Polizei warnt vor Panikmache unter Eltern

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FRANKFURT/MAIN. In Zeiten von sozialen Medien und ständiger Erreichbarkeit verbreiten sich in Fällen echter oder vermeintlicher Gefahren für Schüler schnell Hype und Panik unter Eltern. Das erschwert die Aufklärung der Fälle und den Schutz der Kinder, beklagt die Polizei und mahnt Eltern zur Besonnenheit.

Bedrohliche fremde Männer vor der Schule – wenn Kinder von solchen oder ähnlichen Erlebnissen erzählen, greifen viele Eltern erst einmal zum Smartphone, um über soziale Medien andere Mütter und Väter zu warnen. Die Folge: Die Schilderung verselbstständigt sich – und bewegt sich immer mehr von den Tatsachen weg. Für die Polizei bedeutet das zunehmend Arbeit. «Solche Fälle passieren ständig. Wir berichten aber nur darüber, wenn wir konkrete Gefahrenmomente erkennen», sagt beispielsweise Polizeisprecher Henry Faltin aus Offenbach – tatsächlich seien wirkliche Gefahrenmomente aber selten.

Jeder Fall müsse einzeln bewertet werden, und oft ließen sich die Berichte nicht verifizieren. «In den letzten Jahren hat das zugenommen durch die sozialen Medien», sagt Faltin. Über Twitter oder Facebook verbreiteten sich solche Meldungen schnell und erschwerten die Arbeit der Polizei zusätzlich.

Dunkle Bedrohung oder harmloser Spaziergänger? In Zeiten von Messengern und Social Media verselbstständigen sich Warnungen unter Eltern schnell. Foto: Komando_bey / pixabay (CC0)
Dunkle Bedrohung oder harmloser Spaziergänger? Unter Einsatz von Messengern und sozialen Medien verselbstständigen sich Warnungen unter Eltern schnell. Foto: Komando_bey / pixabay (CC0)

Im Umfeld einer Schule im Frankfurter Stadtteil Eckenheim hatten etwa Schüler im Februar von einem Unbekannten berichtet, der sie mit einer Schreckschusspistole bedroht und auch Schüsse abgegeben haben soll. Die Polizei konnte in dem Fall keine Hinweise finden, die die Angaben bestätigten, wie Sprecher Manfred Füllhardt sagt. Natürlich müsse solchen Meldungen immer nachgegangen werden. Auch Füllhardt benennt die sozialen Medien, über die sich alles schnell und ungefiltert verbreiten lasse, als Problem.

Der Kasseler Polizeisprecher Torsten Werner weist darauf hin: «Wenn ich andere informieren möchte, muss ich die Fakten kennen. Über soziale Netzwerke zu warnen ist meistens falsch, dadurch entsteht nur ein Hype und auch Panik.» Nicht umsonst gebe es etwa für die Schulen zentrale Ansprechpartner bei der Polizei. Gerade in den Grundschulen habe das Thema Belästigung verständlicherweise immer sehr emotionale Auswirkungen. Die Kinder seien heutzutage extrem sensibilisiert auf Gefahren, schätzten dadurch Dinge aber auch falsch ein. «Häufig haben wir es zu tun mit Falschmeldungen oder genauer gesagt Meldungen, die falsch gedeutet werden», erklärt Werner.

Das erlebt auch Jutta Lederer-Charrier vom Frankfurter Kinderbüro. Im Bereich Prävention bietet sie unter anderem Sicherheitskurse für Kinder an, die auch von Eltern gemeinsam mit ihrem Nachwuchs wahrgenommen werden. Als Grundproblem hat Lederer-Charrier die Angst der Eltern, ihre Kinder loszulassen, erkannt. «Ich erlebe in den Workshops Kinder, denen man etwas zutrauen kann. Ihnen wird aber aufgrund der Ängste ihrer Eltern ganz viel Freiraum genommen», erklärt sie. Beispielsweise werde der ‚fremde Mann‘ von vielen Eltern als Gefahr propagiert. «Eltern sollten sich bewusst machen, die größte Gefahr liegt im sozialen Umfeld von Kindern, durch Menschen, die die Kinder kennen und zu denen sie Vertrauen haben.»

Der Fokus liege beim «fremden Menschen» zu oft auf dem Kinderklauer, dem Mann im Auto. Kinder müssten aber ganz ohne das Schüren von Ängsten lernen, wie sie sich fremden Menschen gegenüber verhalten – denn sonst können Situationen falsch eingeschätzt werden. «Und das zieht dann über die sozialen Medien enorme Kreise, ohne dass jemand wirklich guckt, was los war», berichtet Lederer-Charrier. Statt zu sagen «Gut gemacht», wenn Kinder von scheinbar bedrohlichen Erlebnissen und ihrem Umgang damit berichten, verbreiteten Eltern häufig direkt über die Social-Media-Kanäle Panik, was wiederum die Unsicherheit bei den Kleinen verstärke. «Eltern sollten ihre Kinder ernst nehmen, ihnen Mut machen und sie bestärken. Je nach Situation kann die Schule oder gegebenenfalls die Polizei informiert werden.»

Woher die Ängste der Eltern kommen, kann Lederer-Charrier nicht genau sagen. Generell wollten Eltern natürlich ihre Kinder schützen, was auch gut sei. Aber: «Panik- und Angstmache ist absolut kontraproduktiv. Kinder haben in der Regel tatsächlich keine Probleme mit Fremden, sondern Gewalt im häuslichen Bereich stellt für Kinder ein viel höheres Risiko dar.»

Fast schon absurd erscheint die Erzählung des Offenbacher Polizeisprechers Faltin über Meldungen von Kindern zu Männern, die Ende Februar mit Schals um die Gesichter vor Schulzäunen gestanden hätten und bei denen es sich letztlich um Väter handelte, die in der Winterkälte auf ihre Kinder warteten. «Kinder sind ungeheuer sensibilisiert und nehmen die Welt so wahr, wie es früher nicht der Fall gewesen wäre. Sie sehen Gefahren, wo keine sind», sagt er.

Die richtige Beurteilung von unklaren Situationen kann Maike Wiedwald zufolge kaum eingeübt werden. Der Vorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Hessen (GEW) sind sowohl Fälle bekannt, in denen sich die Schilderungen von Kindern bestätigen ließen, als auch Fälle, die in den sozialen Medien einfach nur aufgebauscht wurden.

Wiedwald weist auf die Wichtigkeit hin, Kinder zu stärken und ihnen Mut zu machen, sich im Falle von Unsicherheiten an Eltern, Lehrer, Sozialpädagogen, Trainer oder die Polizei zu wenden. Und ebenso wie die Polizei rät auch sie: «Eltern sollten immer Lehrerinnen und Lehrer oder die Polizei informieren, wenn ihre Kinder von verdächtigen Situationen berichten, und nicht Twitter oder Facebook nutzen.» (Petra Knobel, dpa)

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