Gefangen im Hamsterrad: Warum gerade Lehrer Gefahr laufen, sich zu übernehmen – und dann auszubrennen

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BERLIN. Lehrer sind extrem belastet. Das liegt zum einen an den Herausforderungen begründet, die in den vergangenen Jahren auf die Schulen zukamen – zusätzlich zum ohnehin schon hohen Belastungsniveau: Lehrermangel, Inklusion und  verhaltensauffällige Schüler bringen die Kollegien zur Verzweiflung. Es gibt aber zum anderen auch eine Ursache, die im Beruf selbst begründet liegt, warum Lehrer schneller auszubrennen scheinen als Angehörige anderer Berufsgruppen – die Schwierigkeit nämlich, persönliche Erfolge für sich festzuhalten. Drei Expertinnen für Lehrergesundheit, Dr. Birgit Nieskens, Dr. Silke Rupprecht und Dr. Saskia Erbring, nehmen sich im folgenden Beitrag des Problems an. Der Text ist zunächst in der Zeitschrift „Grundschule“ erschienen.

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Es ist im Lehrerberuf schwierig, Erfolge für sich festzuhalten. Foto: Shutterstock

Erfolg hält gesund

Selbstwirksamkeit, Misserfolgsverarbeitung und Kohärenzgefühl: Wie man seine Gesundheit und die Freude am Beruf durch Erfolgserlebnisse erhält.

Die Selbstwirksamkeitserwartung bezeichnet die Überzeugung einer Person, durch ihr Handeln eigene Ziele erreichen zu können. Diese Erwartung, die Umwelt in eigenem Sinne wirksam beeinflussen zu können, wirkt auch auf das pädagogische Handeln und Erleben von Lehrkräften. Personen mit hoher Selbstwirksamkeitserwartung erleben Anforderungen im Beruf als weniger bedrohlich und somit weniger belastend, sie haben die Überzeugung, dass sie schwierige Situationen und Anforderungen im Lehrerberuf erfolgreich bewältigen können. Damit einhergeht eine positive Grundstimmung: „Das schaffe ich schon, ich verfüge über genügend Vorerfahrungen und Kompetenzen. Das traue ich mir zu.“

Hohe Selbstwirksamkeitserwartung hat einen gesundheitsförderlichen Faktor, Lehrkräfte mit hoher Selbstwirksamkeit leiden deutlich seltener an psychischen Beschwerden und Burn-out-Problemen. Hohe Selbstwirksamkeit steht zudem im Zusammenhang mit emotionaler Stabilität und beruflichem Erfolg (Schmitz & Schwarzer, 2002).

Zur Steigerung der Selbstwirksamkeit ist es hilfreich, sich bewusst an frühere, erfolgreich erlebte Situationen zu erinnern und diese zu den aktuellen Situationen in Bezug zu setzen. Ein Training von Selbstwirksamkeit sollte immer auch eine positive Analyse der Erfahrung der Selbstwirksamkeit am jeweiligen Tag unter der Frage „Was ist heute gelungen?“ enthalten. Haken auf „To-do-Listen“ sorgen dafür, dass Erledigtes sichtbar wird (und nicht nur Unerledigtes). Wichtig erscheint, insgesamt zu erkennen, dass die eigene Beanspruchung durchaus selbst moderiert werden kann: So lässt sich beispielsweise die unkontrollierbare Beanspruchung durch Eltern mit Gesprächen „zwischen Tür und Angel“ durch feste Sprechzeiten für Eltern regeln. Das Reagieren auf Elternanfragen kann auf diese Weise zu einem Agieren mit klaren Zuständigkeiten und Grenzziehungen werden.

Die Zeitschrift 'Grundschule'
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Der Beitrag ist der Ausgabe der Zeitschrift „Grundschule“ mit dem Titel „Meine Erfolge! Wie Sie sich Anerkennung im Beruf verschaffen können“ erschienen. Hier lässt sich das Heft bestellen oder lassen sich einzelne Beiträge herunterladen (kostenpflichtig).

