BERLIN. Drei von vier Deutschen halten Schulnoten auch weiterhin für sinnvoll – im Osten mit 81 Prozent sogar noch mehr als im Westen mit 74 Prozent. Auch dass Schüler bei schwachen Leistungen «sitzenbleiben» müssen, finden mehr als 80 Prozent richtig (33 Prozent «sehr sinnvoll», 48 Prozent «eher sinnvoll»). Das ergab eine am Donnerstag veröffentlichte Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov unter 1024 Bürgern. Als eindrucksvolles Votum gegen eine Abkehr vom Leistungsprinzip an unseren Schulen wertete Heinz-Peter Meidinger, Vorsitzender des Deutschen Philologenverbandes, die Ergebnisse.
Knapp jeder vierte Befragte gab laut Umfrage zu, dass er in der Schule selbst mal eine «Ehrenrunde» (21 Prozent) oder sogar mehrere (3 Prozent) drehen musste. Der Rest brachte seine Schulkarriere – zumindest nach eigenem Bekunden – «unfallfrei» hinter sich. Männer waren mit 27 Prozent Sitzenbleibern häufiger betroffen als Frauen mit 21 Prozent. Nur jeder Fünfte gab in der Umfrage an, die Vergabe von Schulnoten «eher nicht sinnvoll» (14 Prozent) oder «gar nicht sinnvoll» (6 Prozent) zu finden. Bei Männern ist dieser Prozentsatz mit insgesamt 19 Prozent etwas niedriger als bei Frauen mit 22 Prozent.
An der Reduzierung von Schulleistungen auf Ziffern zwischen 1 und 6 gibt es seit langem Kritik. Noten gelten als ungerecht, anfällig für Verzerrungen und schlecht vergleichbar – daher gibt es immer wieder Bestrebungen, sie durch andere Bewertungsformen zu ersetzen. So verzichten Waldorfschulen und reformpädagogische Modellschulen bis zur Oberstufe auf Noten.
Niedersachsens Grundschulen dürfen von diesem Schuljahr an auf Zeugnis-Noten verzichten. Nach einem am 1. Juni in Kraft getretenen Erlass des Kultusministeriums können sie per Konferenzbeschluss entscheiden, ob sie Noten- oder Berichtszeugnisse erstellen. Wie viele Grundschulen jetzt ohne Noten arbeiten wollen, ist nicht bekannt. Schleswig-Holstein hatte als erstes Bundesland eine solche Regelung eingeführt; die Resonanz der Grundschulen blieb jedoch unter den Erwartungen: Nur 13,5 Prozent der Grundschulen in Schleswig-Holstein nutzen die neue Freiheit.
„Bundesländer, die wie Hamburg das Sitzenbleiben in ganzen Jahrgangsstufen komplett abgeschafft haben bzw. wie in Schleswig-Holstein und Niedersachsen den Grundschulen ermöglichen, komplett auf Noten zu verzichten, handeln gegen den Willen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung, gerade auch von Eltern und Schülern“, betonte nun Philologen-Chef Meidinger in Berlin. Die Abschaffung von Noten und das Verbot des Sitzenbleibens in einzelnen Bundesländern suggeriere den Betroffenen, auch ohne vergleichende Leistungsbewertung und ohne das Erreichen von Standards könne man in der Schule und damit letztlich später auch im Leben erfolgreich sein. Das sei aber ein großer Irrtum, so Meidinger, der auch Leiter eines Gymnasiums in Bayern ist.
„Zu einer erfolgreichen pädagogischen Arbeit gehört beides: Fördern und Fordern. Wer auf das Einfordern von Leistungen und Jahrgangsstufen-Standards verzichtet, der schadet den Zukunftschancen der Jugendlichen selbst am meisten“, bekräftigte Meidinger.
Abschließend erinnerte der Verbandschef an eine vom Philologenverband vor einigen Jahren selbst in Auftrag gegebene Meinungsumfrage, wonach auch die große Mehrheit der vom Sitzenbleiben betroffenen Jugendlichen gegen ein Verbot des Sitzenbleibens ist – nicht zuletzt deshalb, weil sie das als zutiefst ungerecht empfinden gegenüber denjenigen, die sich in der Schule anstrengen. News4teachers / mit Material der dpa

