

Aus dem Nationalsozialismus sei in vielen Schulbüchern Hitler-Deutschland geworden. Bis heute werde eine wahnsinnige, ins kriminelle handelnde Elite verantwortlich gemacht, sagt Kühberger. «Man schaut sehr unkritisch hin, wer eigentlich handelt.» Die Forschung sei nun aber breiter aufgestellt, sagt Kühberger. «Man weiß natürlich, dass nicht einige wenige Menschen verantwortlich sind, sondern dass breiteste Schichten involviert waren.»

Auch den Mythos von Arminius/Hermann, dem Ur-Deutschen, haben die Historiker entkräftet. Es habe damals überhaupt kein deutsches Zusammengehörigkeitsgefühl gegeben, sagt Onken. Das komme frühestens tausend Jahre später auf. Dazwischen habe es die große Völkerwanderung gegeben. «Da sind unglaublich viele Germanen auf der Wanderschaft.» Man wüsste deshalb gar nicht genau, welche Nachfahren der Kämpfer von Arminius in dieser Zeit nicht ausgewandert sind. Valentin Frimmer

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