PARIS. Nach der brutalen Ermordung eines französischen Lehrers hat der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes Heinz-Peter Meidinger vor einer «Schere im Kopf» auch bei deutschen Pädagogen gewarnt. «Wir haben die tiefe Sorge, dass auch in Deutschland ein Klima der Einschüchterung entsteht», sagte er der «Passauer Neuen Presse». Es gebe immer mehr Versuche, Lehrer bei ihrer Aufgabe, Werte und Demokratie zu vermitteln, zu beeinflussen und zu behindern. Dazu zählten auch AfD-Meldeportale im Netz.
Am Freitag war der 47 Jahre alte Geschichtslehrer Samuel Paty in einem Pariser Vorort ermordet worden. Zuvor hatte er im Unterricht zum Thema Meinungsfreiheit Mohammed-Karikaturen gezeigt. Der 18-jährige mutmaßliche Täter mit russisch-tschetschenischen Wurzeln – der kein Schüler des Ermordeten war – hatte kurz nach der Tat geschrieben, der Pädagoge habe den Propheten Mohammed herabgesetzt. Er hatte im Internet darüber gelesen (News4teachers berichtete darüber).
An manchen Schulen kann “Schindlers Liste” nicht mehr gezeigt werden
Meidinger sagte: «Der Druck ist vor allem in Brennpunktschulen mit einem hohen Anteil von Schülern mit einem entsprechenden Migrationshintergrund sehr hoch.» An manchen Schulen würden sich Lehrer nicht mehr trauen, einen Film wie «Schindlers Liste» zu zeigen. «Sie bekommen Druck von den Eltern, aber auch von Schülern. Da entsteht bei manch einem schon eine Schere im Kopf», sagte er. Im Gespräch mit dem Hessischen Rundfunk betonte er: «Der ein oder andere Lehrer überlegt sich, ob er schwierige Themen überhaupt noch ansprechen soll, um Anfeindungen zu entgehen.»
Die AfD hatte sogenannten Meldeportale eingerichtet und Schüler und Eltern dazu aufgerufen, angebliche Verstöße von Lehrerinnen und Lehrern gegen das Neutralitätsgebot zu melden – auch anonym.
Ethik-Lehrerin: Mohammed-Karikaturen sind im Unterricht nicht verboten
Ob es möglich ist, dass Lehrer in Deutschland ihren Schülern Mohammed-Karikaturen im Unterricht zeigen? Margret Iversen, bis zum Sommer Ethik-Lehrerin an einer Berliner Gesamtschule und Vorsitzende des Fachverbands Ethik in der Hauptstadt, antworten in einem Interview mit dem “tagesspiegel”: «Es ist in unserem Land nicht verboten, diese Karikaturen als Unterrichtsmaterial einzusetzen – wie anders sollen Schüler und Schülerinnen sich eine eigene Meinung bilden können?»
Lehrkräfte dürften zwar nicht den Glauben von Schülern verletzen; das habe der ermordete Kollege auch gar nicht getan. Lehrkräfte sollten allerdings, zum Beispiel im Ethikunterricht, zur Diskussion stellen, wann und wie Glaube verletzt wird. «Ich halte den Ethikunterricht für einen geschützten Raum, in dem es möglich sein sollte, über alles zu sprechen und auch solche Karikaturen zu zeigen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Schüler die Behandlung solcher Themen einfordern – etwa wenn in den sozialen Medien so etwas präsent ist. Man sollte sich dem im Ethikunterricht nicht verweigern. Schüler fordern die Auseinandersetzung. Ich staune immer, wie vielfältig die Meinungen sind, wenn sie erstmal geäußert werden. Eine gut gesteuerte Diskussion führt notwendig immer zu den Grundsätzen der Gleichheit und Fairness.» News4teachers / mit Material der dpa
Hier geht es zum vollständigen Interview mit Margret Iversen.
