Wie Lehrer Jugendliche gegen Rassismus und Diskriminierung stark machen können

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DÜSSELDORF. Diskriminierendes Verhalten entsteht oft erst unbemerkt und aus einem Gefühl der Fremdheit heraus. Sich selbst nicht dazugehörig zu empfinden oder anderen das Dazugehören abzusprechen, führt zur Abschottung – genau das Gegenteil des sozialen Miteinanders, das eine Gesellschaft benötigt, um friedlich zu bestehen. Auch Schulen sind keine diskriminierungsfreien Räume. Doch sie sind neben dem Elternhaus der wichtigste Ort für die Prävention. Ein ausgezeichnetes Beispiel aus der Praxis zeigt, wie es Schule gelingen kann, das Fremde vertraut zu machen und positive Signale für eine demokratische Einwanderungsgesellschaft zu setzen.

Vielfalt kann verbinden – wenn sie positiv gelebt wird. Foto: Shutterstock

„Ich fass es nicht!“, ruft eine ältere Dame vor dem Wahllokal im Mönchengladbacher Stadtteil Rheydt empört. „Dass die überhaupt wählen dürfen!“ Es ist der Tag der Kommunalwahl und der Wahl des Integrationsrats der Stadt und mit „die“ ist eine kleine Gruppe kopftuchtragender Frauen gemeint, die sich in die Schlange der Wahlberechtigten eingereiht hat. „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ würde der Bielefelder Konflikt- und Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer das nennen, was die Dame hier Mitte September zur Schau stellt.

Heitmeyer prägte den Begriff Anfang der 2000er Jahre und fasst darunter feindselige Einstellungen zu Menschen, die als nicht gleichwertig angesehen werden, zusammen. So genannte „Symptome“ der Menschenfeindlichkeit können zum Beispiel Rassismus, Islamophobie oder Antisemitismus sein. Auch die Abwertung aufgrund sexuellen Andersseins, körperlicher Merkmale oder des sozialen Status gehören dazu.

Schule mit Courage

Rassismus sei aus der Gesellschaft gar nicht wegzudenken, sagt Dilay Tasgin. Knappe zwei Kilometer vom Rheydter Wahlbüro entfernt unterrichtet sie Politik und Wirtschaft am Berufskolleg Rheydt-Mülfort für Wirtschaft und Verwaltung. „Die Klassen der Handelsschule und der Höheren Handelsschule für Wirtschaft und Verwaltung zum Beispiel spiegeln, sowohl was Leistung als auch Herkunft angeht, die Realität unserer heterogenen Gesellschaft wider“, so die Lehrerin, die hier seit sechs Jahren arbeitet. Zum Glück habe sie aber Rassismus oder Diskriminierung an ihrer Schule noch nie erlebt. „Ich habe das Gefühl, wir tun etwas dagegen“, so Tasgin. Gleichzeitig räumt sie ein: „Das ist natürlich nur die Lehrerperspektive. Bestimmt gibt es auch bei uns Schülerinnen und Schüler, die Diskriminierung erleben.“

Wie ambivalent das Thema ist, zeigt sich an der Schule jeden Tag. Als Mitglied im Netzwerk „Schule ohne Rassismus / Schule mit Courage“ sei das Kollegium besonders verpflichtet, achtsam mit dem Thema umzugehen und sich gegen Diskriminierung zu engagieren. „Das Klima ist hier sehr offen und friedlich. Aber auf dem Schulhof kann man Grüppchenbildung beobachten. Und diese Gruppen haben nicht viel miteinander zu tun“, sagt die Lehrerin. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Annette Banerjee machte sie vor zwei Jahren außerdem die Beobachtung, dass die Schüler der Internationalen Förderklassen am Berufskolleg so gut wie keinen Kontakt zu den Schülern der Regelklassen hatten. „Eine Internationale Förderklasse und eine Klasse der Höheren Handelsschule lagen direkt nebeneinander, haben aber überhaupt nicht miteinander gesprochen. Wir haben überlegt, wie man das ändern kann“, erzählt Tasgin. „Die Schülerinnen und Schüler der Internationalen Klassen sind ja relativ neu in Deutschland. Sie müssen erst Sitten und Normen lernen, die in der Schule und in der Freizeit hier gelten. Da gab es schon Berührungsängste. Und natürlich auch Sprachbarrieren“, beschreibt sie die Situation.

Aus der Intention, die Schülerinnen und Schüler einander näher zu bringen und Ängste und Vorurteile gegenüber den zugewanderten Jugendlichen abzubauen, entstand 2018 das auf ein Schuljahr angelegte Projekt „Fremdheit überwinden – Brücken bauen“. Mithilfe von Fragebögen zur Selbstreflexion und Partnerinterviews haben die Schülerinnen und Schüler sich zu Beginn des Vorhabens mit dem eigenen Erleben von Fremdheit, ihrer Herkunft und Migrationsgeschichte auseinandergesetzt. Einige Jugendliche hätten Neues über sich erfahren, sagt Tasgin. Die Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit sei außerdem für die Selbstfindung essenziell und auch notwendig, um andere besser verstehen zu können.

