Sinkende Hemmschwellen durch Ego-Shooter, Splatterspiele und Co.? Mediziner: Gewaltspiele machen nicht aggressiv

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HAMBURG: Wohl eine der ältesten Fragen, seit Kinder und Jugendliche an Computern spielen und trotz zahlloser Studien immer noch umstritten: Machen Gewaltspiele aggressiv? Vom Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf kommen neue Erkenntnisse, zumindest für Erwachsene.

Der Jugendliche, männliche Einzelgänger, der in seiner Freizeit vor dem PC Ballerspiele spielt, bevor er eines Tages wegen eines Frustrationserlebnissees zur Waffe greift, ist ein extremes Klischeebild, das aber immer noch in den meisten Hinterkopf schlummert. Auch die Zunahme von Gewalttaten an Schulen, führen viele auf Gewaltspiele zurück. Der VBE Baden-Württemberg etwa spricht von einer „geistigen Umweltverschmutzung“.

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Wissenschaftler des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) haben nun in einer Studie herausgefunden, dass das Spielen von Gewaltspielen am Computer das Aggressionsverhalten zumindest erwachsener Spieler nicht nachhaltig oder langfristig beeinflusst. Die Wissenschaftler untersuchten Erwachsene, die über einen Zeitraum von zwei Monaten im Schnitt 33 Stunden lang ein Gewaltspiel gespielt haben.

„Der in der Öffentlichkeit oft angeführte negative Einfluss von Gewalt-Videospielen auf das Verhalten der Spielerinnen und Spieler lässt sich wissenschaftlich nicht nachweisen. In unserer Studie konnten wir keine signifikanten oder relevanten Verhaltensänderungen der erwachsenen Probanden feststellen.“, so Studienleiterin Simone Kühn vom UKE.

Gewaltspiele haben einen schlechten Ruf. Das Aggressionspotential fördern sie aber offenbar nicht. Foto: Kelly Hunter / flickr (CC BY 2.0) u. Tripwire Interactive /Wikimedia Commons (CC BY 3.0)
Gewaltspiele haben einen schlechten Ruf. Das Aggressionspotential fördern sie aber offenbar nicht. Foto: Kelly Hunter / flickr (CC BY 2.0) u. Tripwire Interactive /Wikimedia Commons (CC BY 3.0)

Die in den Debatten über Gewaltspiele bisher genutzten Argumente stützten sich im Wesentlichen auf Studien, in denen die Teilnehmenden nur zwischen Minuten und Stunden ein Gewaltspiel gespielt haben. Außerdem wurde das Verhalten der Spieler in den bisherigen Studien lediglich unmittelbar nach dem Spielen untersucht, wenn die Spieler noch im „Shoot em up-Modus“ waren. Dieses Phänomen sei in der Psychologie schon lange unter dem Begriff „priming“ oder Bahnung bekannt.

Die UKE-Wissenschaftler haben nun untersucht, wie und ob sich das Aggressionsverhalten langfristig ändert, wenn die Spieler über einen längeren Zeitraum ein Gewaltspiel spielen. Ob sich die Ergebnisse auf das Verhalten computerspielende Kinder und Jugendliche übertragen lassen, müsse allerdings noch untersucht werden.

An der Studie haben 90 Erwachsene teilgenommen, die in ihrem Alltag nicht regelmäßig Videospiele spielen und für die Studie in drei Gruppen aufgeteilt worden sind. Eine Gruppe spielte in einem Zeitraum von zwei Monaten das gewaltverherrlichende Spiel Grand Theft Auto, in dem die Spieler für ihr aggressives Verhalten belohnt werden. Die Teilnehmenden der anderen Gruppe spielten im gleichen Zeitraum das Videospiel Sims, in dem die Spieler virtuelle Figuren kreieren, deren Aussehen sowie Personalität sie individuell anpassen und die sie dann in ihren sozialen Netzwerken begleiten können. Eine dritte Gruppe spielte keine Videospiele.

Vor und nach diesen zwei Monaten, in denen die Probanden im Durchschnitt 33 Stunden gespielt haben, untersuchten die Wissenschaftler anhand verschiedener Tests das Verhalten der Studienteilnehmenden. Die Tests wurden zwei Monate nach dem letzten Videospiel wiederholt. Dabei wurden keine signifikanten oder relevanten Verhaltensänderungen der Spieler festgestellt – weder beim Vergleich der Testergebnisse vor dem Spiel und einen Tag nach dem letzten Spiel noch beim Vergleich des Verhaltens vor Beginn des ersten Spiels und zwei Monate nach dem letzten Spiel. Die Studie ist im im Fachmagazin Molecular Psychiatry veröfentlicht. (zab, pm)

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4 Kommentare
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ysnp
5 Jahre zuvor

Das Ergebnis kann man in meinen Augen nicht verallgemeinern und schon gar nicht auf Kinder und Jugendlich rückbeziehen. An der Studie haben Erwachsene über einen kurzen Zeitraum teilgenommen. Sie wussten, dass sie an einem Experiment teilnehmen und konnten sich entsprechend distanzieren.
Der Einfluss auf Kinder und Jugendliche ist nach wie vor gefährlich – dass die Hemmschwelle gesunken ist, merken wir tagtäglich an den Schulen. Besonders anfällig dafür scheinen die Kinder zu sein, wo es auch sonst noch Schwierigkeiten gibt.

sofawolf
5 Jahre zuvor

Es gibt andere Studien, die anderes sagen. Es sinkt die Hemmschwelle Gewalt anzuwenden. Die Anwendung von Gewalt wird als normal erlebt. Mitgefühl mit Opfern stumpft ab.

Wie so oft kennt jeder eine Studie, die ihm passt. 🙂

sofawolf
5 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Z.B. hier:

„Gewaltsame Videospiele machen nicht nur aggressiv, sondern können auf lange Sicht aggressives Verhalten festigen und steigern. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von französischen, deutschen und amerikanischen Forschern, die in der nächsten Ausgabe des US-Fachzeitschrift „Journal of Experimental Social Psychology“ veröffentlicht werden soll.“

https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article109762301/Ballerspiele-machen-auf-Dauer-immer-aggressiver.html

Lichtenauer S.
2 Jahre zuvor

Das Problem sind nicht die Computerspiele, sondern fehlende grundlegende Werte und Grenzen. Vielen Kindern fehlt es heutzutage an Empathie, Respekt und Toleranz. Diese Eigenschaften werden anscheinend nicht mehr vermittelt oder in den Familien vorgelebt. Statt dessen gibt es immer mehr Kinder aus Familien, in denen ein rauher Umgang herrscht, wo aggressives Verhalten untereinander „ganz normal“ ist. Genauso problematisch sind aber auch die Familien, die ihre Kindern keine Grenzen mehr aufzeigen, wo die Kinder wie kleine Herrscher alles bestimmen dürfen und diese dann auch im Umfeld Schule entsprechend agieren.
Aber statt dieses Versagen in der Erziehung zu erkennen und entgegen zu wirken, schiebt man die Schuld lieber den Medien Computer und Fernsehen zu.