Nur mit Kindern – Einzigartiges Stipendium für Künstlerinnen

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GRIMMA. Kinder und Haustiere sind oft nicht erwünscht bei Symposien für Künstler. Ein Künstlergut in Sachsen beweist, dass es auch anders geht. Mit kreativen Folgen.

Im lichtdurchfluteten Dachstuhl sitzt Dorit Trebeljahr vor einem grauweißen Relief aus Stoff. Die 41 Jahre alte Künstlerin aus Berlin tritt zurück, betrachtet ihr Werk, nimmt eine der vielen umherliegenden bunten Stecknadeln und setzt sie behutsam an eine Stelle. Die Siegerin des Brandenburgischen Kunstpreises für Plastik ist für vier Wochen auf das Künstlergut Prösitz im sächsischen Grimma gekommen. Im Gepäck hat sie neben ihren Materialen jede Menge Ideen – und ihren jungen Sohn.

Konzentriertes Arbeiten ist wichtig für die künstlerische Kreativität. Die „Entlastung“ von den Kindern kann da förderlich sein (Symbolbild). Foto: dimitrisvetsikas1969 / pixabay (CC0)
Konzentriertes Arbeiten ist wichtig für die künstlerische Kreativität. Die „Entlastung“ von den Kindern kann da förderlich sein (Symbolbild). Foto: dimitrisvetsikas1969 / pixabay (CC0)

Der Junge spielt den ganzen Tag auf dem Dreiseitenhof und wird von einer Betreuerin umsorgt. Seine Mutter kann sich so voll auf ihre Arbeit konzentrieren. Trebeljahr ist eine von acht Stipendiatinnen auf dem Hof, der seit 25 Jahren für Künstlerinnen mit Kindern ein ungewöhnliches Angebot bietet.

«Ziel des Symposiums ist es, professionellen Künstlerinnen bildhauerisches, installatives Arbeiten zu ermöglichen. Und wir kümmern uns um ihre Kinder», sagt die Besitzerin des Hofes und selbst erfolgreiche Künstlerin, Ute Hartwig-Schulz. Es gibt keinen Auftrag, es wird keine Gegenleistung verlangt, der Hof soll den Künstlerinnen und den Kindern einfach nur Geborgenheit geben.

In der Mitte des von drei Seiten geschlossenen Hofes aus dem Jahr 1880 steht eine mächtige, mehrere hundert Jahre alte Linde. Unter deren Schatten lädt ein gewaltiger Esstisch zum Essen und Verweilen ein. Der Innenhof ist gespickt mit Kunstobjekten der ehemaligen Stipendiatinnen. Für die Kinder gibt es ein Planschbecken, einen Sandkasten, Tretroller, ein Klettergerüst – und Shanti. Die 64 Jahre alte Sozialarbeiterin und Lebenskünstlerin aus Zürich lebt seit 33 Jahren in Kalifornien und hat ehrenamtlich die Kinderbetreuung in Grimma übernommen. Sie geht auch gemeinsam mit den Kindern in die Werkstätten und töpfert mit ihnen.

Alles wirkt harmonisch und familiär. Für die Kinder gelten lediglich zwei Verbote: Nicht allein den Hof verlassen und nicht ohne einen Erwachsenen in die Ateliers und Werkstätten gehen. «Als der Hof gebaut wurde, war Mehrgenerationenleben normal und notwendig. Diese Zeit kommt wieder zurück», ist Hartwig-Schulz überzeugt, die den Hof während ihrer Studienzeit gekauft hat.

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«Das wunderbare Projekt ist in dieser Form einmalig in Deutschland. Hier können die Frauen endlich ohne große Pausen an ihren Projekten arbeiten und müssen nicht ständig ein Auge auf die Kinder haben», sagt die Direktorin des Frauenmuseum in Bonn, Marianne Pitzen. 2004 hatte sie in ihrem Haus sogar eine Ausstellung der Arbeiten aus dem Künstlergut Prösitz. «Ich bin überzeugt, dass großartige Talente auf der Strecke geblieben sind, weil sich Kunst und Kind nicht vereinbaren ließen. Kinder können inspirieren, aber durchaus auch hemmen», sagt Pitzen. Es bräuchte viel mehr solcher Projekte.

«Bei anderen Residenzprogrammen steht in der Ausschreibung oft der Satz: „Kinder und Haustiere sind nicht erwünscht“», sagt Karolin Schneider aus Leipzig. Jahrelang konnte die 32-Jährige kein Symposium belegen. Zuhause gibt es zwar Kitas, aber der zeitliche Rahmen ist meist sehr eng gesetzt und auf die herkömmliche Arbeitnehmerschaft ausgerichtet.

Jetzt, nach drei Wochen auf dem Künstlergut, fühlt Schneider die Freiheit, die sie als Künstlerin braucht. Sie experimentiert mit anderen Materialien, formt aus Porzellan einen Fahrradhelm. «Das Projekt hat vielleicht doch mit dem gesteigerten Sicherheitsdenken und Verlustängsten als Mutter zu tun», sagt sie. Sie muss aber kurz ihre Arbeit unterbrechen, weil ihre vier Jahre alte Tochter einen Splitter im Fuß hat. Schneider legt den Spachtel zur Seite, tröstet das Mädchen, trägt Salbe auf und klebt ein buntes Pflaster auf die verletzte Stelle. Manchmal hilft eben doch nur Mama.

150 000 Euro beträgt der Jahresetat für das Künstlergut, das neben dem Stipendium für Künstlerinnen mit Kindern noch viele andere Projekte hat. Die Hälfte wird aus Landesmitteln, der Rest von Sponsoren und ein geringer Teil von der Stadt Grimma finanziert. «Zudem unterstützen uns ganz viele Handwerker und Firmen aus der Umgebung mit Materialien», sagt Hofbesitzerin Hartwig-Schulz.

Davon profitiert auch Marie-Eve Levasseur. Sie hat im kanadischen Montreal und in Leipzig studiert. Sie, die eigentlich Medienkünstlerin ist, ist begeistert von den Werkstätten und den vielen Materialien, die sie erstmals ausprobiert. Sie flext lange Metallstangen auseinander. In wenigen Tagen kommt jemand und hilft ihr beim Schweißen einer Installation, die von einem Tätowierstuhl inspiriert ist. Levasseur ist mit dem Rad die knapp 45 Kilometer von Leipzig zum Hof gefahren – auf dem Fahrradsitz ihre fünfjährige Tochter. «Sie kann hier hautnah erleben, dass ihre Mutter eine Künstlerin ist. Sie weiß doch sonst gar nichts von meinen Projekten», erklärt die 33-Jährige. (André Jahnke, dpa)

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