Geplagte Lehrer! Warum Helikopter-Eltern ihren Kindern (und den Lehrern) mehr helfen, wenn sie weniger tun

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DÜSSELDORF. Ich gebe es zu: Ich hielt die Diskussion um helikopternde Eltern bisher für übertrieben. Na klar, nerven Eltern manchmal mit ihrer Aufgeregtheit, mich selbst nehme ich davon nicht aus. Lehrerinnen und Lehrer kennen das aus ihrem Alltag zur Genüge.

Aber jetzt habe ich sie selbst getroffen. Die Eltern, die ihr Kind beschützen wie eine Raubkatze – komme was wolle. In zwei Fällen wurden in den letzten Wochen gegen mich die Krallen ausgefahren. Erste Situation: An der Theke beim Bäcker.

Morgens gegen acht, weit und breit stand niemand an, etwas abseits der Theke drückte sich ein etwa zehnjähriges Mädchen herum. Ich stellte mich schräg neben sie – direkt an die Theke – und wartete auf das Verkaufspersonal. Kurz darauf kam die Mutter des Mädchens dazu und als sich endlich auch eine Verkäuferin der Theke näherte, drehte ich mich zu dem Mädchen um und fragte sie, ob sie etwas kaufen möchte. Die Mutter schleuderte mir daraufhin einen bösen Blick zu und zischte: „Das geht aber nicht, dass Sie sich hier einfach so vordrängeln!“

Zweite Situation: Ich bin im Schwimmbad mit meiner vierjährigen Tochter. Sie spielt mit einem der abgegriffenen Schwimmbretter, die dort überall herumliegen. Kurz lässt sie es am Beckenrand liegen, um ins Becken zu springen. Da kommt ein Junge im Grundschulalter und nimmt es mit. Ich tippe dem Jungen auf die Schulter und erkläre ihm, dass meine Tochter gerade damit gespielt hat. Er gibt es ihr wieder und schwimmt mit seinem anderen Brett weg. Kurze Zeit später kommt eine Frau – offenbar die Mutter – zu mir und motzt: „Das habe ich ganz genau gesehen, mein Sohn hatte dieses Brett zuerst und wollte das für seinen Bruder mitnehmen.“

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Was diese beiden Situationen gemeinsam haben? In beiden Fällen gab es eigentlich keinen Konflikt. Weder musste man sich beim Bäcker sorgen, keine Brötchen mehr zu bekommen, noch im Schwimmbad kein Schwimmbrett. Aber bei beiden Müttern herrschte offenbar die Ansicht vor, dass Ihre Kinder ungerecht behandelt würden. Sie reagieren wütend, stark emotional und als seien ihnen selbst Unrecht geschehen. Quasi stellvertretend für das Kind kämpften sie und meinten, ihr Kind zu unterstützen. Vergleichbar ist dieses Verhalten mit dem, was viele Lehrkräfte immer wieder berichten. Eltern meinen, ihr Kind vor der Willkür oder Ignoranz von Pädagogen beschützen zu müssen. Sie stellen eigentlich pädagogisch vernünftige Sanktionen und Regeln in Frage.

Dass Eltern sich so sehr in das schulische Geschehen einmischen, ist ein relativ neues Phänomen. Eva Koch-Klenske macht dafür in einem Beitrag für „Psychologie heute“ (Ausgabe 12/2016) zwei Entwicklungen verantwortlich. Zum einen gebe die Schulgesetzgebung Eltern eine aktivere Rolle, da sie von Elternarbeit und aktiver Mitwirkung der Eltern spreche. Einige Eltern missverstünden das und verhalten sich als Kontrollinstanz der Pädagogen. Außerdem könnten ungelöste Autoritätskonflikte der Eltern mitschwingen.

Der Film „Frau Müller muss weg“ – hier Szenenbild – zeigt exemplarisch und unterhaltsam den häufigen Kampf zwischen Eltern und Lehrerin. (Foto: Constantin)

Fatal daran ist: Entgegen der Annahme dieser Eltern gewinnen Kinder durch ihre übertriebene Beschützerrolle nicht an Selbstbewusstsein. Die Sozialtrainerin Koch-Klenske erklärt, dass das beschützende Verhalten statt zu einem stabileren Selbstwertgefühl vielmehr zu „einer tiefgreifenden seelischen Verunsicherung des Kindes“ führe. Der Grund liege darin, dass Eltern, die sich so sehr mit ihrem Kind identifizieren, dass Sie seine Gefühle übernehmen – also beispielsweise Enttäuschung – diese Gefühlslage des Kindes verstärken. Das Kind erfährt durch die Aufregung der Eltern, dass seine eigentlich kleinen Probleme große Dramen sind, die sogar seine Eltern wütend machen. Es bekommt damit „falsche Informationen über die Welt und seine eigene Position darin…erfährt eine narzisstische Stimulation, weil er die Eltern zum Handeln bringt.“ Klenske führt aus, dass das Kind so weder emotionale Intelligenz entwickelt noch Zuversicht für sich selbst, denn es bleibt passiv.

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Sie rät Eltern zu folgendem Verhaltensmuster: Besser, als sich mit seinem Kind zu identifizieren und seine Gefühle der ungerechten Behandlung zu verstärken sei es, es zu trösten oder ihm andere Erklärungen für das Verhalten der anderen Person anzubieten. Damit achteten sie die erwachende Autonomie des Kindes. Das Kind lernt, mit belastenden Gefühlen umzugehen und lernt selbst zu handeln.

Für viele Situationen gilt also: Eltern helfen ihren Kindern mehr, wenn sie weniger tun. Nin

 

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