Erfolg im Lehrerberuf? Das ist so eine Sache. Ist es doch gar nicht so einfach, die Entwicklung der Schüler auf das eigene Handeln zu beziehen. Grundsätzlich gilt: Erfolg hat zwei Ebenen – eine objektive und eine subjektive -, und mit beiden beschäftigen wir uns im nächsten Heft. So gilt es zunächst mal zu klären: Was sind denn die richtigen Maßstäbe für pädagogischen Erfolg?
Wir lassen uns von Bildungsforschern und Schulpraktikern erklären, mit welchen Instrumenten Lernfortschritte von Schülern sichtbar gemacht werden können. Und dann gibt es noch das persönliche Erfolgserleben: Psychologen zeigen auf, wie wir eine positive Sicht auf die Ergebnisse unserer Arbeit entwickeln können.

Viele Lehrkräfte haben ein deutlich überhöhtes Engagement bis hin zur Selbstüberforderung, es fällt ihnen schwer, die Grenzen ihrer Arbeitstätigkeit zu bestimmen und einzuhalten. Ihre Ziele sind zu hoch gesteckt oder idealistisch, ihre Ansprüche an sich selbst realitätsfremd und die Erfüllung der Arbeit so unmöglich. Aufgrund des Fehlens eines verbindliches Berufsprofils, eines arbeitswissenschaftlichen Anforderungsprofils und einer grundlegenden Verständigung über Qualitätsstandards muss jede Lehrkraft selbst an ihrer persönlichen Vorstellung der Lehrerrolle und ihren beruflichen Zielen arbeiten.

Gesunde Lehrkräfte schaffen es, eine Bilanz zwischen Aufwand und Nutzen zu ziehen. Sie haben ehrgeizige Ziele, verstehen es aber, bei der Verfolgung dieser Ziele mit ihren Kräften hauszuhalten. Personen, die zur Selbstüberforderung neigen, können lernen, realistische Ziele zu entwickeln und ihre eigenen Ansprüche an die Arbeit infrage zu stellen. Wichtig dabei ist die Wahrnehmung bereits kleiner Erfolge. Eine Würdigung des Erreichten und der Austausch darüber mit anderen stärken das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Ein kollegialer Austausch über berufliche Ziele und Ansprüche könnte zudem dazu beitragen, die eigene Perspektive zu verändern – eine angemessene Feedbackkultur öffnet den Blick dafür, was man vielleicht selber gar nicht als Erfolg ansieht.

Realistische Ziele entstehen, wenn eigene sowie extern gestellte Ansprüche differenziert wahrgenommen werden können. So kann in einem nächsten Schritt entschieden werden, welche Aufgaben man erfüllen möchte bzw. kann und welche nicht. Auf diesem Weg lässt sich auch entscheiden, welche Aufgaben delegiert oder aufgeschoben werden müssen und welche Aufträge an den Absender zurückgegeben oder modifiziert werden. Dieses Vorgehen schafft Klarheit und ermöglicht Transparenz gegenüber anderen Beteiligten (beispielsweise Eltern oder Schulleitung).

Erfolg wird von Lehrkräften häufig nach dem Maßstab „Alles oder nichts“ gemessen. Ein 80%iges Erreichen von Zielen wird kaum als Erfolg verbucht, Misserfolge sind auf diese Weise eher die Regel als die Ausnahme. Gesunde Lehrkräfte haben Freude am Möglichen, an den kleinen Erfolgen. Sie haben gelernt, Misserfolge nicht immer nur pauschal sich selbst oder anderen zuzuschreiben, sondern differenzierte Fehleranalysen durchzuführen. Indem sie Fehler von vornherein mitberücksichtigen, weiten sie ihren Blick für Erklärungen, die außerhalb ihrer Person liegen. Sie würdigen auch Teilerfolge und erste Schritte, denn Erfolgserlebnisse stärken die Motivation und die Verarbeitung von Misserfolgen.

