Ein Kommentar von News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek
DÜSSELDORF. Die Kultusminister haben sich in der Corona-Krise verrannt. Monatelang wurde behauptet, Schüler seien praktisch nicht ansteckend und deshalb sei Unterricht ohne Abstandsregel möglich. Der fehlende Mut, die Fehleinschätzung einzugestehen, scheint einen rationalen Umgang mit dem Infektionsgeschehen in Schulen unmöglich zu machen. Eine gefährliche Situation.
Die Behauptung, von Kindern gehe keine Ansteckungsgefahr aus, wird zwar öffentlich seit den Sommerferien von keinem Kultusminister mehr in den Mund genommen. Kein Wunder: Es gibt immer mehr wissenschaftliche Hinweise darauf, dass Kinder sehr wohl das Coronavirus weitertragen. Darüber hinaus zeigt das mittlerweile tägliche Geschehen in Deutschland, dass Ausbrüche in Schulen jederzeit möglich sind – mehr noch: Es steht zu fürchten, dass Schulen sogar zu Treibern der Pandemie werden, wenn immer mehr Infektionen von außen hereingetragen werden. Die AHA-Regeln, die das verhindern könnten, gelten ja bekanntlich in Klassenräumen nicht.
Die KMK macht keine Anstalten, sich zu korrigieren
Aber: Nach wie vor hat die Behauptung der Kultusminister Bestand. Der gesamte derzeitige Schulbetrieb in Deutschland baut darauf. Und die KMK macht keinerlei Anstalten, sich zu korrigieren. Im Gegenteil: Der Fall der Expertenanhörung zum Thema Lüften, deren Ergebnis für die Öffentlichkeit verfälscht in einer Pressemitteilung dargestellt wurde (News4teachers berichtete ausführlich darüber), lässt ahnen, wie weit die Politiker gehen werden, um das Eingeständnis eines großen Fehlers zu vermeiden.
Wohlgemerkt: Der große Fehler besteht nicht darin, die Schulen nach den Sommerferien weit geöffnet zu haben. Die niedrigen Infektionszahlen noch vor wenigen Wochen gaben eine solche Entscheidung durchaus her. Der große Fehler – besser: das große Versäumnis – liegt darin, keinen Plan B entwickelt zu haben. Fast alle Kultusminister haben in den Sommermonaten ihre Energie und die ihrer Ministerien darauf verschwendet, so schnell wie möglich wieder in einen angeblichen Normalbetrieb der Schulen zu kommen. Schulen wurden damit gegängelt, ständig neue Hygienevorgaben umzusetzen.
Dass Herbst und Winter kommen, wurde schlicht vergessen
Darüber wurde schlicht vergessen, dass die kalte Jahreszeit heraufzieht. Und dass dann Dauerlüften nicht mehr möglich sein wird. Vor den Sommerferien wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, Experten zu einer Anhörung einzuladen, sodass in den Ferienwochen Schritte zur Umsetzung möglich gewesen wären – nicht erst zum kalendarischen Herbstanfang. Dass zu einem so späten Termin nichts anderes herauskommen darf als eine Bestätigung der KMK-Vorgaben, versteht sich. Doof ist allerdings, dass sich Wissenschaftler dann doch nicht so leicht mundtot machen lassen.
Für die Kultusminister (und uns alle) liegt darin allerdings die vielleicht letzte Chance, jetzt doch noch schnell die Kurve zu kriegen. Der Weg, wie die Schulen einigermaßen heil durch den Winter kommen können, ist vorgezeichnet. Wissenschaftler zeigen in mittlerweile zwei umfassenden Studien auf: Läppische 100 Euro pro Schüler sind notwendig, um die Schulen mit den notwendigen Luftfiltern auszustatten und sicher zu machen. Zum Vergleich: Jede Familie hat in der Corona-Krise einen weitgehend sinnfreien “Bonus” von 300 Euro pro Kind erhalten; Kosten dafür: 4,3 Milliarden Euro.
Ist ein wirkungsvoller Schutz von Schülern und Lehrern zu teuer?
Selbst wenn in der Kürze der Zeit womöglich keine Vollversorgung mit Luftfiltern in der Fläche mehr zu erreichen ist – jede sichere Schule (und Kita!) ist besser als keine. Wenn die Kultusminister und ihre Regierungschefs allerdings weiterhin untätig bleiben, gehen die Infektionszahlen in Schulen künftig auf ihren Deckel: Ansteckungen zu vermeiden, war ihnen dann schlicht das bisschen Geld nicht wert.
Der Journalist und Sozialwissenschaftler Andrej Priboschek beschäftigt sich seit 25 Jahren professionell mit dem Thema Bildung. Er ist Gründer und Leiter der Agentur für Bildungsjournalismus – eine auf den Bildungsbereich spezialisierte Kommunikationsagentur, die für renommierte Verlage sowie in eigener Verantwortung Medien im Bereich Bildung produziert und für ausgewählte Kunden Content Marketing, PR und Öffentlichkeitsarbeit betreibt. Andrej Priboschek leitete sieben Jahre lang die Öffentlichkeitsarbeit des Schulministeriums von Nordrhein-Westfalen.
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