Lehrermangel: Eisenmann räumt „Mangelverwaltung“ ein – warnt aber trotzdem vor dem Einsatz von Seiteneinsteigern

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PFORZHEIM. Zu wenige Lehrer, zu viel Unterrichtsausfall. Das ist nicht hinnehmbar, finden Lehrer, Eltern und auch die baden-württembergische Kultusministerin. Sie verspricht auf der Vertreterversammlung des VBE Abhilfe – warnt aber vor „panischen Reaktionen“. Gemeint sind: Seiteneinsteiger, wie sie in anderen Bundesländern bereits zahlreich zum Einsatz kommen.

aut um: Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU). Foto: Kultusministerium Baden-Württemberg
Freundin klarer Worte: Baden-Württembergs Kultusministerin Eisenmann. Foto: Kultusministerium Baden-Württemberg

Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) will angesichts des Lehrermangels vor allem im Grundschulbereich die Ausbildungskapazität weiter erhöhen. «Qualifizierter Unterricht hat eine Grundvoraussetzung: Er sollte stattfinden», sagte sie am Freitag bei der Vertreterversammlung des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) in Pforzheim. Man bemühe sich, den Mangel mit verschiedenen Maßnahmen zu mildern. «Aber das ist ein Stück weit Mangelverwaltung», räumte sie ein.

Eisenmann warnte zugleich vor panischen Reaktionen. Sie halte nicht viel von Notlösungen mit nicht ausgebildeten Pädagogen. Lehrer könnten mehr als jemand, der nur Mathe studiert habe. «Meine Wertschätzung für Lehrer ist ungemein groß», betonte sie.

Brand mahnt Qualifizierung an

VBE-Landeschef Gerhard Brand hatte zuvor vor einem zunehmenden Mangel an Professionalität an Schulen gewarnt. Vor allem bei Grundschulen fehle es an genügend ausgebildeten Pädagogen. Man öffne die Tür deshalb auch für Menschen ohne komplette Lehramtsausbildung und für Kräfte, die etwas anderes gelernt hätten. «Wir sehen die große Not», sagte er. «Wir fordern aber, dass die Leute genügend qualifiziert werden, bevor sie vor der Klasse stehen.» Auch sollten Quereinsteiger, die sich bewährt hätten, die Möglichkeit bekommen, die Ausbildung zum Lehrer nachzuholen, forderte Brand.

Anlässlich des Weltlehrertages an diesem Freitag wies der VBE-Vorsitzende auch auf die zunehmende Belastung der Lehrer hin. Was früher Aufgabe der Familie und des sozialen Umfelds gewesen sei, werde heute den Lehrern aufgebürdet. Er forderte die Politik auf, etwas für den Gesundheitsschutz der Pädagogen zu tun. «Lehrer sollten den Regierenden wirklich wieder etwas wert sein.»

Der 56-Jährige, der mit großer Mehrheit als VBE-Landeschef bestätigt wurde, forderte vom Land auch eine genügende Ausstattung der Schulen beim Thema Inklusion. Die Lehrer stünden dem Thema grundsätzlich positiv gegenüber. Wenn aber die personellen, räumlichen und technischen Voraussetzungen in den Schulen nicht gegeben seien, lehne sein Verband Inklusion an den Schulen ab. Nötig seien etwa ein Zwei-Pädagogen-Prinzip und barrierefreie Schulen.

Bei der Veranstaltung unter dem Motto «Werte machen Schule wertvoll» betonte Kultusministerin Eisenmann auch die Bedeutung der Werteerziehung. Der Ethikunterricht als wichtiger Teil davon solle deshalb ab dem nächsten Schuljahr ausgebaut werden.

Hintergrund: Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) in Baden-Württemberg versteht sich als bildungspolitischer gewerkschaftlicher Interessenverband für die landesweit 80.000 Lehrer aus Grund-, Haupt-, Werkreal-, Real-, Sonder- und Gemeinschaftsschulen. Weitere 18 000 Lehrer sind dem VBE durch eine freiwillige Mitgliedschaft verbunden. Der Verband setzt sich nach eigenen Angaben für Lehrer, Erzieher, Pädagogische Assistenten sowie Lehramtsanwärter ein – aber auch für Studenten, Pensionäre und Rentner. Der VBE ist im Deutschen Beamtenbund (dbb) der größte Berufsverband im Bildungsbereich.