Basis für die Entwicklung einer gesunden Misserfolgsverarbeitung ist ebenfalls das Erlernen von lang- und kurzfristigen Stressbewältigungstechniken. Bei hoch ausgeprägter Resignationstendenz und misslingender Misserfolgsverarbeitung, bis hin zu Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, sind Einzel-Coaching und Trainings zur emotionalen Stabilisierung (Angstreduzierung, Selbstwertgefühl stärken, Besinnung auf Fähigkeiten und Entwicklung von Selbstsicherheit) geeignete Interventionsmaßnahmen.

Eine entscheidende Ressource von (Lehrer-)Gesundheit stellt aus salutogenetischer (Anmerk. der Red.: Gesundheitsentstehung) Sicht das Kohärenzgefühl dar. Damit gemeint ist das Vertrauen darauf, dass gestellte Anforderungen verstanden werden können, sie mithilfe zur Verfügung stehender Ressourcen zu bewältigen sind und sich die Anstrengung dafür lohnt.

Folgende Fragen können sich Lehrerinnen und Lehrer dazu stellen:

  • Verstehbarkeit: Kann ich das verstehen und verarbeiten, was von mir verlangt wird oder was mit mir geschieht? Weiß ich genau, wofür ich Verantwortung trage und wofür nicht?
  • Machbarkeit oder Bewältigbarkeit: Kann ich mit meinen Ressourcen und Kompetenzen die Anforderungen handhaben und bewältigen? Welche Unterstützung erhalte ich und welche Entlastungsmöglichkeiten bestehen?
  • Sinnhaftigkeit: Kann ich einen Sinn in meinem Tun erkennen, erscheinen mir angestrebte Ziele als bedeutsam? Welche Tätigkeiten empfinde ich als besonders lohnend, welche nicht? Bringe ich mich mit dem mir Bedeutsamen in die schulische Gemeinschaft ein?

Zur Beantwortung der genannten Fragen ist es wichtig, ins Gespräch mit anderen zu gehen. Häufig führt dies dazu, dass darüber eine Schulentwicklung in Gang kommt, indem neue Möglichkeiten der Transparenz und Regelung geschaffen werden.

Organisation des Arbeitsalltags und Selbstmanagement: Ein Vorteil des Lehrerberufs ist sein großer Handlungsspielraum und die Selbstverantwortung in Bezug auf Vor- und Nachbereitung und Durchführung des Unterrichts. Dieser Vorteil kann zum Nachteil werden, wenn wichtige Techniken zur Selbstorganisation des Arbeitsalltags fehlen. Dazu gehört etwa ein realistisches Zeitmanagement, das es ermöglicht, Korrekturen zeitgerecht zu erledigen und Arbeitsmaterialien passend vorzubereiten und trotzdem noch genügend Freiraum für Erholung und soziale Kontakte zulässt. Dazu gehört etwa auch ein System, um Unterrichtsmaterialien und Informationen zu verwalten.

Ein Teil der Lehrerarbeit wird immer noch am heimischen Schreibtisch erledigt, auch wenn Ganztagsschulen zunehmen. Eine Trennung von Arbeit und Privatleben ist deshalb häufig schwierig. Vielen Lehrkräften gelingt es nur schwer, abzuschalten und sich von schulischen Problemen oder auch Problemen einzelner Schülerinnen und Schüler frei zu machen. Gesunde Lehrkräfte schaffen die Balance zwischen Dienst und Privatleben. Sie können sich vom Beruf distanzieren und entspannen oder sich anderen Lebensbereichen genussvoll widmen.

Tagesablauf strukturieren!

