Außerschulische Lernangebote machen den Unterricht attraktiver – auch in der Krise

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DARMSTADT. Auch nach der Sommerpause bestimmt die Corona-Pandemie weiter das Miteinander an Deutschlands Schulen. Dabei geht mehr, als auf den ersten Blick scheint, denn zahlreiche außerschulische Lernorte haben sich auf die neuen Rahmenbedingungen eingestellt und stehen bereit, um die Lehrerinnen und Lehrer bei ihrer Aufgabe zu unterstützen, den Unterricht auch in Corona-Zeiten anschaulich und vielfältig zu gestalten. Ein Gastbeitrag.

In Heilbronn hofft die experimenta wieder auf die Schulen: Auf rund 25.000 Quadratmetern können Kinder und Jugendliche Wissenschaft erleben. Foto: Sauerbruch Hutton Architekten, Berlin

„Auch uns hat das Corona-Virus kalt erwischt. Gerade noch waren wir bis zu den Sommerferien voll ausgebucht. Plötzlich wurden mit der ersten schleswig-holsteinischen Corona-Verfügung von einem auf den anderen Tag alle Schulklassenbesuche abgesagt“, sagt Cornelia Klaffke vom Jugend-Naturschutz-Hof Ringstedtenhof. „Wir hoffen nun, das Schlimmste überstanden zu haben. Kurz vor den Sommerferien haben wir die erste Schulklasse unter den Bedingungen unseres neuen Hygienekonzeptes begrüßen können und es hat alles gut geklappt. Die ersten Schulklassen haben sich nun für das neue Schuljahr angemeldet und wir schauen, in der Hoffnung, dass es keine 2. Coronawelle geben wird, zuversichtlich in die Zukunft.“

Noch vor den Sommerferien wurden Tagesfahrten wieder erlaubt

Mit Beginn der Corona-Krise im März wurde in allen Bundesländern per Erlass geregelt, dass Schulausflüge, Klassenreisen und Exkursionen vorerst untersagt sind. Noch vor den Sommerferien gab es dann in einigen von ihnen erste Lockerungen: Tagesfahrten waren bei Beachtung der entsprechenden Hygiene-Vorschriften wieder erlaubt. „Sämtliche gebuchten Gruppenanmeldungen für die Zeit bis zu den Sommerferien wurden storniert, wir mussten unser Haus zunächst schließen“, sagt Stefanie Bracht-Schubert von der Biosphäre in Potsdam. „Wir wünschen uns nun sehr, dass die Schulklassen im neuen Schuljahr zurückkehren und haben dafür zahlreiche Vorkehrungen getroffen. So bieten wir den Gruppen zum Beispiel unsere Regenwaldschule als Rückzugsort an und planen die Gruppenanmeldung so, dass sich nur eine Schulklasse neben den Individualbesuchern im Tropenhaus aufhält. Auf diese Weise bleibt im Tropengarten genug Freiraum und die Abstandsregeln können gewahrt werden. Außerdem bekommen Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, mit Hilfe einer App oder Arbeitsblättern die Ausstellung in Kleingruppen zu erkunden“.

Knapp 600 km südlich von Potsdam, wo im März 2019 der Erweiterungsbau der experimenta Heilbronn eröffnet wurde, war im März 2020 in den Forscherwelten von Deutschlands größtem Science Center Stille eingekehrt. In den acht hochwertig ausgestatteten Laboren für Schulklassen und Kindergartengruppen kehrten vor den Sommerferien erst allmählich kleine und große Forscher wieder zurück. Nach Absage vieler großer Ferienfreizeiten in Heilbronn hat die experimenta ihr Sommerferienprogramm deutlich ausgebaut – mit Erfolg: „Unser ganztägiges Betreuungsangebot mit festen Wochengruppen war innerhalb weniger Tage ausgebucht“ sagt Thomas Wendt, Bereichsleiter Pädagogik. „Wir hoffen nun auf einen positiven Effekt bei den Schulbesuchen“.

