„Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“: Das beste Jugendbuch 2018 geht ans Eingemachte

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FRANKFURT/MAIN. Rund 1.600 Zuschauer haben verfolgt, wie Bundesfamilienministerin Franziska Giffey auf der Frankfurter Buchmesse die Gewinner des Deutschen Jugendliteraturpreises auszeichnete. Die diesjährigen Preisbücher spiegeln den Initiatoren zufolge das aktuelle Zeitgeschehen: Sie sensibilisieren für das Fremde, setzen sich mit Rechtsradikalismus auseinander und behandeln Fragen der Nachhaltigkeit.

Die Kritikerjury prämierte je ein Bilder-, ein Kinder-, ein Jugend- und ein Sachbuch. Als bestes Bilderbuch konnte sich „Der siebente Bruder oder Das Herz im Marmeladenglas“ (Gerstenberg) von Øyvind Torseter, in der Übersetzung von Maike Dörries, durchsetzen. In seiner opulenten Graphic Novel verbindet der norwegische Künstler verschiedenste Illustrationsstile zu einem höchst anspruchsvollen, gelungenen Ganzen und erzählt auf diese Weise das traditionelle Märchen in innovativer Form.

In der Sparte Kinderbuch wurde das Erstlesebuch „Viele Grüße, Deine Giraffe“ (Moritz) ausgezeichnet. Der heitere Briefroman der japanischen Autorin Megumi Iwasa erzählt von der Freundschaft zwischen einer Giraffe in Afrika und einem Pinguin am Südpol. Die Jury lobt den sprachlich einfachen, literarisch gestalteten Text. Dessen Wirkung ist auch der Übersetzung von Ursula Gräfe zu verdanken. Die Illustrationen von Jörg Mühle greifen die Situationskomik der Geschichte pointiert auf und schaffen eine eigene Atmosphäre mit vielen witzigen Details.

Als bestes Jugendbuch überzeugte Manja Präkels’ autobiografisch gefärbter Roman „Als ich mit Hitler Schnapskirchen aß“ (Verbrecher Verlag). Sie erzählt mit dokumentarischer Genauigkeit vom Aufwachsen in der DDR, den Vorboten der Wende und deren Folgen. Präkels porträtiert eine Generation, die den Niedergang der DDR abseits der Großstädte weniger als Befreiung denn als widersprüchliches gesellschaftliches Ereignis erlebt. Vor allem aber schildert sie, wie rechtes Gedankengut, Wut und Hass in einer einstmals ländlichen Idylle um sich greifen. Ihr Roman ist damit erschreckend aktuell.

Sieger beim Sachbuch ist „Der Dominoeffekt oder Die unsichtbaren Fäden der Natur“ (Fischer Sauerländer). Ulrike Schimming hat Gianumberto Accinellis Text aus dem Italienischen übertragen. In 18 Kapiteln schildert der promovierte Ökologe die verheerenden Folgen menschlicher Eingriffe in das sensible Gleichgewicht der Natur und fordert einen respektvollen Umgang mit den vorhandenen Ressourcen. Die künstlerischen Illustrationen von Serena Viola verleihen dem Text eine eigenwillige Leichtigkeit. Gezeichnete „Fäden“ durchziehen das gesamte Buch und machen symbolhaft deutlich, dass alles mit allem in Zusammenhang steht.

Auch das Preisbuch der Jugendjury trifft den Nerv der Zeit: Angie Thomas’ Debüt „The Hate U Give“ (cbj), übersetzt von Henriette Zeltner, ist ein Appell für mehr Zivilcourage. Es thematisiert rassistische Polzeigewalt in den USA und damit die Frage von Recht und Gesetz in der Gesellschaft. Die junge schwarze Heldin Starr ist eine starke Identifikationsfigur, die jugendliche Leser motiviert, das eigene Handeln zu hinterfragen.

Mit dem Sonderpreis „Gesamtwerk“ wurde der Übersetzer Uwe-Michael Gutzschhahn geehrt. Vom Bilder- über das Kinder- und Jugendbuch bis zum Sachbuch: In seinem umfangreichen Œuvre hat er sich mit jedem Genre auseinandergesetzt, und das erfolgreich. Besondere Verdienste hat er sich als deutsche Stimme von Kevin Brooks erworben, dessen harte, oft atemlose Sprache er perfekt in Ton und Syntax wiedergibt.

Über den Sonderpreis „Neue Talente“ durfte sich Gesa Kunter freuen. Ausgezeichnet wurde sie für ihre kreative Übersetzung der Textwerkstatt Schreib! Schreib! Schreib! (Beltz & Gelberg). Die originelle schwedische Vorlage wurde von ihr teils kulturell angepasst, teils belassen. Dabei hat sich Kunter stets an den Bedürfnissen der Zielgruppe und dem Zweck des Buches orientiert.

Hintergrund

Der Deutsche Jugendliteraturpreis wird seit 1956 für herausragende Kinder- und Jugendbücher vergeben und ist mit insgesamt 72.000 Euro dotiert. Er wird vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gestiftet und vom Arbeitskreis für Jugendliteratur ausgerichtet. Der Sonderpreis für das Gesamtwerk umfasst ein Preisgeld in der Höhe von 12.000 Euro, alle anderen Auszeichnungen sind mit je 10.000 Euro dotiert und werden unter den Autoren, Übersetzern und Illustratoren aufgeteilt. Neben der Preissumme erhalten alle Preisträger auch eine Skulptur: die Momo. Gestaltet wurde die 30 cm hohe Bronzeplastik von dem Bildhauer Detlef Kraft. Als Symbolfigur für freie, unverplante Zeit hat Momo, die Heldin aus Michael Endes gesellschaftskritischem Roman, bis heute nicht an Aktualität verloren.

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