Städtetag: Im (echten!) Ganztag liegt die Zukunft – flexible Betreuung kaum machbar

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MANNHEIM. Ganztagsschulen sind umstritten. Die einen sehen mehr Chancen gerade für benachteiligte Kinder, andere wollen Wahlfreiheit für die Familien. Und ein Vorstoß für mehr flexible Angebote – wie jüngst von Baden-Württembergs Kultusministerin Eisenmann (CDU) – stößt nicht überall auf Gegenliebe.

Im Ganztag - hier an einem Gymnasium in Nordrhein-Westfalen, das am Projekt "Ganz In" teilnimmt - können Schüler auch mal entspannt einen Comic lesen. Foto: Stiftung Mercator / flickr (CC BY 2.0)
Im Ganztag – hier an einem Gymnasium in Nordrhein-Westfalen, das am Projekt „Ganz In“ teilnimmt – können Schüler auch mal entspannt einen Comic lesen. Foto: Stiftung Mercator / flickr (CC BY 2.0)

Die von Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) versprochene flexible Betreuung von Grundschulkindern ist aus Sicht Städtetags in Baden-Württemberg kaum realisierbar. «Ich sehe mit Sorge, dass den Eltern eine komplett flexible Ganztagesbetreuung – ob in Schule oder Hort – in Aussicht gestellt wird», sagte die Mannheimer Bildungsbürgermeisterin Ulrike Freundlieb (SPD), die ständiges Mitglied im Schulausschuss des Städtetags ist. Ein paralleler Ausbau qualitativ hochwertiger Ganztagsschulen und guter flexibler Schulkindbetreuung überfordere die Kommunen finanziell und personell. Die derzeit zum Großteil von den Kommunen finanzierte Schulkindbetreuung in den Randzeiten der Halbtagsschule könne nur eine Übergangslösung sein.

Damit bezieht Freundlieb Stellung gegen die Kultusministerin, die einen Akzent auf flexible Angebote setzen will. Dafür plant sie 21 Millionen Euro mehr im Jahr ein, mit denen neue Angebote unterstützt werden sollen. Bisher beläuft sich der Zuschuss des Landes auf 77 Millionen Euro jährlich. Damit werden ausschließlich Gruppen gefördert, die vor dem Ausstieg des Landes aus der Mitfinanzierung 2015 bestanden. Mit den zusätzlichen Mitteln will Eisenmann den Anteil der Kinder in der vom Land mitfinanzierten Nachmittagsbetreuung von 45 auf 60 Prozent steigern. Sie hatte bekräftigt: «Ganztagsschule und Betreuung sollen sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern nebeneinander möglich sein.»

Bürgermeisterin Freundlieb begrüßt zwar die Finanzspritze des Landes. Doch neben grundsätzlichen Bedenken bezweifelt sie, dass das nötige Personal gefunden werden kann.

Laut Ministerium lag an den öffentlichen Grundschulen der Anteil der Schüler im Ganztag im Schuljahr 2017/2018 bei 19,4 Prozent. Der Bildungsmonitor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft bescheinigt dem Land für 2016 ein Ganztagsangebot von 25,4 (Bund: 65,8) Prozent der Grundschulen und 16,7 (Bund: 40,7) Prozent der Grundschüler – und damit eine Schlusslichtposition. Landesweit gibt es rund 2400 Grundschulen.

Nach Freundliebs Überzeugung liegt der Vorteil der Ganztagsschule im intensiveren Unterricht und in besonderer Förderung leistungsschwacher und -starker Schüler. «Sie ist eine wahre Talentschmiede.» Zudem sei sie das geeignete Instrument für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Auch beim Thema Bildungsgerechtigkeit schneide die Ganztagsschule am besten ab, da sie für manche Eltern nicht erschwingliche musische oder sportliche Angebote kostenlos in den Schultag integriere. Auch für die Mittelstufe sei der Ganztag anzustreben. In Mannheim bieten demnach neun von 33 Grundschulen Ganztagsbetrieb an. Weitere fünf sollen in den kommenden Jahren folgen. dpa

VBE plädiert für Flexibilität beim Ganztag


STUTTGART. „Die aktuell bestehende Wahlmöglichkeit beim Ganztag möchte der VBE Baden-Württemberg gerne auch weiterhin im System behalten“, kommentiert der Landesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) Baden-Württemberg, Gerhard Brand, den Vorstoß der Mannheimer Bildungsbürgermeisterin für Ganztagsschulen.

