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Schul-Chaos – Kultusminister Tonne: «Wir können es leider nicht ändern»

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HANNOVER. Es ist der nächste Kurswechsel an den Schulen: Niedersachsen gibt seinen Sonderweg auf und überlässt die Entscheidung, ob Grundschüler und Abschlussklassen in den Präsenzunterricht gehen, den Eltern. Der Kultusminister wirbt für Verständnis für das Hin und Her.

“Wir ermöglichen den Eltern jetzt, das selbst zu entscheiden”: Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne. Foto: Foto-AG Melle, derivative work Lämpel – Own work / WIkimedia Commons / CC BY 3.0

Das Hickhack an Niedersachsens Schulen zieht sich mittlerweile über Monate: Mal sollen die Schüler vor Ort unterrichtet werden, dann im Wechsel mit geteilten Klassen, dann doch wieder komplett aus der Distanz. Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) erklärt im Interview, wie es zu den Entscheidungen kommt und wie es weitergehen soll.

Die Schulen sind von kommender Woche an wieder weitestgehend leer – das wollten Sie eigentlich verhindern. Haben Sie zu lange am verpflichtenden Präsenzunterricht festgehalten?

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Tonne: Ganz klar: nein. Es ist richtig, dass wir nächste Woche mehr als 75 Prozent der Schüler zu Hause haben werden. Das ist ein erheblicher Beitrag, den die Kinder und Jugendlichen zur Kontaktreduzierung leisten. Diese Einschnitte sind aber Teil einer gesellschaftlichen Herausforderung und keine Reaktion auf Probleme im Bildungsbereich. Wir dürfen nicht die Hauptlast der Pandemie auf die Schultern von Kindern und Jugendlichen legen.

“Meine Aussage hat Bestand: Schulen sind keine Treiber der Pandemie”

Bleiben Sie bei Ihrer Aussage, dass die Schulen keine Infektionstreiber seien? Im Bund-Länder-Beschluss heißt es, es gebe ernstzunehmende Hinweise, dass die Virusmutation sich stärker unter Kindern und Jugendlichen ausbreite als die bekannte Variante.

Tonne: Wir gucken sehr genau, was in den Schulen passiert. Das passiert quasi täglich, zusammen mit Gesundheitsexperten. Meine Aussage hat Bestand: Schulen sind keine Treiber der Pandemie. Natürlich sind sie nicht losgelöst vom Infektionsgeschehen. Aber wir haben keine Belege dafür, dass Schulen Pandemiebeschleuniger sind, übrigens auch Kitas nicht.

Ob Mutationen zu anderen Abläufen führen, können wir im Moment noch nicht abschließend sagen. Deswegen gelten an den Schulen und Kitas erhöhte Sicherheitsmaßnahmen. Wir sind ja weit weg davon, dass die Klassen, die zur Schule gehen, unter normalen Umständen unterrichtet werden. Es geht nichts ohne Abstand, es geht nichts ohne Maske, wenn man aufsteht.

“Sollen die Kinder jetzt zu Hause bleiben oder in die Schule gehen?”

In der Bund-Länder-Runde wurde stundenlang um die Schulen gerungen. Niedersachsen hat eingelenkt und die Präsenzpflicht für Grundschüler und Abschlussklassen aufgehoben. Was bedeutet das: Sollen die Kinder jetzt zu Hause bleiben oder in die Schule gehen?

Tonne: Wir ermöglichen den Eltern jetzt, das selbst zu entscheiden. Im Grundsatz befürworte ich den Grundschulbesuch. Als Kultusminister sehe ich die Notwendigkeit, dass wir den Kindern Bildung, Teilhabe und Betreuung bieten müssen. Das ist keine Petitesse, sondern das Anliegen, den Kindern das Bestmögliche für ihr weiteres Leben mitzugeben.

Diese Krise zeigt auch wie keine andere zuvor, welche Bedeutung das gemeinsame Lernen in der Schule hat. Die Perspektive muss deshalb sein, dass wir bei sinkenden Infektionszahlen wieder mehr Schüler in die Schulen zurückholen. Die Frage, was muten wir den Kindern und Jugendlichen eigentlich zu, ist mir in der Debatte der letzten Wochen zu kurz gekommen.

Sind die Schulen genügend mit Luftfiltern und Trennwänden ausgerüstet, um Mitte Februar wieder mehr Präsenzunterricht zu ermöglichen?

Tonne: Die Ausstattung wird Mitte Februar eine andere sein als heute. Das Land hat 20 Millionen Euro auf den Weg gebracht, um die Sachausstattung der Schulen zu unterstützen. Wir müssen aber auch schauen, welche Maßnahmen sinnvoll sind. Wir haben uns zum Beispiel das Thema Trennwände angeschaut: Die müssten eine Mindesthöhe von 1,80 Meter haben und fest verankert sein. Da müssen wir uns fragen, ob es das ist, wie wir uns Unterricht in der Schule vorstellen.

“Dieses Geruckel hat es ja nicht nur in Niedersachsen gegeben. Wenn die Aufrufe in die Höhe schnellen, ist das manchmal so”

Das Distanzlernen ist nach den Ferien holprig wieder angelaufen, vor allem Serverprobleme störten. Wäre das nach den Erfahrungen aus dem Frühjahr nicht vermeidbar gewesen?

Tonne: Dieses Geruckel hat es ja nicht nur in Niedersachsen gegeben. Wenn die Aufrufe in die Höhe schnellen, ist das manchmal so. Ich bin sehr froh, dass der Betreiber, der die Probleme hatte, das in den meisten Fällen beheben konnte. Die Bildungscloud des Landes war übrigens weitestgehend störungsfrei. Ich glaube, der Distanzunterricht läuft heute deutlich besser als im Frühjahr.

Das ständige Hin und Her geht den Schulen zunehmend auf die Nerven, ein geordneter Unterricht sei im Moment gar nicht mehr möglich, heißt es. Haben Sie Verständnis dafür oder sind die Lehrer und Schüler einfach nicht flexibel genug?

Tonne: Ich kann völlig verstehen, dass sie total genervt sind. Ich glaube, Lehrkräfte, Schüler und Eltern legen auch ein großes Maß an Flexibilität an den Tag. Wir können es nur leider nicht ändern. Wir arbeiten daran, so viel Verlässlichkeit und Planbarkeit wie möglich für das zweite Halbjahr zu schaffen. Aber wir müssen auf die Dynamik der Pandemie reagieren. Interview: Michael Evers und Christopher Weckwerth, dpa

ZUR PERSON: Grant Hendrik Tonne (44) kommt gebürtig aus Bad Oeynhausen in NRW und hat in Petershagen an der Grenze zu Niedersachsen sein Abitur gemacht. Seit 2017 ist der Rechtsanwalt und Vater von vier Kindern niedersächsischer Kultusminister.

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