BERLIN. Zeichnet sich damit eine Wende in der Corona-Politik für die Schulen ab? Die Bundesvorsitzende der SPD, Saskia Esken, hat sich öffentlich gegen die Kultusminister gestellt – und eingeräumt, „dass die Infektionszahlen auch in Schulen nach oben gehen“. Die (von Kultusministern vertretene) Annahme, dass Kindergartenkinder und Schüler nicht so ansteckend seien wie Erwachsene „führte zu einem falschen Erwartungsmanagement. Aufgrund dieser Annahme wurden nicht die Maßnahmen an den Schulen ergriffen, die spätestens jetzt notwendig wären“, so erklärt sie in einem Interview mit der „Rheinischen Post“. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), hat bereits reagiert.
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, selbst langjährige Bildungspolitikerin, spielt eine wichtige Rolle in der aktuellen Schulpolitik. Gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sie zwei Mal zu – allerdings in Sachen Corona-Schutz weitgehend ergebnislosen – Gipfelgesprächen mit den Kultusministern der Länder eingeladen (News4teachers berichtete ausführlich über die Treffen – hier geht es zu einem Beitrag).
„Seit dem Frühjahr haben die Schulen viel getan. Das muss man anerkennen“, so sagt sie jetzt gegenüber der “Rheinischen Post”. „Aber die Infektionszahlen gehen auch an Schulen nach oben. Wenn dann regelmäßig ganze Schulen geschlossen werden und weiterhin kein digitaler Unterricht organisiert werden kann, dann zeigt uns das, dass die Schulleitungen und Lehrkräfte nicht gut genug vorbereitet sind.“
“Unterrichtsgruppen können nicht konsequent voneinander getrennt werden”
Die Verantwortung dafür sieht sie augenscheinlich bei den Kultusministern. „Die gewohnten Unterrichtskonzepte ermöglichen es nicht, dass Unterrichtsgruppen konsequent voneinander getrennt werden können. Viel zu häufig werden im Moment ganze Jahrgangsstufen mit mehreren Klassen oder gar ganze Schulen wegen einzelner Corona-Fälle geschlossen. So ist an einen durchgängig zuverlässigen Unterricht in den kommenden Monaten nicht zu denken“, sagt sie.
Hintergrund: Die Kultusminister setzen im Schulbetrieb auf ein „Kohorten-Prinzip“. „Durch die Definition von Gruppen in fester Zusammensetzung (Kohorten) lassen sich im Infektionsfall die Kontakte und Infektionswege wirksam nachverfolgen. Damit wird angestrebt, dass sich Quarantänebestimmungen im Infektionsfall nicht auf die gesamte Schule auswirken, sondern nur auf die Kohorten, innerhalb derer ein Infektionsrisiko bestanden haben könnte“, so heißt es im Rahmen der KMK für den Infektionsschutz an Schulen. Wie groß eine solche Kohorte sein darf, wird dort allerdings nicht geregelt.
Die Folge: Schulen müssen ihren Betrieb weitgehend selbst organisieren – nach ihren Möglichkeiten, die in der Praxis begrenzt sind. „Die Klassenverbände / Lerngruppen sollten sich, soweit dies organisatorisch möglich ist, nicht untereinander vermischen, sondern als feste Gruppen im Lehrbetrieb zusammenbleiben. Auch außerhalb der Schule sollten keine Kohorten-übergreifenden Kontakte stattfinden“, so heißt es beispielsweise im Berliner Hygieneplan für die Schulen. Klare Vorgabe? Fehlanzeige.
Esken plädiert für Projektunterricht in Blöcken – ohne Lehrerwechsel
Dabei, so Esken, gäbe es „viele Möglichkeiten, ohne besonderen Personalaufwand, ohne Container als Ersatzklassenzimmer den Unterricht so zu organisieren, dass sich die Schüler nicht in Bussen, Bahnen oder auf dem Schulhof dicht drängen müssen“.
Esken schlägt vor: „Schulleitungen müssen radikal neu denken“ – und etwa Projektunterricht in Blöcken anbieten, sodass Lehrer nicht ständig zwischen Klassen und Kursen wechseln müssten. „Fachlehrer können so zu Superspreadern werden“, sagt die SPD-Vorsitzende. Sie betont: „Wenn die Schulen es nicht schaffen, binnen kürzester Zeit die Gruppen viel konsequenter zu trennen, werden wir viele Unterrichtsausfälle erleben. Wir sollten den Anspruch an die traditionelle ‚Stoffvermittlung‘ in diesem Schuljahr etwas herunterschrauben und mehr Kraft darauf verwenden, dass regelmäßig Unterricht stattfindet. Bei geschlossenen Schulen ist jeder Lehrplan überholt.“
Berlins Bürgermeister stellt Schichtbetrieb der Schulen in Aussicht
Eine erste Reaktion auf Eskens Vorstoß gibt es bereits. «Wir werden wahrscheinlich auch da um Verständnis bitten müssen für unkonventionelle Wege», sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller. Der SPD-Politiker nannte neben Belüftungspausen in den Klassen die Möglichkeit, «dass wir vielleicht eine Art Schichtbetrieb in der Schule haben werden vormittags und nachmittags». Das verringere die Kontaktmöglichkeiten. «Ich vermute, so etwas wird in den Wintermonaten nötig sein.» (News4teachers berichtet aktuell über Müllers Ankündigung – hier geht es zum Beitrag.) News4teachers
Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.
Sicherer Unterricht für 100 Euro pro Schüler: Zu viel verlangt, Kultusminister?
