Frühgeschichte: Vor 4000 Jahren wanderten junge Frauen wohl Hunderte Kilometer weit, um Familien zu gründen – und brachten Wissen mit

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MÜNCHEN. Vor rund 4000 Jahren waren Frauen in Deutschland extrem mobil und wanderten vermutlich teils Hunderte Kilometer zu ihren künftigen Ehemännern. Davon gehen deutsche Forscher mehrerer Institute aus. Über ihre Forschungsergebnisse schreiben sie in den «Proceedings» der US-nationalen Akademie der Wissenschaften (PNAS). Sie hatten 84 Skelette aus dem bayerischen Lechtal genauer unter die Lupe genommen. Die Leichen waren zwischen 2500 und 1700 vor Christus beerdigt worden – also während des Übergangs von der Steinzeit zur Bronzezeit.

So sah eine Frau aus der Bronzezeit aus - rekonstruiert nach Grabfunden. Foto: Dago1973 / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)
So sah eine Frau aus der Bronzezeit aus – rekonstruiert nach Grabfunden. Foto: Dago1973 / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

«Nicht die Männer, sondern die Frauen hatten vermutlich eine wichtige, vielleicht entscheidende Rolle beim Austausch von Kenntnissen», sagte Projektleiter Philipp Stockhammer von der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Etwa zwei Drittel der untersuchten Frauen kamen den Forschern zufolge in einem Alter von etwa 17 Jahren vermutlich aus der Gegend zwischen Halle und Leipzig oder aus Böhmen auf die verstreut liegenden Gehöfte ins Lechtal, um dort eine Familie zu gründen. «Alles deutet darauf hin, dass in der Bronzezeit Frauen extrem mobil waren. Wir haben keine vergleichbaren Belege bei Männern», sagte Stockhammer.

In der frühen Bronzezeit hatten die Menschen in der Gegend zwischen Elbe und Saale die Techniken zur Metallverarbeitung besonders weit entwickelt. «Die Frauen waren wandernde Wissensorte und haben wahrscheinlich dazu beigetragen, dass das Wissen weitergegeben wurde.»

Den Analysen zufolge zeigen die untersuchten Skelette eine große genetische Vielfalt auf. Das deute darauf hin, dass mit der Zeit zahlreiche Frauen aus der Fremde kamen. «Anhand der Analyse von Strontium-Isotopenverhältnissen in Backenzähnen, die Rückschlüsse auf die Herkunft der Personen erlauben, konnten wir feststellen, dass die Mehrheit der Frauen nicht aus der Region stammte», sagte Corina Knipper vom Curt-Engelhorn-Zentrum in Mannheim, die ebenfalls an der Studie beteiligt war.

Die Forscher hatten Knochen und Zähne von sieben Fundorten untersucht. Sie stammen aus einer Zeit, als in Süddeutschland Ackerbauern und Viehzüchter lebten. Die Wanderschaft der Frauen sei allein durch diese Studie über rund 800 Jahre nachweisbar. «Es war offenbar eine Tradition, die über viele Jahrhunderte bestand», sagte Stockhammer.

Die Erkenntnisse werfen laut Stockhammer viele neue Fragen auf. Die Frauen in diesem Alter seien wohl kaum einfach alleine losgelaufen, um sich einen Mann zu suchen. «Wie waren sie unterwegs, gab es Trecks? Wie haben die Männer die Frauen von so weit her bekommen? Wie waren die Menschen vernetzt?», sagte Stockhammer. «Sie konnten ja nicht anrufen und fragen: Hast du mal jemanden für mich?»

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Rätsel gibt den Forschern auch auf, dass im Lechtal keine Nachkommen der zugewanderten Frauen gefunden wurden. Es sei unwahrscheinlich, dass die Frauen gar keine Kinder bekamen, sondern nur zum Arbeiten geholt wurden und einen minderen Status hatten. Die Art ihrer Beisetzung habe sich nicht von der Einheimischer unterschieden. Die Frauen seien in die Gemeinschaft integriert gewesen, sagte Knipper. Unklar sei, wohin ihre Nachkommen gewandert sein könnten. «Es war vermutlich ein größeres System dahinter», sagte Stockhammer.

Bereits in einer 2016 im Fachblatt «PLOS ONE» veröffentlichten Studie hatten schwedische Forscher anhand von Funden aus mehreren Ausgrabungsstätten in Bayern und Baden-Württemberg aus der Zeit 2800 bis 2200 vor Christus gezeigt, dass auch in dieser Zeit ein hoher Anteil der Bestatteten nicht dort geboren worden war. dpa

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