DINSLAKEN. „Ich beobachte eine völlige Enthemmung“, sagt Lamya Kaddor. Heißt konkret: Die Religionslehrerin und Buchautorin wird aktuell mit dem Tod bedroht. Sie erhält von Rechtsradikalen Massen von Hass-Zuschriften und Morddrohungen und hat sich deshalb, wie sie auf ihrer Facebook-Seite mitteilt, aus Sicherheitsgründen vom Schuldienst beurlauben lassen. Tatsächlich ist es – das belegen Recherchen von News4teachers – einmal mehr ein Blog, der sich als besondere Quelle von Beleidigungen und Gewaltaufrufen ausmachen lässt: Die von Rechtsextremisten offenbar gerne genutzte Seite „PI-News“, die auch schon nach der Prügelattacke gegen einen Zwölfjährigen in Euskirchen Hetze gegen Einwanderer verbreitet hatte, postet in ihrem Leserforum massive Beleidigungen gegen Kaddor.
Die Islamwissenschaftlerin, vor 38 Jahren im westfälischen Ahlen als Tochter syrischer Einwanderer geboren, ist eine wichtige Stimme des liberalen Islam in Deutschland – sie ist Mitbegründerin des Liberal-Islamischen Bundes und aus vielen Auftritten in Talkshows bekannt. In ihrem ersten Buch „Zum Töten bereit: Warum deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen“ berichtete sie von ihren Erfahrungen als islamische Religionslehrerin, die mit jungen Menschen zu tun bekommt, die auf der Suche nach Anerkennung und Akzeptanz der Dschihad-Romantik verfallen. Tatsächlich zogen fünf ihrer Schüler, bekannt als „Lohberger Brigade“, für den Islamischen Staat in den Krieg im Irak und in Syrien. Seinerzeit bekam sie Anfeindungen aus dem islamistischen Lager zu spüren.
Durch ihr gerade erschienenes neues Buch „Die Zerreißprobe: Wie die Angst vor dem Fremden unsere Demokratie bedroht“ (rowohlt, 16,99 Euro) fühlen sich jetzt Rechtsextremisten provoziert. „Alle reden davon, wie Flüchtlinge, Einwanderer sich integrieren können – Lamya Kaddor dreht die Frage um: Muss sich nicht auch die Mehrheitsgesellschaft ändern? Geht es nicht für alle darum, liberale Grundsätze zu leben? Mit Sorge beobachtet Kaddor, dass die Angst vor den Flüchtlingen, dem Islam, die Demokratie in Deutschland schwächt; dass sich Denkweisen etablieren, für die die Beschränkung der Freiheit zugunsten einer angeblichen Sicherheit legitim ist“, so heißt es im Klappentext zum Buch. Seit der Veröffentlichung kocht die rechtsextreme Szene über.
Lamya Kaddor: “Ich musste mich aus Sicherheitserwägungen vom Schuldienst beurlauben lassen, da das, was da grad gegen meine Person lanciert wird, nicht mehr berechenbar ist – und das nur, weil ich es gewagt habe, einen Blick in Sachen Integration auf die Mehrheitsbevölkerung zu richten.” Sie wolle sich aber nicht aus der Diskussion herausziehen, fügte Kaddor in dem sozialen Netzwerk hinzu. Denn: “Es ist an der Zeit, gegen diese Stimmung im Land den Mund aufzumachen! Und auch die geistigen Brandstifter unter unseren ‘Intellektuellen’ in die Verantwortung für solche Entwicklungen zu nehmen!” Es würden Netzwerke geknüpft, die sich untereinander abstimmen und dann koordiniert Menschen belästigen, verunglimpfen, versuchen, Angst zu machen, einschüchtern. Darüber versuche sie aufzuklären.
Hetzseite “PI-News”
Gut zu beobachten ist das Phänomen im Blog „PI-News“, einem unter Extremisten weit verbreiteten Medium (PI soll für „politically incorrect“ stehen, also „politisch unkorrekt“). Die Hetzseite räumt einem Statement des türkischstämmigen Schriftstellers Akif Pirinçci – der vor Pegida-Demonstranten schon einmal von Deutschland als „Moslemmüllhalde“ gesprochen hatte – breiten Raum ein, in dem der gegen den liberalen Ansatz von Kaddor polemisiert. Zitat: „Soll (..) heißen, man kann ja den Islam kritisieren, wie man will – selbstredend indem man zunächst manierlich den Arm hebt, mit den Fingern schnalzt und wartet, bis man von einem Moslem dazu aufgerufen wird -, bloß „hassen“ darf man ihn nicht. Wieso denn nicht?“ Er spricht Lamya Kaddor ab, sich ernstzunehmend öffentlich zu Wort melden zu können – weil sie von Beruf Lehrerin ist („im Gegensatz zu dir habe ich niemals vom deutschen Steuergeld gelebt, sondern im Gegenteil bereits Millionen an Steuern abgedrückt“).
