Aktuell: Hessen öffnet seine Grundschulen vor den Sommerferien – ohne Abstandsregel
WIESBADEN. Hessens Kultusminister Alexander Lorz will einen Regelbetrieb an Schulen in den zwei Wochen vor den Sommerferien «ernsthaft prüfen». «Ich finde diese Idee sehr spannend und denke aktuell darüber nach», sagte der CDU-Politiker der «Frankfurter Rundschau». Der VBE und der Philologenverband sprechen sich entschieden dagegen aus. Ein Expertengremium aus Schulpraktikern hat unterdessen Beratungen darüber aufgenommen, wie der Unterricht an Hessens Schulen nach den Sommerferien organisiert werden kann.
Hintergrund sind Vorschläge von Medizinern, die zwei Wochen vor den Ferien als Testphase zu nutzen, um Erfahrungen zu sammeln und die Ferien als Sicherheitspuffer zu nutzen. Wenn renommierte Mediziner dies für möglich halten, «dann sollten wir das ernsthaft prüfen», so Lorz. «Allerdings möchte ich betonen, dass auch der erhoffte Regelbetrieb nach den Sommerferien nicht der gleiche sein wird wie vor Corona», sagte der Kultusminister der Zeitung. Wahrscheinlich werde zumindest das erste Schulhalbjahr noch von gewissen Einschränkungen geprägt sein, selbst wenn Abstandsregeln aufgegeben und die Gruppengrößen wieder auf den regulären Stand gebracht würden.
Prüfen, wie viel Ganztag es neben dem Unterricht geben kann
«Wir müssen zum Beispiel sehen, welche Ganztagsangebote es zusätzlich zum Unterricht noch geben kann, denn bei einigen Trägern dieser Angebote fällt ja ebenfalls Personal aus, weil es zu einer Risikogruppe zählt», sagte Lorz. Zudem seien im Sport sicherlich Mannschaftssportarten kritisch und im Musikunterricht werde in geschlossenen Räumen sicher weiter auf das Singen verzichtet werden müssen.
Der Verband Bildung und Erziehung Hessen spricht sich gegen eine vollständige Öffnung der Grundschulen in der Corona-Krise aus. Die Pläne der Landesregierung seien organisatorisch kaum umsetzbar und medizinisch fragwürdig, sagte Stefan Wesselmann, VEB-Landesvorsitzender, am Dienstag. «Es ist angesichts der beschränktem Raumkapazitäten und des Personalmangels nicht vorstellbar, wie die Schulen mehr Präsenzunterricht für alle Kinder bewerkstelligen können!»
Jeder dritte Lehrer fühlt sich nicht ausreichend vor Corona geschützt
«Bei allem Verständnis für die Nöte vieler Familien – dieser erneute Kurswechsel wäre eine Zumutung für die Lehrkräfte und Schulleitungen», kritisiert Wesselmann. Es sei gerade mal eine Woche her, seit die Grundschulen wieder alle Kinder stundenweise in der Schule hätten. Dem sei ein enormer organisatorischer und logistischer Aufwand vorausgegangen. Die Schulen sollten offenbar «ein Experimentierlabor für die Ansteckungsrisiken des Coronavirus unter Kindern» werden. Dabei fühle sich bereits jetzt jede dritte Lehrkraft nicht ausreichend vor Ansteckung geschützt (er bezieht sich dabei auf eine aktuelle bundesweite Umfrage des VBE unter Lehrerinnen und Lehrern – hier geht es zu einem ausführlichen Bericht darüber).
Auch vom Philologenverband kommt entschiedener Widerspruch. “Dass sich Kultusminister Lorz an der Wissenschaft orientiert, ist zwar löblich, allerdings vergisst er dabei augenscheinlich, dass wissenschaftliches Arbeiten auch Risiken birgt”, sagt Landesvorsitzender Reinhard Schwab. “Wenn der Infektionsforscher Erfahrungen mit dem Regelbetrieb der Schulen sammeln will, geschieht dies einzig zu Lasten der ‚Versuchskaninchen‘ namens Lehrkräfte und Schüler.” Diese würden einer unnötigen Gesundheitsgefahr ausgesetzt – ein unkalkulierbares Risiko. Schwab fordert deshalb: „Keine übereilten Schritte bei weiteren Schulöffnungen!“ Der jetzige Krisenmodus sollte beibehalten werden. Nach den Ferien könne dann der Schulbetrieb mit „voller Kraft voraus“ starten, wenn die Infektionszahlen es zuließen.
Vertreter aller Schulformen beraten über Schulöffnungen
Ein Expertengremium berät seit Dienstag darüber, wie der Unterricht an Hessens Schulen nach den Sommerferien angesichts der Corona-Pandemie organisiert werden kann. An der «Konzeptgruppe Schuljahresbeginn 2020/2021» seien unter anderem 15 Schulleiterinnen und Schulleiter sowie Vertreter der Lehrer, Schüler und Eltern beteiligt. Es sind laut Ministerium alle Schulformen aus allen Regionen vertreten. «Von unseren Praktikern aus den Schulen zu erfahren, wo der Schuh drückt, ist schon in normalen Zeiten wichtig. In der jetzigen Situation sind ihre Erfahrungen Gold wert», erklärte Kultusstaatssekretär Manuel Lösel . Er zeigte sich zuversichtlich, dass vor Beginn der Sommerferien ein Konzept vorliegt. News4teachers / mit Material der dpa
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