Lerngegenstände werden – häufig in authentischem Kontext – erlebt

Die Erweiterung des Lernraums aus dem Klassenzimmer raus, von der Theorie zur Begegnung mit dem Original, ist längst zum Bestandteil abwechslungsreichen Unterrichts geworden und auch aktuelle Forschungsergebnisse weisen auf zahlreiche positive Auswirkungen hin. Die Vorteile liegen auf der Hand: „An außerschulischen Lernorten werden die Lerngegenstände – häufig in authentischem Kontext – erlebt und nicht nur indirekt über Lernmedien vermittelt. Das erhöht die Lernmotivation, besonders auch bei leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern. Selbstbestimmtes Arbeiten in Gruppen führt außerdem dazu, dass sie sich in ihrem Tun als sinnvoll erleben“ sagt Jacob von Au, Dozent an der pädagogischen Hochschule und Lehrer am Englischen Institut Heidelberg. „Konkrete, originale Lernbegegnungen stellen oft den ersten Schritt zu schwierigen Abstraktions- und Transferprozessen dar und helfen so, auch komplexe Sachverhalte leichter zu verstehen.“

Viele außerschulische Lernorte sind bereits von den Kultusministerien der Länder anerkannt, weil sie den staatlichen Bildungsauftrag in besonderer Form unterstützen. Mit Bildungspartner NRW hat das Ministerium für Schule und Bildung in Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit den Landschaftsverbänden Rheinland und Westfalen-Lippe 2005 eine besondere Initiative gestartet, um die Zusammenarbeit von Schulen mit kommunalen Bildungs- und Kultureinrichtungen zu fördern. Dort ist man überzeugt, dass gerade jetzt die Potenziale, die außerschulische Lernorte etwa in Feldern wie kultureller, historisch-politischer, naturwissenschaftlich-technischer Bildung oder Leseförderung zu bieten haben, besonders wichtig sind und sogar Beiträge zur Bewältigung der Situation leisten können. Auf der Homepage weist Bildungspartner NRW ausdrücklich auf die unterstützenden und entlastenden Aspekte hin, dort heißt es: „An den außerschulischen Lernorten sind Räumlichkeiten, Konzepte und pädagogisches Personal vorhanden, das Lehrkräften gern zur Seite steht. Außerschulische Lernorte verfügen über Hygienekonzepte und sind für die Durchführung von Projekten vor Ort unter Einhaltung der Infektionsschutzmaßnahmen gewappnet. Viele bieten auch neu entwickelte digitale oder mobile Angebote an.“

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Hygienekonzepte angepasst – und Angebote ins Freie verlegt

Die Lernorte haben schnell reagiert und nicht nur ihre Hygienekonzepte angepasst. Die Naturschule Aggerbogen der Stadt Lohmar hat beispielsweise ihre Angebote so umstrukturiert, dass sie komplett im Freien stattfinden können. „Darüber hinaus haben wir das Programm Naturschule unterwegs aufgelegt, mit dem wir an die Schulen gehen, so können die sonst erforderlichen Busfahrten entfallen“, freut sich die Leiterin Sigrun Jungwirth. Ein ähnliches Konzept bietet das Erlebnismuseum Lernort Natur der Kreisjägerschaft Aachen mit seiner rollenden Waldschule. Aber auch in den anderen Bundesländern haben die Lernorte ihre Konzepte und Angebote überarbeitet und an den Erforderlichkeiten ausgerichtet: „Wenn Schulklassen mit einem Rallyebogen durch die Ausstellungsräume des Deutschen Auswandererhauses laufen, können sie ohne weiteres die Mindestabstände einhalten. Darüber hinaus haben wir neue Konzepte für Führungen mit speziellen Headsets entwickelt, die wir zu Beginn des neuen Schuljahres 2020/21 anbieten. So können sich die Schüler frei in den Ausstellungsräumen bewegen“, sagt Astrid Bormann vom Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven.

In Zeiten der Kontaktbeschränkungen bieten viele Einrichtungen abwechslungsreiche Online-Workshops, Livestreams, interaktive Social Media-Aktionen und interessante virtuelle Informationen aus der Welt der Wissenschaft an. Unterhaltung mit Mehrwert versprechen anschauliche Experimente, die jeder zu Hause mit einfachen Mitteln durchführen kann: Da lässt sich mit einem Luftballon ein Wasserstrahl verbiegen oder auf dem experimenta-YouTube-Kanal beobachten, wie sich zwei Flüssigkeiten mit unterschiedlicher Dichte verhalten, wenn sie gemischt werden. Dennoch setzen die außerschulischen Lernorte auf die Rückkehr der Schüler*innen im neuen Schuljahr. Denn: Digitaler Unterricht ist, wie die Krise gezeigt hat, eine gute, wichtige und inzwischen in mancher Hinsicht auch notwendige Ergänzung schulischen Lernens. Er kann die Begegnung mit dem Original und das soziale Lernen in der Gruppe aber nicht ersetzen. Nur eine vielfältige Bildungslandschaft mit einem bunten Strauß an Lernorten und Lernmethoden nimmt Kinder, Jugendliche und Erwachsene unabhängig von ihrer Vorbildung, ihrer Biographie und ihren Lernerfahrungen mit.

