Mehr Beteiligung und eine Abkehr vom Frontalunterricht sind Forderungen auf der Landeskonferenz der Schülerinnen und Schüler (LSK) in Speyer: Bis Sonntag diskutieren die mehr als 60 Delegierten über das Leitthema «Kein Bock auf Schule, Du? – Bildung ist keine Selbstverständlichkeit!»
Der Blick auf die Situation von Kindern und Jugendlichen in anderen Teilen der Welt zeige, dass Bildung ein Privileg sei, erklärt Tobias Zorn vom Vorstand der Landesvertretung für Schülerinnen und Schüler in Rheinland-Pfalz (LSV). Gleichzeitig mache die verbreitete Unlust am Schulunterricht in Rheinland-Pfalz deutlich, dass sich etwas ändern müsse: «Unsere Zielvorstellung von Schule sieht ganz anders aus, als es jetzt ist.»
In der Einladung zur LSK heißt es: «Schule — das bedeutet für viele besonders eines: Stress & Druck. Hunderttausende Schüler*innen wachen jeden Morgen auf und müssen erneut ihre Motivation zusammenkratzen.»
Viel Gesundheitsförderung
«Für unsere Schülerinnen und Schüler und unsere Lehrkräfte ist es enorm wichtig, in einem gesunden Umfeld lernen und lehren zu können», sagt dazu Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD). «Nur wer sich wohlfühlt, geht gerne zur Schule und kann sich motivieren.» Deshalb unternehme die Landesregierung viel für die Gesundheitsförderung.
Die Ministerin verweist auf das Institut für Lehrergesundheit, das Netzwerk Schulen für Gesundheit und das Projekt «MindMatters», das die seelische und körperliche Gesundheit von Schülern in den Blick nimmt. Auch habe die Landesregierung die Mittel für Schulsozialarbeit deutlich erhöht und mehr Stellen für die schulpsychologische Arbeit geschaffen.
Die Schülervertreter wenden sich gegen den herkömmlichen Frontalunterricht mit einem vor der Klasse stehenden Lehrer und sprechen sich für ein «modulares System des Schulunterrichts» aus. «Wir sehnen uns nach anderen Unterrichtsformen», sagt Zorn, der in Trier gerade mitten in der Abiturprüfung ist. «Alle Schülerinnen und Schüler sollen miteinander und füreinander lernen.» Damit einher geht auch die Absage an ein dreigliedriges oder zweigliedriges Schulsystem – in Rheinland-Pfalz mit Gymnasium und der Realschule plus.
Demokratisierung von Schule
Das seien langfristige Forderungen, sagt Zorn. «Aber auf Dauer muss sich etwas ändern. Dabei versuchen wir, unsere Wege und Erfahrungen mit einzubringen. Akuten Nachholbedarf sieht die LSV bei der Digitalisierung. «Es wird immer noch viel mit Overhead-Projektoren und anderen veralteten Methoden gearbeitet», kritisiert Zorn.
Die Hauptforderung im Grundsatzprogramm der LSV ist aber die Demokratisierung der Schule. «Schüler bilden den größten Teil von Schule, haben aber das kleinste Mitspracherecht», kritisiert Zorn mit Blick auf die beiden anderen Gruppen von Lehrern und Eltern. «Meist gibt die Schulleitung etwas vor, und dann wird es so gemacht.»
Ministerin Hubig kündigt an, dass in einem neuen Schulgesetz, das noch in diesem Jahr dem Ministerrat vorgelegt werden soll, die Schülerrechte deutlich gestärkt werden sollen – entsprechend der Vereinbarung im Koalitionsvertrag von SPD, fDP und Grünen. «Wir wollen, dass Schülerinnen und Schüler ihr Schulleben noch stärker mitgestalten können.» dpa
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Eine weitere Stärkung der Schülerrechte geht wieder zu Lasten der ohnehin mageren Lehrerrechte und der Lehrerautorität.
Ich werde nie begreifen, warum Ministerien vor Eltern und Schülern immer wieder dermaßen einknicken und den Schulen das Leben ständig schwerer machen.
“Tollhaus Schule” fällt mir dazu nur noch ein. Wer heute noch Lehrer werden will, muss Nerven wie Drahtseile haben und ein ungewöhnlich dickes Fell (auch gegen körperliche Angriffe) oder er muss völlig unbeleckt sein von der realistischen Vorstellung, was ihn erwartet.
