Freiheit oder Gleichheit? – Wirtschaftswissenschaftler für KiGa-Pflicht zur Armutsbekämpfung

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MAINZ. Wie Armut in Deutschland bekämpft werden kann, darüber zerbrechen sich Politiker und Wissenschaftler seit Langem den Kopf. Für den Mainzer Wirtschaftswissenschaftler Klaus Wälde stellt eine Kindergartenpflicht ein wichtiges Instrument dar, Armut langfristig zu verhindern. Doch das bringt auch Probleme mit sich.

Über 10 Jahre nach den Hartz-Reformen wird über alle politischen Lager hinweg die Reform dieser Maßnahmen diskutiert. Ob sich nun aber Befürworter oder Gegner einer Reform der Reformen zu Wort melden, die Diskussionen drehen sich in erster Linie um die Verwendung klassischer Instrumente der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Sollen die Hartz-IV-Sätze angehoben oder beibehalten werden? Soll der Mindestlohn erhöht oder gesenkt werden? Soll es ein Grundeinkommen geben, für das dann aber doch die Bedürftigkeit nachgewiesen werden muss? „Die Überlegungen drehen sich um Instrumente, die ein Problem vielleicht mildern könnten, aber andere Probleme mit sich bringen“, stellt der Mainzer Wirtschaftswissenschaftler Klaus Wälde fest. Zum Beispiel soll der Mindestlohn Armut reduzieren, birgt aber die Gefahr in sich, Arbeitslosigkeit zu erzeugen.

Kindergarten gegen Armut? Foto: Pressestelle BFK Urfahr-Umgebung / flickr (CC BY 2.0)
Kindergarten gegen Armut? Foto: Pressestelle BFK Urfahr-Umgebung / flickr (CC BY 2.0)

Zu den aktuellen Diskussionen schlägt Wälde in einem gemeinsam mit der Mainzer Doktorandin Steffi Hahn vor, über den Einsatz neuer Steuerungsinstrumente nachzudenken. Im unteren Einkommensbereich müsse mehr Netto vom Brutto übrigbleiben“, schreiben sie in einem Positionspapier. Außerdem warnt Wälde vor lediglich kurzfristigen Maßnahmen und fordert eine mittelfristige Strategie zur Armutsbekämpfung.

Eine Möglichkeit wäre aus Sicht der Autoren die Einführung einer Kindergartenpflicht spätestens ab dem 3. Lebensjahr. „Frühkindliche Bildung darf nicht nur den Kindern aus der Mittel- und Oberschicht zugutekommen, sondern auch den Kindern, die am meisten davon profitieren würden.

„Umverteilung ist sicher eine gute Idee“, so Wälde. „Aber zukünftige Generationen müssen auch befähigt werden, selbstständig der Armut zu entkommen.“ Armut sei ein Teufelskreis und sollte daher nicht als individuelles Problem behandelt, sondern über Generationen und längere Zeiträume hinweg bekämpft werden. Dies sei über frühkindliche Bildung zu erreichen, wie auch neue Studien aus den USA bestätigen.

Denke man die Reform des Sozialstaates zu Ende und fasse die Bekämpfung von Armut mittelfristig ins Auge, dann sei eine Kindergartenpflicht spätestens ab dem 3. Lebensjahr folgerichtig. „Eine Kindergartenpflicht erscheint zunächst als massive Bevormundung und greift stark in die Familien und in die Sozialstrukturen ein. Andererseits muss unserer Gesellschaft an einer guten Ausbildung aller Bevölkerungsschichten gelegen sein, und eine Kindergartenpflicht wäre im Prinzip nichts anderes als die Schulpflicht, nur in einem früheren Alter“, sagt Wälde zum Pro und Contra der Vorschläge.

Wenn sich die Bundesrepublik auf den Weg mache, ihr Sozialsystem zu erneuern, dann sollten dabei zwei Dinge beachtet werden. „Wir brauchen einerseits neue Instrumente, die Armut sofort und unmittelbar reduzieren, aber nicht Arbeitslosigkeit erzeugen. Andererseits brauchen wir Instrumente, die Armut auch mittelfristig angehen“, fassen die Ökonomen zusammen. Kinder und Jugendliche müssten durch eine bessere Betreuung in Ausbildungsstätten ihren eigenständigen Weg aus der Armut finden.

Jenseits rein ökonomischer Überlegungen erkennen die Autoren auch moralisch-rechtliche Schwierigkeiten, die mit einer Kindergartenpflicht einhergehen. Grundsätzlich liegt ein verfassungsrechtlicher Wertekonflikt zwischen Gleichheit – dies unterstützt die Kindergartenpflicht – auf der einen Seite und Freiheit – dies unterstützt die Autonomie der Eltern – auf der anderen Seite vor. Es ist die Aufgabe des Staates, auf das Kindeswohl zu achten. Jedoch muss der Staat auch Freiheitsrechte gewährleisten. Jenseits rein ökonomischer Überlegungen, die zugunsten von Gleichheit und Ausbildung ausfallen, werde die Forderung nach einer Kindergartenpflicht also recht komplex. (zab, pm)

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