Von den Lesern von „PI News“ wird die platte Polemik begierig aufgenommen. Wir dokumentieren einige der Zuschriften (Fehler in den Originalen), um Ausmaß und Brutalität der rechtsextremen Psychoterror-Welle anschaulich zu machen. Aus Rücksicht auf Frau Kaddor bringen wir die übelsten der auf der Blog-Seite veröffentlichten Beleidigungen hier nicht:
- Und ob ich den Islam hasse. Und ich lasse auch keine Gelegenheit aus das seinen Anhängern immer wieder unter die Nase zu reiben. Warum ? Ganz einfach! weil ich den sozialen Frieden gefährden will!
- Hoffentlich wird die alte Hexe Lamya das auch lesen.
- Und was mir schon lange auf der Seele brennt, hämmert den linken Lumpen in die Maobibel, daß am Nationalsozialismus nicht das nationale, sondern der Sozialismus das faschistische Element war. Nur Sozialisten vernichten ihre Landsleute in Lagern und verhökern ihre Heimat an Heuschrecken. Kein Patriot würde so etwas tun. Ich suche eine nationalantisozialistische Bewegung, gibt es so was noch oder schon in Deutschland?
- Schiebt diesen islamgeilen Politdarstellern einen Korken in den Arsch, bis sie wegen ihren gepäppelten Islamfurz platzen!
- Wie weit denken eigentlich solche Frauen, die für ihre zukünftige Unterdrückung kämpfen?
- Danke Akif, dass du der dämlichen Plunze Kaddor den Marsch geblasen hast. Hatte auch schon mal das zweifelhafte „Vergnügen“, sie kennenzulernen. Unsäglich unerträglich, diese muslimische Kampf-Emanze!
- Als deutscher, konfessionsloser Humanist, Freidenker und Demokrat werde auch ich nicht tatenlos zusehen wie eine religiöse Minderheit unsere Gesellschaft gängelt, beschwert, drangsaliert und versucht diese zurück zu entwickeln und auch noch uns versucht eine Schuld hierfür einzureden. (Es folgt die E-Mail-Adresse von Frau Kaddor)
- Wer einen Funken Menschenliebe, Anstand, Vernunft, Freiheitsliebe, Zivilisation, Glauben an Gott, Heimatverbundenheit oder auch nur Selbsterhaltungstrieb hat, der kann den Islam nur ablehnen, hassen und verachten !
In einem Leserforum von „PI-News“ nach einem Talkshow-Auftritt von Lamya Kaddor heißt es:
- Die labbert einen Scheiß ………überheblich und sowas von strunze Dumm.
- Ein Land in dem eine solche Kreatur wie Frau Lahmarsch Kater ein Forum bekommt ist krank!
- Kaddor überhebliches Grinsen, sie fühlt sich dem Deutschen überlegen, Bessermensch, das ist der wahre, böse Muslim.
- Weshalb assoziiert Frau Kaddor mir unweigerlich den Begriff „Kodderschnauze“?
- Die Frau Kaddor ist das Sturmgeschütz der Islam-Propagandisten in Deuschland. (…) Die deutschen Fernsehsender sind Propaganda-Maulhuren des Islam, das entspricht dem Willen und den Zielen der Systemparteien CDU,CSU,SPD,FDP,Grüne und LINKE, die allesamt Deutschland abschaffen und eine EU-Diktatur einrichten wollen. Die Systemparteien überziehen uns mit Terror. Die Wähler der Systemparteien sind mitschuldig. Wann wachen diese Voll-Idioten und Schlafschafe endlich auf ?
- ….kann man nicht eine Petition gegen den öffentlichen Auftritt und die unerträgliche Quälerei des Publikums mit Optik, Stimme und geistigen Dünnschiss dieser penetranten . dümmlichen und äusserst fragwürdigen Pseudo-Wissenschaftlerin starten?
- Es hat doch gar keinen Zweck mit diesem Dreck zu diskutieren. Die Sache wird sich gewaltsam entscheiden und fertig.
- Nicht, daß wir demnächst Schlagzeilen bekommen „Islam-Lehrerin vergriff sich an Knaben!“.
Zum presserechtlichen Hintergrund: Wenn in einem Leserbrief unwahre Tatsachen behauptet oder Menschen beleidigt werden, haftet grundsätzlich auch das verbreitende Medium. “PI-News” ist also für diese Posts verantwortlich – offenbar macht die Betreiber, zu deren Anzeigenkunden die vom Verfassungsschutz beobachtete “Identitäre Bewegung” gehört, allerdings niemand dafür verantwortlich. Deshalb lassen sie weiter hetzen.
Ein weiteres Beispiel aus dieser Woche: „PI-News“ zieht Verbindungen zum Euskirchener Fall einer lebensgefährlichen Prügelattacke auf einen Zwölfjährigen zu früheren Gewalttaten, bei denen Migranten als Täter ermittelt wurden. Und es veröffentlicht Leserzuschriften, die unverhohlen zu Gewalt gegen Einwanderer aufrufen – und gegen Lehrer hetzen. Agentur für Bildungsjournalismus