Die Gefahr sehe ich auch. Bei dieser KiTa des Jahres wurde auch das Mitspracherecht von 3-5 jährigen Kleinkindern (!) hervorgehoben. Egoistische Narzissten zieht man sich auf diese Weise heran. Mal schauen, wie sich das weiter entwickelt.
Man muss sich in diesem Zusammenhang noch einige weitere Dinge fragen:
1) Mal angenommen, der lehrerzentrierte Unterricht werde komplett abgeschafft und durch Selbstlernmethoden ersetzt. Wie lange dauert es, bis sich die Schüler oder Eltern beschweren, dass ihnen der Lehrer nichts mehr erklärt, obwohl das doch seine Aufgabe sei?
2) Wie viele der Teilnehmer an der Schülerkonferenz wären von der Einheitsschule unmittelbar betroffen und wie viele würden davon profitieren? Da das eine hochpolitische Veranstaltung ist, gehe ich von einer deutlichen Überrepräsentierung der Gymnasien und von dort auch der höheren Jahrgangsstufen aus.
3) Was meinen die Schüler, wie viel Mitspracherecht die Lehrer oder die Schulleitung selbst über den Ablauf des Schulbetriebs tatsächlich haben? Die Lehrpläne sind von Außen weitgehend vorgegeben, der Zustand des Gebäudes und der Ausstattung ist Sache der finanzschwachen Kommune. Das mögliche Mitspracherecht beschränkt sich also auf einzelne Unterrichtsmaterialien (welches der folgenden drei Bücher behandeln wir?) oder Projektwochen.
“Gleichzeitig mache die verbreitete Unlust am Schulunterricht in Rheinland-Pfalz deutlich, dass sich etwas ändern müsse.”
Das finde ich doch sehr merkwürdig, gerade in Rheinland-Pfalz mit seiner progressiven SPD-Schulpolitik und einer promovierten Juristin als Bildungsministerin:
https://bm.rlp.de/de/bildung/schule/
Dort heißt es z.B.: “Beim Ausbau von Ganztagsschulen hat Rheinland-Pfalz eine Vorreiterrolle in der Bundesrepublik übernommen. Fast jede zweite allgemeinbildende Schule ist eine Ganztagsschule.”
Werden uns Ganztagsschulen mit ihrem rhythmisierten Unterricht nicht immer als vorbildlich und richtungweisend angepriesen, fast schon als pädagogische Wunderwaffe? Und dann Unlust daran? Oder ist es die allgemeine Unlust, morgens überhaupt aufzustehen und zur Schule zu gehen?
‘Das neue Schulgesetz soll Schülerrechte stärken, verspricht das rheinland-pfälzische Bildungsministerium’.
Schülerrechte stärken geht nur, wenn gleichzeitig Lehrerrechte gestärkt werden. An sich sinnvolle Schulentwicklung in Richtung mehr Basisorientierung, Balance zwischen Top down (oben nach unten) und Bottom up (unten nach oben).
wobei allerdings dem bottom up im Beamtentum sehr enge Grenzen gesetzt sind.
«Meist gibt die Schulleitung etwas vor, und dann wird es so gemacht.»Eine sehr grosse Herausforderung der öffentlichen Schule und des Beamtentums: Ein menschlicher Führungsstil, der die verschiedenen Gruppierungen ernst nimmt und angemessen in Entscheidungsprozesse einbezieht: Lehrpersonen, Lernende, Eltern. Möglich, wenn die Schule einen klaren, eindeutigen Auftrag erhält: fördern und fordern, ohne selektive Zusatzaufgabe. Fördern UND selektionieren/stigmatisieren/diskriminieren geht nicht.
Seit wann sagt der Lehrling, wo’s lang geht?
Nirgendwo sonst, außer in der Schule. Das Heulen und Wehklagen nach der Schulzeit, wenn das Leben anders aussieht als schulgewohnt, kann ich mir jetzt schon vorstellen.
Allerdings habe ich die Vermutung, dass auch etliche Schulabgänger erleichtert sind und sich unter der Änderung der Verhältnisse wohler fühlen.