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Warum Trump so offensichtlich lügen lässt – und was gegen „Fake News“ hilft: Experten fordern, Medienkompetenz in den Schulen zu vermitteln

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BERLIN. Die beliebtesten deutschen Facebook-Artikel über die Kanzlerin sind Lügen – etwa die Behauptung, Angela Merkel habe ein Selfie mit einem der Attentäter von Brüssel gemacht. Die erfundene Geschichte generierte mehr als 32.000 Interaktionen auf Facebook. Zum Vergleich: Ein wahrer Artikel über ein Foto der Kanzlerin mit einem Flüchtling, der von der Deutschen Welle veröffentlicht wurde, kam gerade mal auf 13.000 Interaktionen. So genannte „Fake News“ können weitreichende Folgen haben. Was lässt sich dagegen tun? Experten fordern, schon in den Schulen anzusetzen. Sie setzen auf Medienkompetenz als Mittel gegen gezielte Falschmeldungen.

Dies ist das offizielle Porträt des neuen US-Präsidenten Donald Trump. Foto: White House

In den USA kocht die Diskussion um sogenannte „Fake News“ spätestens seit dem Wochenende hoch, nachdem der Pressesprecher des Weißen Hauses Journalisten die nachweislich falsche Information vermitteln wollte, dass die Zuschauermenge bei der Vereidigung von Donald Trump zum Präsidenten „das größte Publikum war, das je eine Amtseinführung miterlebt hat. Punkt.“ Konfrontiert mit Fotos, die belegen, dass die Vereidigung Barack Obamas vor acht Jahren weitaus mehr Menschen in Washington zusammengebracht hat, sprach Trumps Beraterin Kellyanne Conway von „alternativen Fakten“. Alternative Fakten? Nennen wir es lieber, was es ist: eine Unwahrheit.

Was hilft gegen Fake News, wenn neuerdings sogar die Regierung im demokratischen Musterland USA es mit der Wahrheit nicht mehr genau nimmt? Schon das Erkennen von Falschmeldungen ist nicht immer einfach. Konstanze Marx vom Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim sagt, dass sich schließlich nicht jeder Manipulationsversuch anhand von leicht recherchierbaren Fotos (wie im Fall von Trumps Amtseinführung) oder erkennbar populistischen Schlagwörtern wie „Lügenpresse“ oder „Überfremdung“ (wie bei vielen der Falschmeldungen über Merkel) entlarven lasse. Zumal gefälschte Meldungen bevorzugt in sozialen Netzwerken verbreitet würden. “Dort, wo ein Vertrauensvorschuss gegenüber anderen Gruppenmitgliedern herrscht”, erklärt die Linguistin.

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In eigener Sache: Was uns von „Fake-News“ unterscheidet – und warum wir keine „Lügenpresse“ sind

Hetze im Internet bedrohe den gesellschaftlichen Zusammenhalt insgesamt, warnt der Mannheimer Medienwissenschaftler Prof. Jochen Hörisch. «Demokratische Prozesse funktionieren nur, wenn sich Akteure auf sachlich unstrittige Daten stützen können und die Bereitschaft zum Kompromiss besteht», sagt er. Durch das Verbreiten von Fake News ließen sich diese beiden Säulen demokratischer Praxis aushöhlen. Vorschläge für politische Lösungsansätze sind längst in der Diskussion, die Forderung nach schärferen Gesetzen gegen Fake News und zur Bestrafung derjenigen, die sie verbreiten, inklusive. Allerdings werden Zweifel am Sinn von Verboten laut.

Das bewusste Verbreiten von Falschmeldungen sei zwar wie “ein Gift, das in den öffentlichen Diskurs einsickert”, sagt der Marburger Politikwissenschaftler Thomas Noetzel. Es sei aber wenig aussichtsreich, mit einem Verwaltungsapparat gegenzusteuern, der in einer Art Endlosschleife mit Berichtigungen oder Dementis auf Fake News antworte. Zumal die Urheber von Lügengeschichten oft im Ausland sitzen und juristisch nicht greifbar sind. Noetzel fordert, früher anzusetzen und schon in den Schulen viel stärker auf die Vermittlung von Medienkompetenz zu setzen. «Wir müssen pädagogische Ansätze fördern und die Urteilskraft stärken.» Der Sprecher des Chaos Computer Club, Falk Garbsch, ergänzt: «Wir fordern seit Jahren, dass Grundlagen der Medienkompetenz in der Schulbildung verankert sein müssen.» Weil in fast jedem Fach Informationen aus dem Internet eine Rolle spielten, müssten Lehramtsstudenten im Bereich Medienkompetenz ausgebildet werden.

