Bundesrealschultag: VDR-Vorsitzender Böhm fordert, das gegliederte Schulsystem zu stärken und „fatale Gleichmacherei“ zu beenden

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MAINZ. Die Realschulen, so scheint es, sitzen zwischen allen Stühlen: Auf der einen Seite werden sie durch Bestrebungen vor allem SPD-geführter Landesregierungen bedroht, die Haupt- und Realschulen zu einer integrierten Schulform zusammenzuführen. Auf der anderen Seite stimmen die Eltern mit den Füßen ab – heißt im Zweifel: hin zum Gymnasium. Auf dem 24. Bundesrealschultag des Verbands Deutscher Realschulen (VDR), der heute in Mainz beginnt, fordern die Delegierten deshalb, eine „realistische und differenzierte Bildung umzusetzen und die fatale Gleichmacherei zu beenden“.

„Der Leistungsgedanken muss an Schulen zentral sein“: VDR-Bundesvorsitzender Jürgen Böhm. Foto: VDR

„Bildung in Deutschland darf nach einer Periode der ideologisch geführten Bildungsdiskussion nach 1968 und nach dem Reformchaos nach PISA nicht weiter zu einem Experimentierfeld für realitätsferne Reformen im Bildungsbereich verkommen“ – mit starken Worten trat VDR-Vorsitzender Jürgen Böhm in Mainz auf. „Die Menschen in unserem Land spüren die großen Herausforderungen, die auf uns alle in Zukunft zukommen und fordern für die heranwachsende Generation eine klare und vor allem an den Realitäten orientierte Bildungspolitik“, meint er. Was das sein soll, ist für Böhm klar: ein klares Bekenntnis zum gegliederten Schulsystem traditioneller Prägung.

Im Vorfeld des Kongresses veröffentlichten der VDR und sein schleswig-holsteinischer Landesverband ivl-sh eine repräsentative Umfrage des Instituts forsa zu den Bildungsreformen in den vergangenen Jahren unter der rot-grünen Landesregierung in Kiel. Die führte ab dem Schuljahr 2008/2009 ein zweigliedriges Schulsystem ein – auf die Grundschule folgt seitdem entweder das Gymnasium oder die Gemeinschaftsschule. Über zwei Drittel der Befragten beurteilten nun das gemeinsame Lernen als „nicht gut“ im Hinblick auf die Qualität des Unterrichtes. Nur jeder zehnte Bewohner in Schleswig-Holstein (11 Prozent) glaubt danach, dass die Leistungen der Schüler durch die Abschaffung der Realschulen besser geworden sind. Etwa jeder Zweite (48 Prozent) meint, die Leistungen der Schüler seien durch diese Maßnahme „etwas“ oder „viel“ schlechter geworden. Eine satte Mehrheit von 78 Prozent der Befragten sprach sich auch gegen die derzeit praktizierte automatische Versetzung selbst bei mehreren Fünfen und Sechsen aus.

„Die Menschen fordern klare Leistungskriterien. Deutlich lässt sich nach zehn Jahren Gemeinschaftsschule in Schleswig-Holstein feststellen: Diese Schulform ist nicht in der Bevölkerung angekommen und damit in ihrer jetzigen Form gescheitert. Die Ergebnisse der Befragung überraschen mich nicht. Bundesweit verlangen Eltern vor allem qualifizierte Abschlüsse und differenzierende Bildungsangebote“, sagt Böhm. In anderen Bundesländern hätten frühere Umfragen ähnliche Ergebnisse gebracht. Das mag stimmen. Richtig ist aber auch: Mit der Freigabe des Elternwillens bei der Wahl der weiterführenden Schule in den meisten Bundesländern wurde die Hauptschule zum Auslaufmodell und das Gymnasium zur beliebtesten Schulform. Mittlerweile präferieren fast der Hälfte der Eltern für ihr eigenes Kind das Gymnasium – allen Grundsatzbekenntnissen zu einem gegliederten Schulsystem zum Trotz.