Unterschiedlichkeit ist die Norm

Für Professor Albert Scherr, Leiter des Instituts für Soziologie an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, ist die Auseinandersetzung mit Unterschiedlichkeit sogar eine zentrale Bildungschance. In einem Interview zum Thema Vielfalt und Bildung in der Einwanderungsgesellschaft, das im Rahmen der kostenfreien Online-Weiterbildung „Citizenship Education – Demokratiebildung an Schulen“ zu sehen ist, sagt der Soziologe: „In der Anerkennung der Normalität unterschiedlicher Erfahrungshintergründe und Herkünfte liegt die Chance. Jugendliche, die als Schüler in sehr multikulturellen oder heterogenen Zusammenhängen leben, machen sehr schnell die Beobachtung, dass die Unterschiede an Bedeutung verlieren.“ Unterschiede zum Beispiel durch Herkunft oder Religionszugehörigkeit würden immer erst dann zum Problem, wenn sie auf eine kompakte, dominante Mehrheit träfen, in der schon kleine Abweichungen als Irritation wahrgenommen würden. „Das heißt, je mehr Pluralität erfahrbar ist, desto eher lernt man, dass Unterschiedlichkeit eben normal und unproblematisch ist.“

 

Brücken bauen, Mauern einreißen

Dilay Tasgin und ihre Kolleginnen haben mit ihrem Projekt für eben diese Erfahrbarkeit von Vielfalt gesorgt. Die Schülerinnen und Schüler bauten in der zweiten Projektphase gemeinsam mit dem engagierten Hausmeister Mauern, die bei einem Festakt symbolisch eingerissen wurden, und eine Holzbrücke, die auf dem Schulhof begehbar bleibt. Ein Song wurde getextet, aufgenommen und an den Wänden des Gebäudes verewigt. Doch es ist noch mehr daraus hervorgegangen: Die offene Auseinandersetzung mit dem Thema Diskriminierung und die gemeinsame, klassenübergreifende Arbeit an den eigenen Ideen, habe gegenseitige Wertschätzung entstehen lassen. Aus dem „Sich-Ausgeschlossen-Fühlen“ seien Freundschaften innerhalb der gesamten Schulgemeinschaft geworden. Und auch die Außenwahrnehmung war stark: Die Schule erhielt Anfang 2020 nicht nur den Integrationspreis der Stadt Mönchengladbach sondern belegte auch den ersten Platz beim Bundeswettbewerb „fair@school – Schulen gegen Diskriminierung“, den die Antidiskriminierungsstelle des Bundes seit 2017 gemeinsam mit dem Cornelsen Verlag ausschreibt.

Projektarbeit hat Vorteile

„Das Projekt hat positive Spuren hinterlassen,“ sagt Dilay Tasgin. Ob Projekte wie dieses langfristig dazu beitragen, diskriminierenden Haltungen vorzubeugen? „Mit einem Projekt ist es nicht getan“, meint die Politiklehrerin. „Projekte liefern lediglich Anregungen und sind Plattformen, um bestimmte Themen zu bearbeiten. Sie können unterstützen, bilden aber nicht den Rahmen. Wir brauchen flächendeckende Aufklärung im Unterricht. Da muss man ganz viel investieren.“ Dennoch bietet Projektarbeit große Vorteile betont Tasgin: „Projekte gestalten das Schulleben aktiv. Das gilt auch in Corona-Zeiten. Mit etwas Kreativität lassen sie sich sogar beim Distanzlernen mediengestützt umsetzen. Und wenn man erst einmal ein Projekt entwickelt hat, kann man es ganz leicht für neue Themen abwandeln. Der Aufwand lohnt sich also langfristig. Nicht zuletzt können Projekte auch eine enorme Außenwirkung und Impulse für die gesamte Schulgemeinschaft freisetzen.“

Agentur für Bildungsjournalismus

Infos zum Wettbewerb „fair@school“: www.fair-at-school.de (Anmeldung bis zum 15. März 2021)

Demokratiebildung: Kostenloser Online-Kurs für Lehrer
„Schule ist ein zentraler Ort, an dem junge Menschen Demokratie und Engagement lernen, erfahren und gestalten können.“ Foto: Shutterstock

Die Demokratiebildung in der Schule hat im Zuge der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen an Bedeutung gewonnen. Schülerinnen und Schüler sollen lernen, sich als Part der Gesellschaft zu begreifen, der diese aktiv verändern kann. Doch wie können Lehrkräfte dies erreichen? Unterstützung bietet der kostenlose Online-Kurs „Citizenship Education – Demokratiebildung in Schulen“, den die Bertelsmann Stiftung zusammen mit dem Institut für Didaktik der Demokratie an der Leibniz Universität Hannover entwickelt hat.

Hier ist ein Trailer zum MOOC zu sehen.
Hier geht es direkt zum MOOC.

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