Eine klare Strukturierung des Tagesablaufs mit Zeiten für die schulische Arbeit und die Freizeit kann einen ersten Einstieg in das Training von Distanzierungsfähigkeit bedeuten. Ablenkung und Entspannung durch körperliche Aktivitäten wie Sport, Bewegung an der frischen Luft sind ebenfalls unterstützende und hilfreiche Maßnahmen. Sozialer Unterstützung auf der privaten Ebene kommt neben der Familie und den Freundschaften eine große Bedeutung zu, soziale Beziehungen lassen sich durch Freizeitaktivitäten wie Sport und den Besuch von Vereinen und kulturellen Veranstaltungen etc. aufbauen. Förderlich für den Aufbau sozialer Netze und Strukturen ist ein gutes Zeitmanagement bzw. die klare Trennung von Beruf und Freizeit, damit auch die Zeit und Ruhe für soziale Kontakte außerhalb der Schule zur Verfügung steht. Distanzierungsfähigkeit hängt eng damit zusammen, realistische Ziele zu entwickeln und sich entspannen zu können. Personen, denen es schwer fällt, sich von beruflichen Problemen frei zu machen, haben oft auch zu hoch gesteckte Ziele und Ansprüche an den Beruf. Ihre internen Anforderungen auf das Bewältigbare anzupassen, ist auch für das Trainieren von Distanzierungsfähigkeit wichtig.

Die Distanzierungsfähigkeit sollte dabei im mittleren Bereich liegen, zu niedrige Ausprägungen weisen auf Unfähigkeit zur Distanzierung und damit auf das so genannte Burn-out-Muster hin, zu hohe auf Desinteresse am Beruf. Wenn die Distanz zum Beruf so groß ist, dass Probleme und Themen Lehrkräfte nicht mehr berühren, sollten diese bei sich die Gründe für das Desinteresse untersuchen.

Trainings in Zeitmanagement, eine verbesserte Schreibtischorganisation und die Etablierung hilfreicher Ablagesysteme, Austausch von Unterrichtsmaterialien, Überprüfung und Anpassung von Zielen und Arbeitsschritten können gute Maßnahmen sein. Auf der organisationalen Ebene können Lehrkräfte daran mitwirken, dass in ihren Schulen wichtige Informationen zur Verfügung stehen, Konferenzen effektiver organisiert werden, Pausen anders = gesünder gestaltet werden.

Hier lässt sich die Ausgabe 8/2015 der „Grundschule“ bestellen oder lassen sich einzelne Beiträge herunterladen (kostenpflichtig). 

Selbstcheck: Wie achtsam bin ich im Schulalltag?

Die folgenden Fragen können Sie für eine achtsame Haltung im Schulalltag sensibilisieren. Überprüfen Sie einmal, in welchen Bereichen Sie sich kompetent einschätzen und in welchen Bereichen Sie bisher weniger Erfahrungen gemacht haben.

  • Wie sehr sind Sie sich ihrer eigenen Gefühle gewahr? Können Sie jedem Kind die gleiche Freundlichkeit und Offenheit entgegenbringen?
  • Registrieren Sie die Stimmungen und Gefühle bei den Schülerinnen und Schülern?
  • Nehmen Sie die vielfältigen Sinneseindrücke wie Sonnenlicht, Wärme, Gerüche und Geräusche wahr oder bemerken Sie erst im Nachhinein, was Sie erlebt haben?
  • Spüren Sie die Empfindungen im eigenen Körper, wenn Sie Schülerinnen und Schülern etwas erklären?
  • Bemerken Sie die Reaktionen auf Schülerverhalten, spüren Sie bei sich Freude oder Gereiztheit?
  • Können Sie diese Gefühle und Sinneseindrücke ohne Bewertung zulassen?
  • Wie gehen Sie mit ihren eigenen negativen oder schwierigen Gefühlen um?
  • Welche Möglichkeiten haben Sie im Kollegium, über Ihre Gefühle zu sprechen?

Mehr Informationen zum Thema plus praktische Übungen erhalten Sie auch unter www.handbuch-lehrergesundheit.de.

Aus: Malti, Nakamura & Häcker, 2009, S. 92

Streitfall Dienstunfähigkeit: Wie Sie als verbeamteter Lehrer Ihr Recht bekommen können

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