Ärger um Bummel-Unterricht kurz vor den Zeugnissen jetzt auch in Norddeutschland

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HAMBURG. Die Noten stehen fest, die Sommerferien vor der Tür: In den Wochen vor der Zeugnisvergabe wird das Tempo an vielen Schulen gedrosselt. Wird deshalb nicht mehr richtig unterrichtet? Nachdem vor einigen Wochen deshalb Ärger in Bayern aufkam, gibt es nun auch Streit um Bummel-Unterricht in Norddeutschland.

Die Sommerferien stehen bevor - wer strengt sich dann noch an?  Foto: lubaib / Flickr (CC BY-NC-SA 2.0)
Die Sommerferien stehen bevor – wer strengt sich dann noch an? Foto: lubaib / Flickr (CC BY-NC-SA 2.0)

Filme gucken, Projektwochen, Ausflüge: Der Leerlauf in Schulen kurz von den Sommerferien im Norden wird zunehmend kritisiert. In den letzten Wochen vor der Zeugnisausgabe werde in vielen Schulen «faktisch kaum noch unterrichtet», sagte Mareile Kirsch, die sich in Hamburg für das Abitur nach 13 Jahren einsetzt. «Die Luft ist raus.» Dabei stünden die Schüler während des Schuljahres enorm unter Druck, müssten teilweise mehrere Klausuren innerhalb einer Woche schreiben. «Vertiefendes Lernen ist nicht möglich. Da ist ein Ungleichgewicht.»

Die Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW in Hamburg, Anja Bensinger-Stolze, spricht sich indes gerade vor den großen Ferien, die in Hamburg am Donnerstag beginnen, für Formen des «sozialen Lernens» aus. Kurz vor den Zeugnissen sinke zwar die Motivation der Schüler, dennoch könnte die Zeit sinnvoll für unterrichtsbezogene Ausflüge oder Projektwochen genutzt werden. Wie gehen wir miteinander um? Wie gestalten wir unsere Räume? Für Fragen wie diese bliebe während des Schuljahres häufig keine Zeit. Dass Schüler und Lehrer die letzten Wochen vor den Ferien vertrödeln, sieht Bensinger-Stolze nicht.

Ihr Kollege vom schleswig-holsteinischen Landesverband, Geschäftsführer Bernd Schauer, sieht das ähnlich. Projektwoche, Ausflug, sozialer Tag – «das ist ja kein Unsinn, sondern durchaus vernünftig». Wenngleich es schöner wäre, Aktionen wie diese auch im Schuljahr anzubieten, bliebe dafür meist keine Zeit. Der Zeitraum nach der Notenvergabe sei deshalb eine gute Lösung. In Schleswig-Holstein ist am 20. Juli Ferienbeginn.

«Sinnvolles Spielen ist nicht Rumdaddeln und Zeitverschwendung», sagt Miriam Colombo aus dem Vorstand der Elternkammer Hamburg. Zum Schuljahresende sei Zeit für Dinge, zu denen Lehrer und Schüler sonst nicht kämen. Gleichzeitig sollten Sinn und Ertrag dieser Unternehmungen jedoch hinterfragt werden.

Auch die Hamburger Schulbehörde beobachtet das Phänomen des auslaufenden Schuljahres. Man heiße es nicht gut, wenn im Unterricht nur noch «eine Art von Betreuung» stattfinde, sagte ein Sprecher. Filme und Ausflüge müssten in Bezug zum Unterricht stehen und anschließend in der Klasse besprochen werden. Aus dem Ministerium in Schleswig-Holstein heißt es: «Pädagogisch (…) ist diese Zeit nicht weniger wertvoll, als die Zeit vor den Zeugniskonferenzen.»