Das Verbot von Klassenfahrten, das in manchen Bundesländern noch mindestens bis zum kommenden Schulhalbjahr gilt, sorgt auf beiden Seiten für Unsicherheit. Während bei den Lernorten von einem Moment auf den anderen alle Buchungen storniert wurden und die Geschäftsgrundlage wegfiel, wussten die Lehrer*innen nicht, wie mit den geleisteten Anzahlungen oder Stornokosten umzugehen war und sahen sich Eltern gegenüber, die ihre Beiträge zurückforderten. Die Situation ist weiter unübersichtlich. Während in einigen Bundesländern die Schulen schon wieder Klassenreisen buchen, sind in anderen sogar Tagesexkursionen bis zu den Herbstferien verboten. „Hier müssen schnellstmöglich neue Regelungen getroffen werden. Die Lehrerinnen und Lehrer brauchen Klarheit, ob sie auch in unsicheren Zeiten Exkursionen buchen und gegebenenfalls kostenfrei von ihren Buchungen zurücktreten können, während die außerschulischen Partner bei der Kompensierung der Einkommens- und Verdienstausfälle nicht allein gelassen werden dürfen. Die Existenz zahlreicher außerschulischer Bildungsangebote ist bedroht und damit wichtige Unterstützung bei der Vermittlung von Zukunftsthemen wie Klimaschutz und Demokratieverständnis. Die Bildungslandschaft würde damit einen beachtlichen Teil seiner Vielfalt einbüßen“, sagt Theodor Niehaus, Präsident des Didacta Verbandes. „Wir setzen uns daher dafür ein, dass die Beteiligten Planungssicherheit erhalten. Die Kultusministerien könnten beispielsweise eine Versicherung für Schulen und Lernorte schaffen, die bei coronabedingten Ausfällen einspringt.“

Das soziale Miteinander im Klassenverband wieder neu einüben

Mit weiteren Forschungen und wachsenden Erfahrungen im Umgang mit dem neuen Virus wird sich zeigen, welche Verhaltensregeln nur kurzzeitig wichtig waren und welche eventuell dauerhaft erhalten bleiben. Alltagsnotwendige Kompetenzen, wie zum Beispiel die Fähigkeit, für sich und andere Verantwortung zu übernehmen, erwerben Schülerinnen und Schüler oft in der ungewohnten Situation am außerschulischen Lernort. „Nicht nur alltagstaugliche Hygiene-Regeln, sondern auch das soziale Miteinander im Klassenverband kann zum Beispiel im Umgang mit Tieren wieder neu eingeübt werden“ sagt Annette Müller-Clemm von der Bundesarbeitsgemeinschaft Lernort Bauernhof. „Ich möchte den Verantwortlichen in den Ministerien und Schulämtern und den Lehrerinnen und Lehrern Mut machen, einen unserer zahlreichen Lernorte zu besuchen. Sowohl die Hygiene- als auch die Bildungskonzepte sind nach den Sommerferien auf dem neuesten Stand.“

Durch die Pandemie und ihre Auswirkungen wurden außerdem weitere wichtige Themen in den letzten Monaten aus den Augen verloren. „Während Anfang des Jahres die Fridays for Future-Demonstrationen noch im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit standen, hat Corona die öffentliche Wahrnehmung verändert und es ist um den Klimawandel ruhig geworden“, sagt Henrike Welpinghus vom Klimahaus in Bremerhaven. „Optimistisch schauen wir jetzt aber nach vorne und planen beispielsweise für den Herbst ein internationales Symposium zum Thema How to? From ClimateKnowledge to ClimateAction, denn die Klimaschutz-Bewegung lässt sich von Corona nicht aufhalten.“

Der Autor

Dr. Michael Pries ist Sprecher vom Ausschuss Außerschulisches Lernen im Didacta Verband, der die Interessen von Organisationen und Unternehmen der Bildungswirtschaft vertritt und sich für den Einsatz hochwertiger Lehr- und Lernmittel sowie eine bedarfsgerechte Ausstattung von Lernorten engagiert.

Klassenfahrten fördern – mit Garantie für Lehrer, nicht auf Kosten sitzenzubleiben?

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