«Drecksloch» und «Volksverräter» – Forscher gehen der Hetze auf den Grund

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DRESDEN. Ob «Pack» oder «Ziegenficker»: Wer andere öffentlich herabwürdigt, dem ist Aufmerksamkeit sicher. Wissenschaftler der Technischen Universität Dresden erforschen in einem neuen Großprojekt das Wesen der Schmähung – und bieten so auch Ideen für Gegenstrategien.

Beleidigungen begegnen uns im Alltag immer wieder.                                               Foto: Dennis Morhardt / flickr / CC BY 2.0

Schimpfen Sie im Alltag? Und wenn ja, wie oft? Und: Beleidigen Sie im Alltag? Nur wenige Fragen hat der gelbe Zettel, der momentan in Dresdner Kulturpalast ausliegt. Wissenschaftler der Technischen Universität haben ihn sich ausgedacht. Besucher der städtischen Zentralbibliothek können auf dem Papier auch angeben, was ihnen im Allgemeinen auf den Keks geht. Hinterher kommt der Zettel in die «Motzbox» – ein kleines Kästchen, das auf dem Tresen steht. So wollen die Wissenschaftler den Dresdnern ihren neuen Sonderforschungsbereich (SFB) zum Thema Schmähungen näherbringen.

Es klingt skurril: In Dresden wird das Schimpfen erforscht. Manchem schießen da gleich schmähende Kommentare durch den Kopf. Doch statt Klamauk geht es um Grundlagenforschung: Für den SFB stellt die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) für vier Jahre 7,5 Millionen Euro zur Verfügung. Über 40 Wissenschaftler forschen an mehr als einem Dutzend Teilprojekten. Die SFBs dienten dazu, «innovative, aufwendige» Forschungsprojekte umzusetzen, erklärt Klaus Wehrberger von der DFG. Sie seien die Flagschiffe der Förderung durch die DFG, unterhalb der Exzellenzcluster, erklärt Prof. Gerd Schwerhoff, der für die Schimpfforschung in Dresden spricht.

Schmähungen und Herabsetzungen: In öffentlichen Auseinandersetzungen finden sich in der letzen Zeit zahlreiche Beispiele dafür. Da ist Pegida, deren Vertreter auf dem Platz vor dem Dresdner Kulturpalast «Volksverräter» rufen. Da ist Sigmar Gabriel, der die Verantwortlichen für die Ausschreitungen in einer Flüchtlingsunterkunft im sächsischen Heidenau als «Pack» bezeichnet. Da ist Donald Trump, der Einwanderer aus Haiti, El Salvador und Afrika als Menschen aus «Drecksloch-Staaten» bezeichnet haben soll. Da ist Jan Böhmermann, der mit einem Schmähgedicht eine Staatsaffäre auslöst. Die Protagonisten könnten unterschiedlicher nicht sein. Gemeinsam ist ihnen, dass sie Schmähungen benutzen.

Derzeit aktuell wie nie

Sind Schmähungen derzeit also so aktuell ist wie nie? Schon in den 70er Jahren habe es hitzige politische Debatten mit Herabwürdigungen gegeben, relativiert Schwerhoff und verweist auf den CSU-Politiker Franz Josef Strauß. Doch derzeit habe das Thema eine neue Qualität. Da sei zum einen der Aufstieg der populistischen Bewegungen weltweit. Diese seien gerade wegen ihres von Herabsetzungen getränkten Politikstils erfolgreich. Zum anderen gebe es durch die sozialen Netzwerke neue Dynamiken, die es ermöglichen, Schmähungen schnell und vermeintlich anonym zu verbreiten.

Statistisch lässt sich eine Zunahme von Schmähungen zumindest für Sachsen jedoch nicht belegen. Die Zahl der angezeigten Beleidigungen bewegt sich seit Jahren auf einem ähnlichen Niveau. 2017 gab es laut dem Landeskriminalamt 9.256 erfasste Fälle von Beleidigungen – darunter fallen auch Fälle von Verleumdung und übler Nachrede. Zum Vergleich: 2016 waren es 10.117 Fälle, 2012 waren es 9.623. Die Zahl der über das Internet getätigten Beleidigungen ist von 652 im Jahr 2016 dagegen auf 709 im Jahr 2017 leicht gestiegen.

Doch das sind nur die juristisch erfassten Fälle: Manches ist im juristischen Sinne keine Beleidigung, und ein Adressat fühlt sich trotzdem herabgesetzt. Oder eine Beleidigung wird nicht angezeigt. Die Zahl der Menschen, die sich beleidigt fühlen, wird nach Einschätzung Schwerhoffs gefühlt ebenfalls immer größer.

Komplexe Herabsetzung

Er macht das an einer in seinen Augen gestiegenen Sprachsensibilität deutlich und nennt als Beispiel die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass im Geburtenregister künftig neben männlich und weiblich ein dritter Geschlechtseintrag möglich sein muss. «Hier wurde deutlich gemacht, dass sich eine Gruppe durch das fehlende dritte Geschlecht herabgewürdigt fühlt», sagt er. Im SFB benutzen sie für Herabwürdigungen das Wort «Invektivität».

Es ist ein schillernder Gegenstand, die Herabsetzung, und sie ist komplexer, als es Schimpfwörter zunächst vermuten lassen. In den Teilprojekten erforschen sie in Dresden auch etwas exotisch anmutende Themen: Es geht um verbale Herabsetzungen in der römischen Gesellschaft und um Schmährededuelle im italienischen und deutschen Humanismus, aber auch um Herabsetzungen im Netz.

Doch was bringt das alles am Ende? Einige der Themen klingen sehr nach Forschung im Elfenbeintrum. Schwerhoff kontert das und sagt: «Vom Elfenbeinturm aus sieht man besser!» Das Ziel des SFB sei es, die Mechanismen der Herabwürdigung zu verstehen und am Ende im Idealfall eine Theorie zu entwickeln. Forschung ist laut Schwerhoff sowohl über- als auch unterfordert damit, Handlungsanweisungen für die Praxis zu entwickeln. Das müssten die Praktiker tun. Doch um Gegenstrategien für unerwünschte Auswüchse von Herabwürdigungen zu entwickeln, müsse man erst einmal verstehen, wie sie funktionieren. dpa

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