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Diese Forscherin baut die Schule der Zukunft: Es gibt nur noch Projektunterricht – und Lehrer werden zu Lernbegleitern

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DRESDEN. Rund 200 Schüler, zehn Lehrer, ein Plattenbau als Schulgebäude: Die Rahmendaten der neuen Schule, die Anfang der Woche ihren Betrieb in Dresden aufgenommen hat, klingen erst einmal wenig spektakulär. Der pädagogische Ansatz allerdings ist es: Nichts Geringeres als die Schule der Zukunft soll im Zusammenwirken von Stadt und Universität entstehen – digital, individuell, inklusiv, jahrgangsübergreifend und fächerverbindend. Wir fragten die Bildungsforscherin Prof. Anke Langner, die das Modell wissenschaftlich leitet, welche Idee dahintersteckt. 

“Wir müssen Bildung mehr vom Schüler aus denken als vom Lehrplan”, sagt Prof. Anke Langner. Foto: privat

News4teachers: Was beinhaltet das Konzept der Universitätsschule?

Anke Langner: Zum Hintergrund muss man vielleicht wissen, dass ich Professorin für inklusive Bildung bin, also immer sehr stark dafür argumentiert habe, dass wir eine Schule aufbauen, die individualisierte Lernwege ermöglicht. In dem Wissen, dass wir eine öffentliche Schule sind und nicht mehr Lehrerinnen und Lehrer bekommen werden, haben wir überlegt, wer oder was uns dabei helfen könnte, Schule funktionaler für die individuellen Lernwege zu machen. Es kam die Idee, dass uns digitale Werkzeuge helfen könnten, bestimmte Dinge effizienter und effektiver zu gestalten. Um also individualisierte Lernwege in einem kooperativen Lernprozess zu ermöglichen, haben wir geschaut, was wir uns aus dem Bereich der Digitalisierung holen können, was uns neue Wege eröffnet.

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News4teachers: Wie sehen die aus?

Langner: Die klassische Methode für die Umsetzung ist die Projektmethode. Das heißt, die Lehrkraft greift einen Impuls der Kinder auf und unterstützt sie dann darin zu planen, wie sie sich ihre Fragen erklären können. Eltern beschreibe ich es wie folgt: Wenn sich ein Kind fragt, warum das Flugzeug in der Luft bleibt, können davon ausgehend ganz viele weitergehende Fragen gestellt werden. Als geschickte Lehrerin kann ich eigentlich an so einer Frage den kompletten Lehrplan bearbeiten lassen. Das ist die Idee unserer Schule zu sagen: Schüler kommen mit Fragen und an diesen Fragen etablieren sie Projekte, begleitet durch die Lehrerinnen und Lehrer. In der Regel arbeiten fünf bis sechs Schülerinnen und Schüler in einem solchen Projekt zusammen. Die Gruppen sind altersheterogen und wir setzen an dieser Stelle sehr bewusst auch auf eine starke Heterogenität und die Möglichkeiten des Peer Learning.

News4teachers: Wie verändert sich durch das Projektlernen die Rolle der Lehrkräfte?

Langner: Lehrer werden zu Lernbegleitern, die das Lernumfeld entsprechend für die Schülerinnen und Schüler gestalten. Damit verändert sich die Rolle des Lehrers zentral: Es geht nicht mehr um die Wissensvermittlung, die an eine Person gebunden ist. Um den Lernprozess gut begleiten zu können, müssen die Lehrerinnen und Lehrer die individuellen Lernwege der Schülerinnen und Schüler genau beschreiben und dokumentieren. Hier unterstützt uns eine eigens dafür entwickelte Software, in der die Kinder ihre Projekte planen und in Form eines E-Portfolios auch hinterlegen – dies bedeutet nicht, dass alles elektronisch im Lernprozess erfolgt, sondern dass es lediglich so abgelegt wird. Die Dokumentation erfasst auch die bereits bearbeiteten Themen des Curriculums und die erreichten Kompetenzen. Beides ist die Basis für die Beratung des einzelnen Schülers bei der kommenden Entwicklung von Projekten. Wir können gemeinsam mit dem Schüler überlegen, was die nächsten Schritte sind, womit er oder sie sich noch beschäftigen kann und welche weiteren Fragen er oder sie sich stellt.