„Durch die Möglichkeit, zwischen der rhythmisierten Ganztagsschule, der Schule mit flexiblem nachmittäglichem Betreuungsangebot und der Halbtagsschule zu wählen, bietet Baden-Württemberg eine große Flexibilität und damit den Schulen sowie den Kommunen die Möglichkeit, auf ihre individuelle Gegebenheiten einzugehen“, argumentiert der VBE-Landeschef.

„Würde man sich für eine verbindliche Ganztagsschule entscheiden, würden den Schulen und den Kommunen genau diese Entscheidungsspielräume genommen. Wir plädieren deshalb für eine Offenheit, was die nachmittägliche Betreuung beziehungsweise den Unterricht in der Ganztagsschule angeht“, erläutert der Landesvorsitzende die Position des VBE Baden-Württemberg.

Brand weist darauf hin, dass keine Verpflichtung für Kommunen bestehe, alle drei Angebote parallel vorzuhalten. „Kommunen sollten im Rahmen ihrer Möglichkeiten das anbieten, was möglich ist. Dabei sollten sie die Möglichkeit haben, das Angebot zu wählen, welches am besten zu den individuellen Gegebenheiten der Schule und der Kommune passt. Das kann im ländlichen Raum ein anderes Angebot sein als in einer Stadt wie Mannheim“, so Gerhard Brand.

„In der Breite noch keine gute Qualität“: Warum wir eine Debatte um den Ganztag brauchen – ein Gastbeitrag

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Pälzer
5 Jahre zuvor

Die Mannheimer Bildungsbürgermeisterin Ulrike Freundlieb (SPD) betreibt Parteipolitik. Das Kindeswohl steht hierbei nicht im Vordergrund. Wir haben Erfahrungen mit Ganztag – Ganztagsschule leistet weniger. Oder sie wird sehr viel teurer als zumindest die RLP-Regierung auszugeben bereit ist: viel mehr Betreuer, bessere Räume, besseres Essen fehlen. Und ganz ungeklärt ist die Frage, wie es nach der Klasse 6 oder 7 weitergehen soll, wenn die Teens ziemlich sicher der Meinung sind, dass sie keine Aufsicht mehr brauchen oder wollen. Vermutlich wissen die Politiker gar nicht, dass es da ein Problem gibt. Und da ist noch anzusprechen, wie vernichtend Ganztag auf Sportvereine, Jugendgruppen usw. wirkt, wenn die Gruppenleiter erst ab 16:30 Zeit haben oder vorher selber im Ganztag festsitzen.

Carsten60
1 Jahr zuvor

Das Bild ist schon bezeichnend: Gymnasiasten können beim Ganztag in der Schule einen Comic lesen, zu Hause können sie das offenbar nicht. Und mit sowas wird nun Reklame für Ganztagsschulen gemacht.
Dabei sind gerade die G8-Gymnasien gezwungen, auch am Nachmittag zu unterrichten, selbst dann, wenn sie nur als Halbtagsschule gelten. Die Bürgerinitiative für G9 in NRW argumentierte genau damit, dass pro Schultag nur 6 Stunden unterrichtet werden sollen, also in der ganzen Sek I von 6 Jahren nur 180 Jahreswochenstunden..Man lege das mal auf die 5 Jahre am G8-Gymnasium um, das wären praktisch 6 Tage zu je 6 Stunden in der Woche. Aber der Samstag muss natürlich schulfrei sein, der gehört der Familie, deren ansonsten schädlicher Einfluss durch Ganztagsschulen gerade herabgesetzt werden soll. 🙂