Inkompetent im Internet

Geboten wäre das wohl – angesichts einer weit verbreiteten Unkenntnis im Umgang mit dem Internet. „Digitalkompetenzen sind insgesamt nur gering ausgeprägt, nehmen teils sogar ab“, heißt es kritisch im „Digital Index 2016“ der Initiative D 21 zum „Lagebild der Digitalen Gesellschaft in Deutschland“. Danach nutzen drei Viertel der (erwachsenen) Gesamtbevölkerung in Deutschland Suchmaschinen, doch nur ein Bruchteil davon kann kompetent Internetrecherchen durchführen. So beziehen nur 37 Prozent der Nutzer mehrere Quellen mit ein – und lediglich 15 Prozent beachten Ergebnisse jenseits der ersten Seite.

Der Journalist Konrad Lischka, der als Projektmanager im Bereich Digitalisierung bei der Bertelsmann Stiftung arbeitet, empfindet es gleichwohl als ermutigend, dass die Kultusministerkonferenz entsprechende Kompetenzen bei Lehrern stärker fördern will und das als “integrale Aufgabe der Ausbildung in den Unterrichtsfächern sowie den Bildungswissenschaften” betrachtet. Resignation hält Lischka für unangebracht. Es gebe sowohl ambitionierte Lehrer als auch vielversprechende Projekte. Beim „Projekt Medienscouts NRW“ der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen beispielsweise geht es darum, Jugendliche in ihrer Beratungskompetenz so auszubilden, dass sie Mitschülern bei Fragen rund um das Thema Medien helfen können.

In eigener Sache: Ein paar Worte zur angeblichen „Lügenpresse“

Ob solche Initiativen aber ausreichen? Zu befürchten ist, dass die Vermittlung von Medienkompetenz nicht mit dem wachsenden Einfluss sozialer Netzwerke Schritt halten kann. Denn deren Dynamik ist enorm: Facebook, Youtube, Twitter und  Co. haben in Deutschland als regelmäßig genutzte Nachrichtenquellen im vergangenen Jahr erstmals die gedruckten Zeitungen überholt. Zu diesem Ergebnis kommt der jüngste Reuters Digital News Report. Danach haben von 2015 bis 2016 die Netzwerke als Hauptnachrichtenquelle sechs Prozentpunkte auf 31 Prozent zugelegt, während die Zeitungen neun Punkte verloren haben (und damit nur noch von 29 Prozent der Befragten genutzt werden). Heißt: Ein Großteil der Menschen in Deutschland bezieht seine politischen Informationen mittlerweile aus weitgehend ungeprüften Quellen.

“Das Lügen hat System”

Das kann fatale Folgen haben – für den politischen Diskurs, letztlich für unsere Demokratie. Welcher Mechanismus von den Produzenten der politischen Fake News bedient wird, erläutert die Ex-Piraten-Politikerin und Psychologin Marina Weisband. „Es scheint lustig und erbärmlich, wie Trumps Pressesprecher über etwas lügt, das alle eindeutig mit eigenen Augen widerlegen können“, so schreibt sie auf ihrer Facebook-Seite. „Aber dieses Lügen über Offensichtliches hat System. Die Sowjetunion nutzte es, auch im heutigen Russland gehört es noch zum Repertoire der Desinformation.“

Dahinter, so Weisband, steckt eine Taktik. „Wenn du steif und fest behauptest, der Himmel sei grün, ist dein Ziel nicht, dass ich dir glaube. Dein Ziel ist, das so lange zu tun, bis ich sage: ‚Das ist deine Meinung. Ich habe meine. Niemand kann objektiv sagen, welche Farbe der Himmel hat.‘ So legitimiert man das offensichtlich Falsche. Das funktioniert, weil der Mensch nur begrenzte Ressourcen hat, um kognitive Dissonanz, also widersprüchliche Informationen, auszuhalten. Heute muss man über die Größe einer Menge lügen, um morgen über das Recht anderer zu lügen, Teil dieser Gesellschaft zu sein.“

Heißt: Politische Lügengeschichten sind die Grundlagen von Willkürherrschaft, sie unterhöhlen die rechtsstaatliche Demokratie. Weisband, die aktuell das „Aula-Projekt“ der Bundeszentrale für politische Bildung leitet (das mithilfe digitaler Medien die Demokratie-Erziehung  in Schulen stärken will), appelliert an die Bürger, sich dem Trend zur Unwahrheit entgegenzustellen. „Es ist wichtig, dass wir uns jeden Tag gegenseitig versichern, dass das Lügen sind, dass das NICHT normal ist und dass wir unseren Augen vertrauen können. Es ist wichtig, bestimmte Einigungen der Gesellschaft nicht in Frage zu stellen“, so schreibt sie. Vor allem eben: Die Wahrheit nicht aufzugeben. Agentur für Bildungsjournalismus / mit Material der dpa

 

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