Alle vier Jahre hält der VBE seine Vertreterversammlung ab. Zur diesjährigen Veranstaltung in Pforzheim kamen 188 Delegierte aus vier Landesbezirken. dpa

Brand: Lehrkräfte enorm belastet

Anlässlich des Weltlehrertages hat der baden-württembergische VBE-Vorsitzende Gerhard Brand auf die zunehmende Belastung der Lehrkräfte hingeweisen. Die Klage, dass Schule Lehrer krank machen könne, stimmten nicht etwa „hypersensible, pädagogische Jammerlappen“ an, sondern das sei durch diverse Untersuchungen unabhängiger Wissenschaftler empirisch nachgewiesen. Gerade engagiertere Lehrer erwische es am heftigsten, so die Studien.

Gerhard Brand, VBE-Vorsitzender Baden-Württembergs, kritisiert, dass für alles, was in der Gesellschaft schief läuft, die Lehrer verantwortlich sind. Foto: VBE
Mit großer Mehrheit im Amt bestätigt: Gerhard Brand, VBE-Vorsitzender Baden-Württembergs. Foto: VBE

Was früher Aufgabe der Familie und des sozialen Umfelds war, werde heute bedenken­los den Lehrern aufgebürdet. Obendrein sollen sich Schulen weiterentwickeln in Rich­tung Ganztagesschule, Gemeinschaftsschule, inklusive Schule, neue Bildungspläne… und ganz nebenbei auch noch traumatisierte Flüchtlingskinder integrieren. „Lehrer müs­sen, können und wollen Schulen voranbringen. Sie sollen gemeinsam aufbrechen, aber dabei nicht zusammenbrechen“, warnt der VBE-Chef in aller Deutlichkeit.

Schule, so Brand, funktioniere nach Auffassung der politisch Verantwortlichen wohl wie die Schadstoffmessung in der Autoindustrie: Unter optimierten Laborbedingungen bekommt man die geforderten Ergebnisse ganz passabel hin, der Schulalltag sieht jedoch ganz anders aus. Da bekomme die Kollegin in einer kombinierten Klasse zusätzlich vier In­klusionskinder und die Sonderpädagogin aus dem Förderbereich, die zur Doppelbe­setzung in der Klasse vorgesehen war, komme nicht, weil sie wegen Krankheit länger ausfällt, und wird auch nicht ersetzt. Da würden Schulklassen aufgrund der schlechten Unterrichtsversorgung deutlich über der Schülerhöchstzahl geführt. Da müssten Schüler nach Hause geschickt werden, weil Lehrer erkrankt sind und die Schulen keine Krank­heitsvertretungen haben, oder die Kollegen bekommen – vor allem bei der verlässlichen Grundschule –Überstunden aufgebrummt, damit ja kein Unterricht bei den Kleinen aus­fallen muss.

„Dennoch singt die Regierungskoalition permanent – und nicht nur am Weltlehrertag – das hohe Lied des Bildungsaufbruchs und vernachlässigt dabei völlig die Fürsorge­pflicht und den Gesundheitsschutz für die Pädagogen, die aufbrechen, aber nicht zusam­menbrechen wollen. Lehrer sollten den Regierenden wirklich wieder etwas wert sein“, meinte Brand.

Seiteneinsteiger in den Lehrerberuf landen meist an den Schulen, wo die Herausforderungen am größten sind – VBE: “Ein Teufelskreis”

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2 Kommentare
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sofawolf
5 Jahre zuvor

Natürlich ist der Einsatz (und die Blitzausbildung) von Seiteneinsteigern nur eine vorübergehende Lösung. Sie ist neben der Reduzierung des Stundensolls für die Schüler aber die fast einziger Maßnahme, die kurzfristig helfen kann, zusätzliche Belastungen für im Dienst befindliche Lehrer zu vermeiden.

Ggf. kann man noch mehr ausländische Lehrer einsetzen. Es gibt ja etliche, die bereits hier sind, aber keine Anerkennung ihrer ausländischen Lehrerausbildung bekommen, weil ihnen z.B. ein zweites Fach fehlt.

Pälzer
5 Jahre zuvor

Frau Eisenmann scheitn beide Seiten zu sehen, und das macht sie mir sympathisch: einerseits fehlt das Personal, andererseits ist es unverantwortlich, Löcherstopfer einzustellen, die dann aber auf Jahre mit zweifelhafter Qualifikation auf ihrem Platz bleiben könnten – denn hire & fire wird ja wohl niemand machen wollen.