News4teachers: Schülerinnen und Schüler sollen also in Form von Projekten lernen – in ihrem eigenen Tempo. Diese Projekte werden digital dokumentiert, damit ersichtlich wird, was jedes einzelne Kind gemacht hat und welche Lerneffekte es erzielt hat. Richtig zusammengefasst?

Langner: Ja. Die Schülerinnen und Schüler entwickeln etwas miteinander und trotzdem haben sie unterschiedliche Aufgaben innerhalb des Projekts – aber nur dadurch, dass alle ihre Aufgaben erledigen, ist das Projekt auch als Ganzes denkbar. Ein Beispiel: Stellen wir uns vor, wir wollen ein Floß bauen, mit dem wir über die Elbe fahren können. Dann bearbeiten die Schülerinnen und Schüler ganz unterschiedliche Aspekte und am Ende kann auch das jeweilige Ergebnis für jeden unterschiedlich sein. Der eine kalkuliert vielleicht, wie viel Holz wir brauchen, damit das Floß schwimmt, ein anderer fragt nach der geschichtlichen Bedeutung des Floßbaus und so weiter. Da sind unterschiedlichste Elemente denkbar, aber am Ende haben die Schüler möglicherweise alle zusammen das Ergebnis, dass wir mit dem Floß über die Elbe schippern können, ohne dass wir untergehen. Das muss gemanagt werden und dabei hilft die Lern- und Schulmanagementsoftware, denn wir brauchen natürlich Lehrer an bestimmten Stellen oder freie Räume. Wenn ein Floss gebaut werden soll, müssen die Schülerinnen und Schüler in die Werkstatt und die sollte dann frei sein.

News4teachers: Wie frei sind die Schülerinnen und Schüler bei der Wahl ihrer Projekte?

Langner: Es soll wirklich ganz frei sein und darin liegt am Anfang die Herausforderung für die Lehrkräfte. Sie müssen mit ihrer Fachkompetenz versuchen, Projektumfelder zu gestalten, die vieles möglich machen. Was können sie einem Kind anbieten, wenn es sich mit einer bestimmten Frage auseinandersetzt, was kann es in Mathe oder im Sachunterricht dazu noch bearbeiten? Noch ein Beispiel: Wenn ein Kind direkt eine sehr komplexe Frage stellt, wie „Warum kann eine Rakete zum Mond fliegen?“, ist die Beantwortung der Frage nicht der einzige Erkenntnisprozess. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass es sich Wissen aneignen und planen muss, wie es vorgeht. Und um sich dieses Wissen anzueignen, muss es in irgendeiner Form lernen, Kulturtechniken zu beherrschen, also Lesen, Rechnen, Schreiben. Aus allen reformpädagogischen Institutionen wissen wir, dass Schülerinnen und Schüler relativ selbstständig lernen, wenn sie sozusagen gelernt haben, zu lernen. Und darauf wird neben dem Erwerb der Kulturtechniken der Fokus in den ersten Jahrgängen liegen.

News4teachers: Das heißt, am Anfang sollte die Erkenntnis stehen, warum soll ich lernen, warum will ich lernen? 

Langner: Ja, und die eigene Einsicht, warum ich überhaupt Lesen, Schreiben und Rechnen brauche. Und das kann man sehr spielerisch machen: Kinder wollen wissen, wie alt und wie groß sie sind. Daran kann man wunderbar Zahlen etablieren. Oder sie wollen verstehen, was in einem bestimmten Buch steht, oder sie wollen wissen, was da unter dem Bild steht. Was wir auf keinen Fall wollen, ist, dass Lehrer Projekte anbieten. Stattdessen sollen die Schülerinnen und Schüler diese Schule mit ihren Fragen an die Welt formen.

News4teachers: Und was haben Sie Eltern gesagt, die in Sorge waren, dass ihr Kind mehr Struktur braucht?

Langner: Dann habe ich immer auf Individualisierung gesetzt. Ich habe gesagt, Kinder, die viel Struktur brauchen, werden sie auch bekommen. Man kann mit den Kindern ja auch ganz enge Vereinbarungen treffen, was jeweils der nächste Schritt ist und auch mehr Meilensteine im Rahmen des Projekts setzen als bei einem Kind, das sehr selbstständig lernen kann. Das ist genau die Idee unserer Schule, dass wir versuchen, das zu ermöglichen: Jedem Kind das zu geben, was es braucht.

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Digital, individuell, inklusiv und fächerverbindend: Die Schule der Zukunft geht an den Start

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