Lehrerin mit Kopftuch bekommt Entschädigung und löst Streit in Berlins Regierung aus

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BERLIN. Geht von einer Kopftuchtragenden Lehrerin eine Gefährdung des Schulfriedens aus? Nicht generell urteilte jetzt das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg und sprach einer mutmaßlich wegen ihres Kopftuches abgelehnten Grundschulbewerberin eine Entschädigung zu. Das Urteil entfacht den Streit um das so eben noch verfassungskonforme Berliner Neutralitätsgesetz aufs Neue. Der schwelt quer durch die Landesregierung.

Im Streit um das Kopftuchverbot für Lehrerinnen an allgemeinbildenden Schulen in der Hauptstadt hat eine abgelehnte Bewerberin eine Entschädigung erstritten. Wegen Benachteiligung sprach ihr das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg am Donnerstag 8680 Euro zu. Damit war die Berufung der jungen muslimischen Frau erfolgreich (Az. 14 Sa 1038/16). Laut Gericht war es eine Einzelfall-Entscheidung.

Richterin Renate Schaude bezog sich im Urteil auf das Bundesverfassungsgericht. Das Berliner Neutralitätsgesetz müsse an dessen Entscheidungen ausgelegt werden. Das höchste Gericht hatte zuletzt im Januar 2015 ein pauschales Kopftuchverbot an nordrhein-westfälischen Schulen gekippt und die Bedeutung der Glaubensfreiheit betont. Allein vom Tragen eines Kopftuchs geht demnach keine Gefahr aus.

Schon 2015 hatte das Bundesverfassungsgericht pauschalen Kopftuchverbote in den Ländern eine Absage erteilt. Das Einzelfallurteil des Berliner Landesarbeitsgerichts entfacht den Streit um das Berliner Neutralitätsgesetz neu an. Foto: Ranoush / flickr (CC BY-SA 2.0)
Schon 2015 hatte das Bundesverfassungsgericht pauschalen Kopftuchverbote in den Ländern eine Absage erteilt. Das Einzelfallurteil des Berliner Landesarbeitsgerichts entfacht erneut den Streit um das Berliner Neutralitätsgesetz. Foto: Ranoush / flickr (CC BY-SA 2.0)

Von der Berliner Klägerin wäre keine konkrete Gefährdung des Schulfriedens ausgegangen, so die Richterin. Dass die Bewerberin im Vorstellungsgespräch gefragt wurde, ob sie mit Kopftuch unterrichten wolle, sei Indiz für eine Benachteiligung. Die Klägerin hatte geltend gemacht, sie sei wegen des Kopftuchs abgelehnt und damit diskriminiert worden.

Das Berliner Neutralitätsgesetz sei aber noch verfassungskonform auszulegen, so das Gericht. Die ausgebildete Bewerberin hätte die Möglichkeit gehabt, mit Kopftuch an einer berufsbildenden Schule zu unterrichten, wo das Kopftuchverbot nicht gilt.

Zuvor hatte Richterin Schaude in der Verhandlung noch Zweifel geäußert, ob das Berliner Gesetz verfassungsgemäß ist. Es schreibt vor, dass Polizisten, Lehrer und Justizmitarbeiter im Dienst keine religiös geprägten Kleidungsstücke tragen dürfen.

Die erste Instanz hatte die Klage der Frau im Vorjahr noch zurückgewiesen. Laut Gericht blieb die Entschädigung mit zwei Monatsgehältern unter den Forderungen der Frau.

Die Bildungsverwaltung kann gegen das Urteil noch mit einer Revision beim Bundesarbeitsgericht vorgehen. Der Schritt sei offen, sagte Sprecherin Beate Stoffers.

Die Schulverwaltung hatte der Bewerberin erneut einen Arbeitsvertrag zu gleichen Konditionen wie für alle angeboten: «Jede Lehrkraft kann an einer Schule eingesetzt werden, die ihr zugewiesen wird», so Stoffers. Dies hatte Kläger-Anwältin Maryam Haschemi Yekani für ihre Mandantin abgelehnt – ebenso das Angebot der Verwaltung, eine Perücke anstelle des Kopftuchs zu tragen, um so eingestellt zu werden.

Die Klägerin war aus gesundheitlichen Gründen nicht zu dem Prozess gekommen. Anwältin Haschemi Yekani zeigte sich nach dem Urteil «sehr erleichtert». Sie habe nicht mit einem solchen Ausgang gerechnet. Sie hoffe, dass das Neutralitätsgesetz nun auf den Prüfstand komme. Sowohl der neue Kultursenator Klaus Lederer (Linke) als auch die Grünen hätten das angekündigt.

Das Antidiskriminierungsnetzwerk des Türkischen Bundes forderte ebenfalls eine Anpassung des Gesetzes. In der jetzigen Fassung verschärfe es antimuslimische Tendenzen.

Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) begrüßte das Urteil. «Das ist ein guter Tag für die Antidiskriminierung in Berlin», sagte er. «Das Urteil ist der Anfang vom Ende des Neutralitätsgesetzes.» Die rot-rot-grüne Koalition werde darüber nun Gespräche führen. «Ich will den Beratungen nicht vorgreifen, gehe aber davon aus, dass das Berliner Neutralitätsgesetz nicht mehr zu halten sein wird.»

Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) sagte dagegen, das Gesetz habe sich an den Berliner Schulen bewährt. «Ich sehe momentan keinen Anlass, daran etwas zu ändern.» Für die Berliner Innenverwaltung hatte deren Sprecher Martin Pallgen vor dem Prozess gesagt: «Es gilt das Berliner Neutralitätsgesetz. Wir sehen keine Notwendigkeit, das zu ändern.»

Die stellvertretende Landesvorsitzende der Linken, Sandra Brunner, meinte, die Gerichtsentscheidung sollte Anlass für die Koalition sein, das Gesetz auf den Prüfstand zu stellen. Rot-Rot-Grün habe sich im Koalitionsvertrag dem Kampf gegen Diskriminierung verpflichtet.

Für die oppositionelle CDU-Fraktion erklärte der innenpolitische Sprecher Burkard Dregger, das Gesetz müsse erhalten bleiben. Es behandele Angehörige aller Religionen gleich. Die AfD-Oppositionsfraktion bewertete das Urteil als Signal für Integrationsverweigerer. (dpa)

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