Sexueller Missbrauch: Bundesbeauftragter betont, Schulen können „gefährliche Orte“ sein

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BERLIN. Ist die Schule ein „gefährlicher Ort“, ein „Schauplatz sexueller Gewalt“? Dies jedenfalls berichtet (ohne Fragezeichen!) die Deutsche Presseagentur im Anschluss an eine Pressekonferenz des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig. Der stellte dort in Berlin seine neue bundesweite Initiative „Schule gegen sexuelle Gewalt“ vor, die „über 30.000 Schulen in Deutschland fachlich unterstützen und ermutigen soll, Konzepte zum Schutz vor sexueller Gewalt zu entwickeln und zum gelebten Schulalltag werden zu lassen“. Aber wie soll das gehen, wenn angeblich die Schulen selbst ein – großer – Teil des Problems sind?  

Bringt das Thema Missbrauch immer wieder auf die Tagesordnung: Johannes-Wilhem Rörig. Foto: www.rieken-fotografie.de / Unabhängiger Beauftragter
Bringt das Thema Missbrauch immer wieder auf die Tagesordnung: Johannes-Wilhem Rörig. Foto: www.rieken-fotografie.de / Unabhängiger Beauftragter

„Aufmerksamkeit statt Weggucken – das brauchen Mädchen, die Opfer sexueller Übergriffe eines Lehrers werden. Doch viele Schulen werden zum Ort des Abwiegelns. Um so länger und schwerer wird der Leidensweg der Opfer“, so heißt es in der dpa-Berichterstattung. „Bei den Opfern handelt es sich nicht um Einzelfälle.“ Keine Einzelfälle? Werden also systematisch Mädchen von Lehrern in der Schule missbraucht? Fallzahlen, die das belegen könnten, werden allerdings nicht präsentiert. Stattdessen erklärt Rörig: Lehrer hätten oft Angst, Kollegen falsch zu beschuldigen.

Oft stehe die Schulleitung nicht hinter konsequenter Aufklärung und Vorbeugung, sagt Catharina Beuster, die selbst als Schülerin Opfer von sexueller Gewalt durch einen Lehrer wurde, sich heute im Betroffenenrat beim Missbrauchsbeauftragten engagiert – und deshalb bei der Pressekonferenz zugegen ist. Sie meint, schon kleine Schritte, schon etwas mehr Aufmerksamkeit ihrer Umgebung hätten ihr als Schülerin helfen können. Alle Betroffenen würden solche Signale aussenden, sagt Catharina Beuster. Bis heute sei sie erschüttert über die „stumme Hilflosigkeit“ ihrer Umgebung. „Wenn eine Schülerin im Sommer mit Rollkragenpullover in die Schule kommt, macht sie das vielleicht auch, um Knutschflecke zu verdecken“, sagt Beuster. Leide eine Schülerin im Unterricht unter Konzentrationsmangel, könne das an den schlimmen Bildern von den Taten liegen, die immer wieder in ihr hochkämen.

„Schulen stehen nicht unter Generalverdacht, aber Schulen können gefährliche Orte sein“, sagt der Missbrauchsbeauftragte. Sexuelle Gewalt reiche von verbalen Äußerungen oder Übergriffen von Lehrern bis hin zu Vergewaltigungen. „Wir müssen davon ausgehen, dass in jeder Schulklasse mindestens ein bis zwei Kinder sind, die sexuelle Gewalt erlebt haben oder aktuell erleben.“

Das mag stimmten. Nur: Meist betreffen Verdachtsfälle die Schulen lediglich in dem Sinne, dass Lehrkräfte davon erfahren haben – die Täter sind nach wie vor am häufigsten in den Familien der Opfer zu finden. „An jeder 25. Schule und in jedem zehnten Heim wurde in den vergangenen drei Jahren ein Mitarbeiter verdächtigt, Kinder sexuell übergriffig behandelt zu haben, worunter alles von der verbalen Anmache über das Begrapschen bis zur Vergewaltigung zählt“, so hieß es in einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ von 2011. Wohlgemerkt: verdächtigt. Von flächendeckendem Missbrauch in den Klassenzimmern, gar Vergewaltigungen, kann also keine Rede sein.

Rörigs Projekt „Schule gegen sexuelle Gewalt“ ist groß angelegt. Alle Bundesländer beteiligten sich, und auch die GEW sowie der VBE sind mit im Boot. Rörig will erreichen, dass Verdachtsfälle nicht verschwiegen werden und die Schulleitungen den Kinderschutz zur Chefsache machen. Keine Schule solle am Ende mehr sagen können, sie sei vom Phänomen des sexuellen Missbrauchs überrascht worden, sagt Rörig. Betroffene Mädchen und Jungen bräuchten dringend Lehrer, die nachfragen statt abzuwiegeln. „Viele Lehrerinnen und Lehrer haben Angst vor Falschbeschuldigungen oder wissen nicht, was sie im Verdachtsfall tun können.“

„Thema enttabuisieren“

„Wir müssen das Thema enttabuisieren“, sagt die Chefin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marlis Tepe. Es gebe zu wenig Ansprech- und Beschwerdestellen sowie Fortbildungsangebote für Lehrer. Durch Informationsmaterial für alle Schulen, Aufklärung im Internet und Regionalkonferenzen sollen Lehrer und Schulleiter sensibilisiert werden. Ab dem Start am kommenden Montag (19. September) sollen zunächst die 6000 nordrhein-westfälischen Schulen erreicht werden. Bis Ende 2018 sollen alle Schulen mit Infomaterial ausgestattet werden.

Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) begrüßt die Initiative. „Sexuelle Gewalt an Mädchen und Jungen darf kein Tabuthema sein“, sagt sie. „Schule ist ein guter Ort, um mit Kindern zu sprechen, sie aufzuklären über Gefahren und mögliche Hilfen.“ Doch wohl kaum, wenn dort die Täter lauern. Agentur für Bildungsjournalismus

Zum Kommentar: Lehrer als Täter? Der Missbauchsbeauftragte missbraucht die Schulen für billige PR

 

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