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Morddrohungen: Religionslehrerin und Buchautorin Kaddor muss sich aus Angst vor Rechtsextremen vom Schuldienst beurlauben lassen

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DINSLAKEN. „Ich beobachte eine völlige Enthemmung“, sagt Lamya Kaddor. Heißt konkret: Die Religionslehrerin und Buchautorin wird aktuell mit dem Tod bedroht. Sie erhält von Rechtsradikalen Massen von Hass-Zuschriften und Morddrohungen und hat sich deshalb, wie sie auf ihrer Facebook-Seite mitteilt, aus Sicherheitsgründen vom Schuldienst beurlauben lassen. Tatsächlich ist es – das belegen Recherchen von News4teachers – einmal mehr ein Blog, der sich als besondere Quelle von Beleidigungen und Gewaltaufrufen ausmachen lässt: Die von Rechtsextremisten offenbar gerne genutzte Seite „PI-News“, die auch schon nach der Prügelattacke gegen einen Zwölfjährigen in Euskirchen Hetze gegen Einwanderer verbreitet hatte, postet in ihrem Leserforum massive Beleidigungen gegen Kaddor.  

Die islamische Religionslehrerin Lamya Kaddor in einer Talkrunde der Heinrich-Böll-Stiftung. Foto: Heinrich-Böll-Stiftung / flickr (CC BY-SA 2.0)

Die Islamwissenschaftlerin, vor 38 Jahren im westfälischen Ahlen als Tochter syrischer Einwanderer geboren, ist eine wichtige Stimme des liberalen Islam in Deutschland – sie ist Mitbegründerin des Liberal-Islamischen Bundes und aus vielen Auftritten in Talkshows bekannt. In ihrem ersten Buch  „Zum Töten bereit: Warum deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen“ berichtete sie von ihren Erfahrungen als islamische Religionslehrerin, die mit jungen Menschen zu tun bekommt, die auf der Suche nach Anerkennung und Akzeptanz der Dschihad-Romantik verfallen. Tatsächlich zogen fünf ihrer Schüler, bekannt als „Lohberger Brigade“, für den Islamischen Staat in den Krieg im Irak und in Syrien. Seinerzeit bekam sie Anfeindungen aus dem islamistischen Lager zu spüren.

Durch ihr gerade erschienenes neues Buch „Die Zerreißprobe: Wie die Angst vor dem Fremden unsere Demokratie bedroht“ (rowohlt, 16,99 Euro) fühlen sich jetzt Rechtsextremisten provoziert. „Alle reden davon, wie Flüchtlinge, Einwanderer sich integrieren können – Lamya Kaddor dreht die Frage um: Muss sich nicht auch die Mehrheitsgesellschaft ändern? Geht es nicht für alle darum, liberale Grundsätze zu leben? Mit Sorge beobachtet Kaddor, dass die Angst vor den Flüchtlingen, dem Islam, die Demokratie in Deutschland schwächt; dass sich Denkweisen etablieren, für die die Beschränkung der Freiheit zugunsten einer angeblichen Sicherheit legitim ist“, so heißt es im Klappentext zum Buch. Seit der Veröffentlichung kocht die rechtsextreme Szene über.

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Lamya Kaddor: “Ich musste mich aus Sicherheitserwägungen vom Schuldienst beurlauben lassen, da das, was da grad gegen meine Person lanciert wird, nicht mehr berechenbar ist – und das nur, weil ich es gewagt habe, einen Blick in Sachen Integration auf die Mehrheitsbevölkerung zu richten.” Sie wolle sich aber nicht aus der Diskussion herausziehen, fügte Kaddor in dem sozialen Netzwerk hinzu.  Denn: “Es ist an der Zeit, gegen diese Stimmung im Land den Mund aufzumachen! Und auch die geistigen Brandstifter unter unseren ‘Intellektuellen’ in die Verantwortung für solche Entwicklungen zu nehmen!” Es würden Netzwerke geknüpft, die sich untereinander abstimmen und dann koordiniert Menschen belästigen, verunglimpfen, versuchen, Angst zu machen, einschüchtern. Darüber versuche sie aufzuklären.

Hetzseite “PI-News”

Gut zu beobachten ist das Phänomen im Blog „PI-News“, einem unter Extremisten weit verbreiteten Medium (PI soll für „politically incorrect“ stehen, also „politisch unkorrekt“). Die Hetzseite räumt einem Statement des türkischstämmigen Schriftstellers Akif Pirinçci – der vor Pegida-Demonstranten schon einmal von Deutschland als „Moslemmüllhalde“ gesprochen hatte – breiten Raum ein, in dem der gegen den liberalen Ansatz von Kaddor polemisiert.  Zitat: „Soll (..) heißen, man kann ja den Islam kritisieren, wie man will – selbstredend indem man zunächst manierlich den Arm hebt, mit den Fingern schnalzt und wartet, bis man von einem Moslem dazu aufgerufen wird -, bloß „hassen“ darf man ihn nicht. Wieso denn nicht?“ Er spricht Lamya Kaddor ab, sich ernstzunehmend öffentlich zu Wort melden zu können – weil sie von Beruf Lehrerin ist („im Gegensatz zu dir habe ich niemals vom deutschen Steuergeld gelebt, sondern im Gegenteil bereits Millionen an Steuern abgedrückt“).

Von den Lesern von „PI News“ wird die platte Polemik begierig aufgenommen. Wir dokumentieren einige der Zuschriften (Fehler in den Originalen), um Ausmaß und Brutalität der rechtsextremen Psychoterror-Welle anschaulich zu machen. Aus Rücksicht auf Frau Kaddor bringen wir die übelsten der auf der Blog-Seite veröffentlichten Beleidigungen hier nicht:

In einem Leserforum von „PI-News“ nach einem Talkshow-Auftritt von Lamya Kaddor heißt es:

Zum presserechtlichen Hintergrund: Wenn in einem Leserbrief unwahre Tatsachen behauptet oder Menschen beleidigt werden, haftet grundsätzlich auch das verbreitende Medium. “PI-News” ist also für diese Posts verantwortlich – offenbar macht die Betreiber, zu deren Anzeigenkunden die vom Verfassungsschutz beobachtete “Identitäre Bewegung” gehört, allerdings niemand dafür verantwortlich. Deshalb lassen sie weiter hetzen.

Ein weiteres Beispiel aus dieser Woche: „PI-News“ zieht Verbindungen zum Euskirchener Fall einer lebensgefährlichen Prügelattacke auf einen Zwölfjährigen zu früheren Gewalttaten, bei denen Migranten als Täter ermittelt wurden. Und es veröffentlicht Leserzuschriften, die unverhohlen zu Gewalt gegen Einwanderer aufrufen – und gegen Lehrer hetzen. Agentur für Bildungsjournalismus

Zum Bericht: Wie Rechtsradikale den schrecklichen Fall von Euskirchen nutzen, um zu Gewalt gegen Migranten aufzurufen – und gegen Lehrer zu hetzen

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