Lebendige Erinnerungskultur: Jugendkongress macht vor, wie’s gehen kann

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DORTMUND. Ein kurzes Theaterstück, ein Gedicht, ein Song, ein Radiobeitrag, ein Filmskript und eine bewegende Choreographie: Die kreativen Beiträge zur Erinnerungskultur, die Jugendliche auf dem ersten „Jugendkongress ErinnerungsKULTUR“ im Dortmunder Fritz-Henßler-Haus (skizziert und realisiert haben, sollen einen festen Programmplatz finden bei den nächsten Gedenkstunden zur Erinnerung an die Opfer der NS-Zeit. Drei Stunden lang hatten die Schülerinnen und Schüler getanzt, gemalt, gedichtet und geprobt. Die gut einstündige Abschlusspräsentation übertraf alle Erwartungen.

Sieben Künstlerinnen und Künstler – unterstützt durch die BotschafterInnen der Erinnerung und Mitarbeitende des IBB – leiteten die rund 70 Jugendlichen am letzten Schultag vor den Herbstferien beim ersten Jugendkongress Erinnerungskultur im Fritz-Henßler-Haus an. Foto: IBB

Im Mittelpunkt stand die Biographie der Dortmunder Widerstandskämpferin Martha Gillessen. Die dreifache Mutter hatte nach einer ersten Verhaftung Anfang der 1930er Jahre aktiv Widerstandsgruppen unterstützt und neben weiteren die Jüdin Lotte Temming versteckt. Am 19. April 1945, in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs vor der Kapitulation am 8. Mai 1945, war sie in der Bittermark in Dortmund ermordet aufgefunden worden.

Der erste Dortmunder „Jugendkongress ErinnerungsKULTUR“ gab den mehr als 70 Jugendlichen aus fünf Dortmunder Schulen Raum, Zeit und Mittel, um diese Biographie kreativ zu bearbeiten. Was bewegt Jugendliche, wenn sie die Lebensgeschichte eines NS-Opfers hören? Was können sie aus den Ereignissen damals für die heutige Zeit lernen?

Die Idee zum Kongress war vor gut einem Jahr entstanden. Der Jugendring Dortmund und das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk (IBB) in Dortmund, die die Veranstaltung gemeinsam organisiert haben, konnten sieben Künstlerinnen und Künstler für eine Mitarbeit gewinnen: Claudia Werner (bildende Künstlerin), Monica Fortescu-Uta (Tänzerin), Boris Gott (Liedermacher), Thorsten Trelenberg (Lyriker), Ilhan Atasoy (Kabarettist), Jürgen Mikol (Schauspieler), Cem Arslan (Filmemacher) und Klaus Lenser (Radiomacher) unterstützten die Jugendlichen am Freitag bei der Umsetzung ihrer Ideen. Begleitet wurden sie dabei von den Botschafterinnen und Botschaftern der Erinnerung und Mitarbeitenden des IBB

Während eine Gruppe auf der Bühne eine szenische Darstellung entwickelte, studierten andere im Gymnastikraum eine Choreografie ein. Die Filmgruppe entwickelte Ideen für einen Kurzfilm. Die Dichter-Runde fasste inspirierende Gedanken in Worte. Und beim Action Painting im Innenhof ging es zunächst einmal um das künstlerische Konzept, bevor die Farbbeutel auf sorgsam vorbereitete Plakattafeln flogen.

Keine drei Stunden später präsentierten die Jugendlichen beeindruckende Ergebnisse. Eine provokante szenische Darstellung, ansprechend gestaltete Plakate, nachdenkliche und herausfordernde Texte der Dichter-Runde, eine ausdrucksstarke Tanzvorführung und ein bewegender Song, der den beispielhaften Mut der Widerstandskämpferin Gillessen betont. Der Beitrag des Radio-Workshops wird in Kürze im Bürgerfunk auf Radio 91,2 ausgestrahlt. In welcher Form der Kurzfilm gedreht werden kann, wird sich in der nächsten Zeit entscheiden.

„Als wir vor einem Jahr gemeinsam die Idee zu diesem Kongress entwickelt hatten, habe ich im Leben nicht mit derart beeindruckenden Ergebnissen gerechnet“, gestand Jocelyne Jakob, Referentin des IBB am Ende sichtlich berührt. Sie richtete ihren Dank an alle Mitwirkenden und besonders die kreativen Jugendlichen. „Ihr habt mich tief beeindruckt.“ „Wir haben den Jugendlichen bewusst den Freiraum gegeben, ihre Ideen umzusetzen. Ich bin begeistert, mit welcher Ernsthaftigkeit und Kreativität sie sich dem Thema genähert haben“, ergänzte Andreas Roshol vom Jugendring Dortmund und versprach: „Wir werden uns dafür einsetzen, dass die Ideen der Jugendlichen selbstverständlicher Bestandteil der Dortmunder Erinnerungskultur werden.“

Zum Kreis der Teilnehmenden gehörten Schülerinnen und Schüler der Droste-Hülshoff- Realschule, des Paul-Ehrlich-Berufskollegs, der Gesamtschule Gartenstadt, der Johann- Gutenberg Realschule und des Westfalenkollegs.  Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau hatte den ersten Jugendkongress am Morgen eröffnet und die Jugendlichen ermutigt, aus der Geschichte zu lernen und sich zu engagieren gegen Menschenverachtung und Rassismus. „Dies ist ein guter Tag für die Erinnerungskultur. Ich glaube, es ist an der Zeit, sich gegen die neu aufkommenden Tendenzen zu engagieren, sich zu wehren.“

Hintergrund: das IBB

Grenzen überwinden – dieser Leitgedanke ist für das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk (IBB) Vision und Lösungsmodell, Ziel und Mittel seiner Arbeit. Weiterbildung und internationale Begegnungen sind seit 1986 die bewährten Markenzeichen des IBB in Dortmund. Das IBB ist zertifizierter Träger der Erwachsenenbildung und der politischen Bildung sowie anerkannter Träger der Jugendhilfe. 2011 erhielt das IBB den „einheitspreis 2011 – Bürgerpreis der Deutschen Einheit“ – von der Bundeszentrale für politische Bildung. Das IBB Dortmund betreibt zusammen mit belarussischen Partnern die Internationale Bildungs- und Begegnungsstätte „Johannes Rau“ in Minsk.

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