Die Geschichte von Antonietta de Napoli, oder: Wie eine Schulkrankenschwester zum Multi-Talent wurde

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AUGSBURG. Als Schulkrankenschwester kümmert sich Antonietta de Napoli nicht nur um aufgeschürfte Knie, sondern auch um die Integration von Flüchtlingsfamilien. Warum Gesundheitspersonal an Schulen auch die Krankenhäuser entlasten könnte.

"Schulgesundheitshelfer" sollen Lehrkräfte entlasten. Illu: Wikimedia Commons
„Schulgesundheitshelfer“ sollen Lehrkräfte entlasten. Illu: Wikimedia Commons

In der großen Pause, wenn sich bei gutem Wetter die Kinder auf dem Schulhof austoben, bekommt Antonietta de Napoli einiges zu tun. In ihrem Sprechzimmer, im zweiten Stock der St.-Georg-Schule in Augsburg, versorgt sie die großen und kleinen Wehwehchen. De Napoli hat italienische Wurzeln, ein großes Herz für Kinder und die Lizenz zum Pflaster-Kleben. Seit vergangenen Herbst ist sie offiziell als Schulkrankenschwester im Einsatz und hat in Bayern damit Seltenheitswert.

Die Forderung, Schulsanitäter zumindest im Rahmen eines Modellprojektes in Bayern in größerem Stil einzusetzen, wurden bisher nicht umgesetzt. Mehrere SPD-Politikerinnen aus dem Landtag hatten dies bereits vor Jahren gefordert. In anderen Ländern ist die Idee weiter verbreitet, bundesweit gibt es daher sogar schon ein Schulkrankenschwester-Netzwerk.

Bislang gilt hingegen in den meisten Schulen Bayerns: Wer sich als Schüler auf dem Pausenhof das Knie aufschlägt oder wegen bevorstehenden Klausuren über Kopfschmerzen klagt, schaut erst ein Mal im Sekretariat vorbei. Weil aber dort kaum jemand über das medizinische Fachwissen verfügt, dauert es meist nicht lange, bis die Eltern anrücken und den kranken Nachwuchs nach Hause fahren.

In der St.-Georg-Schule geschieht das nur noch selten. Das liegt nicht etwa am medizinischen Equipment. Medikamente, egal ob Schnupfenspray, Pillen oder Globuli, darf auch de Napoli nicht verabreichen. Sie setzt auf bewährte Hausmittel und einfühlsame Worte.

Wichtiges Puzzleteil

Das funktioniert auch bei der sechsjährigen Laura, die von heftigen Ohrenschmerzen geplagt wird. Ein Routinefall für die Schulkrankenschwester, die sofort mit dem Othoskop einen Blick in Lauras Ohren wirft. De Napoli vermutet eine Mittelohrentzündung, verordnet eine Ruhepause auf der Krankenliege und ein Wärmekissen gegen die Schmerzen.

Erkältungsbeschwerden gehören zum Arbeitsalltag der Schulkrankenschwester. «Eine Grippewelle ist natürlich auch hier spürbar», sagt de Napoli, die seit mehr als 30 Jahren mit Kindern arbeitet und neben ihrer Ausbildung zur medizinischen Fachangestellten auch eine Ausbildung zur Kinderpflegerin gemacht hat. An der St.-Georg-Schule unterstützt sie die Lehrkräfte auch in der Gesundheitsbildung. Neben der Präventionsarbeit schult sie das Personal im Umgang mit chronischen Krankheiten wie Diabetes oder Asthma.

Die Idee, eine richtige Schulkrankenschwester an die Volksschule zu holen, hatte Rektor Volker Kunstmann. «Für uns ist Frau de Napoli ein wichtiges Puzzleteil der Gesundheitserziehung», sagt er. De Napoli sei inzwischen eine wichtige Vertrauenspersonen im Haus, vor allem für die Flüchtlingskinder, die in den Übergangsklassen unterrichtet werden.

Kunstmann erklärt: «Krankenschwester ist ein positiv besetzter Begriff, der überall auf der Welt bekannt ist.» De Napoli spricht auch sensible Themen an und klärt auf. Für viele junge Migranten ist es das erste Mal, dass sie über Empfängnisverhütung oder Menstruationsbeschwerden reden. «Wir wissen, dass das Schamgefühl in Ländern wie Syrien viel höher ist, als in unserer Kultur. In den Familien werden die Kinder mit ihren Fragen oft alleingelassen», weiß de Napoli.

Kliniken entlasten

Darüber hinaus steht sie den Eltern beratend zur Seite, wenn die sich im deutschen Gesundheitssystem zurechtfinden müssen. Davon würden vor allem die örtlichen Kliniken profitieren, meint der Augsburger Gesundheitsamtsleiter Ulrich Storr. Das Problem: Viele Flüchtlingsfamilien haben keinen Hausarzt und gehen im Krankheitsfall zuerst ins Krankenhaus. «Die Klinikambulanzen werden immer mehr mit Bagatellerkrankungen verstopft», sagt Storr.

Würden Schulkrankenschwestern schon frühzeitig den Kontakt zu Hausärzten vermitteln, wären auch die Kliniken entlastet, so der Gedanke. Für Schulleiter Kunstmann hat sich die Anstellung von de Napoli gelohnt. Seit Beginn des Schuljahres habe etwa jeder Dritte der 420 Schüler mindestens einmal die Krankenschwester aufgesucht. «Das Konzept ist damit voll aufgegangen.»

Ob die Idee auch woanders Schule macht, wird sich zeigen. Politische Initiativen gibt es noch nicht. «Im Fall der St.-Georg-Schule handelt es sich um eine Kooperation zwischen Schule und einer Krankenkasse im Rahmen von Prävention und Gesundheitsförderung», erklärt Schulrätin Waltraud Görs. Das Staatliche Schulamt in Augsburg habe in dieser Richtung derzeit nichts geplant, heißt es. Ähnlich äußert sich auch die Staatsregierung. Im Kultusministerium gebe es derzeit keine Projekte, teilte eine Pressesprecherin mit. dpa

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