„Der Preis der Entwicklung ist hoch: Die differenzierten Bildungswege wurden abgeschafft, den Kindern wurde ihre bestmögliche Förderung genommen, die Leistungsorientierung wurde aus den Schulen verbannt und die Eltern wurden extrem verunsichert, indem man ihnen das Märchen von der Bildungsgerechtigkeit durch die zentralistische Einheitsschule vorgaukelte“, sagt Böhm. „Heute beklagt man massiv den fehlenden Nachkräftenachwuchs, nachdem man über Jahrzehnte hinweg den Wert der beruflichen Bildung in Deutschland negiert hat – alle sollten Abitur haben!“, so meint der Realschul-Vertreter empört. „Die Menschen in Deutschland fordern von den Schulabschlüssen eine klar definierte, hohe Bildungsqualität, so dass die Heranwachsenden mit der Ausbildungsreife eine echte Chance beim Übergang in die Berufs- bzw. Beschäftigungswelt haben, dass sie den zunehmenden hohen Anforderungen auch gerecht werden können. Die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung muss jetzt mit klaren Maßnahmen belegt werden und darf kein Lippenbekenntnis der Politik bleiben.“ Ob Eltern für ihr eigenes Kind diese Gleichwertigkeit allerdings auch sehen? bibo / Agentur für Bildungsjournalismus

Die Forderungen des VDR

In einem Sechs-Punkte-Katalog formuliert der VDR Kriterien für eine „realistische Bildung“ in Deutschland. Gefordert wird:

1. Differenzierung

„Differenzierte Bildungsgänge nach Neigung und Leistung sind nachweislich die sinnvolle und zukunftsfähige Möglichkeit, junge Menschen angemessen und individuell zu fördern. Inklusion an Regelschulen kann nur mit Maß und mit Verantwortung für das einzelne Kind geschehen.“

2. Leistung

„Der Leistungsgedanke muss an Schulen zentral sein. Dazu brauchen wir klare Leistungskriterien für Übergänge im differenzierten System und natürlich weiterhin transparente Notenstufen, die auch Konsequenzen für das Fortschreiten im Bildungsgang haben.“

 3. Bildungsabschlüsse

„Bildungsabschlüsse müssen als Qualitätssiegel gelten. Die Menschen in unserem Land sind vom zukunftsgerichteten Realschulabschluss als qualitativem mittleren Bildungsabschluss überzeugt und die Wirtschaft sucht händeringend qualifizierte und ausbildungsreife junge Menschen für immer anspruchsvollere Ausbildungsgänge. Mit dem Realschulabschluss muss auch reale Bildung verbunden sein.“

 4. Digitalisierung

„Mit der Digitalisierung sind alle Schulen gefordert, junge Menschen fundiert und qualifiziert auf diese fundamentale Veränderung unserer Gesellschaft vorzubereiten. Chancen und Risiken müssen den jungen Menschen vor Augen geführt werden. Wir müssen in unseren Schulen zu einer Kultur der umfassenden ‚digitalen Aufklärung‘ beitragen. Die Politik wird aufgefordert, die Rahmenbedingungen (Infrastruktur, Ressourcen, …) bereitzustellen.“

 5. Bildungsföderalismus

„Die Bildung in Deutschland basiert auf dem Bildungsföderalismus. Nur dadurch können regionale Gegebenheiten sinnvoll und authentisch in die Bildungspolitik integriert werden. Qualität wird nicht durch das Überstülpen von gleichmachenden Normen erreicht, sondern durch vielfältige Angebote in der Bildungslandschaft, die im Wettbewerb stehen.“

6. Attraktivität des Lehrerberufs

„Lehrerbildung muss von Anfang an differenziert sein und auf die unterschiedlichen Bildungswege abzielen, um die Schüler optimal und individuell fördern zu können. Alle Lehrkräfte an Realschulen und im Sekundarbereich müssen eine Eingangsbesoldung von A13 erhalten und sollen verbeamtet werden.

 

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