„Mit dem zuweilen inflationär gebrauchten Wort ‘Skandal’ gilt es vorsichtig umzugehen. Gleichwohl kann man das, was sich vor kurzem in Baden-Württemberg an (mindestens) einer Grundschule ereignete, nicht anders bezeichnen“ – schreibt Jörg Meuthen, Bundessprecher der AfD, auf seiner Facebook-Seite.
Was ist denn angeblich Schlimmes passiert? „In der vierten Klasse einer Ludwigsburger Grundschule stand im evangelischen Religionsunterricht das Thema ‚Islam‘ auf dem Lehrplan. So weit, so normal – schließlich sollen unsere Schüler frühzeitig die wesentlichen Grundlagen der Weltreligionen kennenlernen. Nicht normal dagegen erscheint mir, dass diese christlichen Viertklässler zur Ausübung (!) islamischer Glaubensrituale animiert, ja zu Teilen sogar verpflichtet wurden. Die Kinder mussten nämlich, neben anderen Gebetstexten, auch das Folgende lesen: ‚Gott Allah, Du bist der einzige und größte Gott der Welt, wir alle unterwerfen uns Dir‘“, so behauptet Meuthen.
Klingt schlimm. „Aber es wird noch bedeutend schlimmer“, so schreibt sich der AfD-Chef in Rage, „die Kinder wurden aufgefordert, sich zeitgleich zum Lesen dieser Gebetspassage barfuß auf einen islamischen Gebetsteppich zu knien und den Kopf auf den Boden zu beugen. Auch das Tragen eines Kopftuchs wurde den Kindern angeboten. Es ist wirklich unfassbar: Islamische Unterwerfungsriten im christlichen Religionsunterricht an einer deutschen Grundschule. Das ist Deutschland im zwölften Jahr unter der humanitaristisch delirierenden Pfarrerstochter Merkel.“
“Verpflichtende Aufgabe”
Meuthen behauptet, es habe sich um eine „verpflichtende Aufgabe“ für die Kinder gehandelt. „Unsere Schüler“, „diese christlichen Kinder“, werden im Religionsunterricht einer Grundschule (oder womöglich sogar mehrerer, wie Meuthen mutmaßt) zu einem islamischen Bekenntnis gezwungen? Das wäre zweifellos ein dicker Hund, das Verhalten der Lehrerin kaum lehrplankonform.
Im baden-württembergischen Curriculum der dritten und vierten Klasse für den evangelischen Religionsunterricht heißt es: „Die Schülerinnen und Schüler beschreiben Grundzüge monotheistischer Religionen (Christentum sowie Judentum oder Islam) und vergleichen einzelne Aspekte. Sie entwickeln einen respektvollen Umgang mit Menschen anderer beziehungsweise ohne Religionszugehörigkeit.“ Unterrichtsziele: „Die Schülerinnen und Schüler können ausgewählte Aspekte einer Religion vergleichen (zum Beispiel Gegenstände, Kleidung, Speisen, Heiliges Buch, Feste, Gebetspraxis, Gotteshäuser / Versammlungsräume, Glaube an einen Gott). Und: Sie „können Ausdrucksformen gelebter Religion wahrnehmen und beschreiben (zum Beispiel Räume, Riten, Feste)“. Davon, dass sie zum Islam konvertieren sollen, ist natürlich keine Rede.
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Hat also die unterrichtende Religionslehrerin – es handelt sich um eine Referendarin – die Schüler zu einem Bekenntnis genötigt, das ihrem eigenen Glauben widerspricht und damit eine gravierende Pflichtverletzung begangen? Der SWR und die „Stuttgarter Nachrichten“ haben der Geschichte nachrecherchiert – und kommen zum Ergebnis: Nein, das hat sie nicht. Einen Zwang zur Teilnahme oder Ausübung irgendwelcher Riten hat es laut Schulamt Ludwigsburg nicht gegeben. „Das bestätigte uns auch ein Vorsitzender des Elternbeirats, dessen Sohn an der Unterrichtsstunde teilgenommen hat“, so berichtet der SWR.
Wie kommt Meuthen zu seiner Behauptung? Quelle ist eine einzige (der AfD nahestehende?) Mutter, die ihn angeblich angeschrieben habe, sagt Meuthen. Eine Prüfung des Sachverhalts hielt der nicht für nötig, um damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Selbst nachdem er durch die Medien darauf aufmerksam gemacht wurde, dass er „Fake-News“ verbreitet und damit Rufmord an einer unbescholtenen Pädagogin betreibt, beharrt der AfD-Funktionär auf seiner Version der Geschichte: „Ab wie vielen Quellen dürfen dringende Bürgeranliegen denn öffentlich gemacht werden?“, so fragt er in einem weiteren Beitrag auf seiner Facebook-Seite.
Der SWR hat unterdessen sogar mit der Mutter gesprochen, die die Beschwerde an Meuthen herangetragen hat. „Diese konnte gegenüber dem SWR allerdings keine Belege für einen ‚Zwang’ anführen, der über das an einer Grundschule übliche hinausging – außer, dass ihre Tochter sich ‚gezwungen‘ fühlte“, heißt es. Die „Stuttgarter Nachrichten“ resümieren: „Die AfD behauptet, in Ludwigsburg seien Grundschüler zu islamischen Praktiken gezwungen worden. Doch Belege bleibt sie schuldig – das ist der eigentliche Skandal.“ bibo / Agentur für Bildungsjournalismus