Laut Schulbehörde gibt es in Hamburg rund 240 000 Schüler, in Schleswig-Holstein sind es 378.000, teilte das Schulministerium mit. dpa

Zum Bericht: Verband kritisiert: Schulen gehen in „Gammelmodus“ über – Lehrer weisen Kritik zurück

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Mississippi
8 Jahre zuvor

In den Projektwochen bin ich immer ausgepowert. Die sind total anstrengend und man muss auch viel organisieren und vorbereiten. Ausflüge, Studienfahrten und Schullandheimaufenthalte gegen Ende des Schuljahres sollten die Kritiker doch mal durchführen und überlegen, ob das „Gammelmodus“ ist.

xxx
8 Jahre zuvor
Antwortet  Mississippi

Unter Gammelmodus wird alles verstanden, was kein regulärer Unterricht ist mit der Begründung, dass der effektive (Fakten-) Wissenszuwachs bei Projektwochen, Klassenfahrten, Ausflügen usw. sehr häufig geringer ist als bei regulärem Unterricht. Der organisatorische Arbeitsaufwand der Lehrer im Vorfeld oder während dessen wird gerne ausgeblendet.

dickebank
8 Jahre zuvor

Organisatorisches Problem von großen Einheiten. Ich möchte einmal erleben, wie die Eltern reagieren würden, wenn in der letzten Schulwoche noch Klassenarbeiten geschrieben würden, deren Ergebnisse versetzungsrelevant wären. Das Schuljahr endet ja nicht mit dem letzten Unterrichtstag sondern am 31.07. eines Kalenderjahres. Die zeugnisse würden dann über den Verwltungsweg als Postzustellungsurkunden zugestellt, die zeugniskonferenzen können nämlich auch ohne Weiteres nach dem letzten Unterrichtstag stattfinden.

Die rückgabe der ausgeliehenen Schulbücher muss auch nicht zwingend vor dem letzten Unterrichtstag erfolgen sondern kann in die erste Woche nach Unterrichtsende verlegt werden. Nachprüfungen werden ohnehin während der letzten Ferientage der Schüler vor Beginn des neuen Schuljahres angesetzt.

Grundsätzlich sind die langen unterichtsfreien Zeiten schon aus Gründen der kostenlosen Kinderbetreuung nicht mehr zeitgemäß. Neben den freien Tagen an den gesetzlichen Feiertagen würden zwei Wochen unterrichtsfreie Zeit vor Beginn des zweiten Schulhalbjahres und weitere drei Wochen nach Unterrichtsende des zweiten Schulhalbjahres vollkommen ausreichen. Im Gegenzug muss den Lehrkräften, wie allen anderen Arbeitnehmern zugestanden werden, dass sie über ihre Urlaubstage – in der Regel 30 Arbeitstage – in Abstimmung mit dem Arbeitgeber frei verfügen können. Des Weiteren muss das Prinzip des rollierenden Ferienbeginns in den Bundesländern aufgegeben werden. Beginn des zweiten Schulhalbjahres ist der 01. Februar, dananch zwei Wochen Schulferien und anschließend 23 Wochen Unterricht bis zum Ende der 30. Kalenderwoche. Hieran schließen sich dann drei wochen Sommerferien an, so dass die Schule am Anfang der 34. KW wieder beginnen kann. Die Wirtschaft kann sich mit Betriebsferien auf diese verbindlichen Ferientermine einstellen. Die tourismusbranche muss dann eben entsprechende kapazitäten vorhalten, damit alle Haushalte mit schulpflichtigen Kindern zeitgleich in den Urlaub starten können. So viel flexiblilität und marktgerechtes Verhalten kann man von Dienstleistern schließlich verlangen, vor allem dann, wenn sie anderen Ineffizienz vorwerfen.

Eventuell könnten die Schulträger auch steuerfinanziert mehr Verwaltungpersonal für Schulen abstellen, die die diversen Aufgaben am Ende eines Schuljahres den Lehrkräften abnehmen können, damit diese bis zum Ende der Unterrichtszeit effektiv ihrem Job nachkommen können. Klassenfahrten und Projektwochen sowie Schülerbetriebspraktika und Maßnahmen zur Berufsorientierung können auch von anderen Bildungsanbietern als der Schule in der Freizeit der Schüler und Schülerinnen angeboten werden, sofern ein entsprechender Bedarf besteht und von den Erziehungsberechtigten nachgefragt wird.