ERFURT. Der Thüringer Lehrerverband (tlv) hält Selbsttests in der Klasse für unzumutbar – (auch) für Schüler. Ihm seien inzwischen mehrere Fälle aus Grundschulen bekannt, wo betroffene Kinder nach einem positiven Schnelltest im Klassenraum völlig aufgelöst gewesen seien. Die professionelle Vorbereitung und Unterstützung seitens der Pädagogen und auch das tröstende Zureden der Klassenkameraden hätten dabei wenig bewirkt, so berichtet tlv-Chef Rolf Busch. Er teilt ausdrücklich die Bedenken an dem Verfahren, die der Thüringer Datenschutzbeauftragte Lutz Hasse in dieser Woche öffentlich gemacht hatte.
In Thüringen wie in den meisten anderen Bundesländer werden die – mit Inkrafttreten des neuen Infektionsschutzgesetz bundesweit verpflichtenden – Selbsttests von Schülern in den Klassenräumen gemeinschaftlich durchgeführt. Damit ist es kaum möglich, zu verhindern, dass die anderen Schüler es mitbekommen, wenn ein Kind positiv auf das Virus getestet wurde. „Wir teilen die Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes bei der Durchführung der Schnelltests im Klassenzimmer“, erklärte Busch. „Abgesehen davon, dass gesundheitsbezogene Daten auch rechtlich als besonders schützenswert gelten, zeigen die Erfahrungen der letzten Tage, dass ein positives Ergebnis durchaus etwas mit einer Kinderseele macht. Durch den Verzicht auf ein Testen in Gemeinschaft wären viele Kindertränen vermeidbar.“
Busch wies darauf hin, dass mehrere Fälle bekannt geworden seien, bei denen betroffene Kinder nach einem positiven Schnelltest im Klassenraum völlig aufgelöst gewesen seien. «Die Angst vor der Epidemie und das Gefühl, bei einem positiven Testergebnis etwas falsch gemacht zu haben, sitzen offenbar sehr tief», erklärte Busch. Extrem belastend sei zudem die Zeit, in der die Betroffenen darauf warten müssten, von einer betreuungsberechtigten Person abgeholt zu werden.
Busch forderte, die Tests nicht mehr im Klassenzimmer, sondern vor dem Betreten der Schule durchzuführen. In Niedersachsen beispielsweise führen Eltern die Schnelltests mit ihren Kindern zu Hause durch. In anderen Bundesländern übernehmen zunehmend Hilfsorganisationen wie die Johanniter oder die Malteser die Test-Aktionen an Schulen – auf Schulhöfen.
„Zum Testen werden die Masken abgenommen. Nicht überall kann dabei permanent richtig gelüftet werden”
Die Frage nach dem Schutz der Betroffenen sei Bestandteil einer Liste mit 20 Punkten, die der tlv dem Bildungsministerium am 13. April übermittelt habe – dessen Antworten jedoch noch ausstünden, erklärt der tlv-Landesvorsitzende.
Zu den datenschutzrechtlichen Bedenken komme außerdem, dass nach einem positiven Test auch wichtige Sicherheitsfragen im Raum stünden. „Zum Testen werden die Masken abgenommen. Nicht überall kann dabei permanent richtig gelüftet werden. Das Testmaterial ist dann kontaminiert – wer soll es wie entsorgen? Schutzausrüstungen für die Lehrer gibt es keine.“ Busch: „Das Ministerium muss hier dringend nacharbeiten: die Lösungen mit den Praktikern abstimmen, den Datenschutz gewährleisten und dabei dafür sorgen, dass dies alles nicht zu noch mehr Unterrichtsausfall führt.“
Hintergrund: Thüringens Datenschutzbeauftragter Lutz Hasse pocht auf das Einhalten von Datenschutzregeln bei Corona-Tests an Schulen, wie News4teachers bereits berichtete. Er hat in nunmehr zwei Schreiben die Schulleitungen aufgefordert, die Corona-Tests datenschutzkonform zu machen, also ausdrücklich Einwilligungen der Eltern einzuholen.
In Thüringen wie in den meisten anderen Bundesländern gilt eine Widerspruchslösung bei den Tests – Eltern, die das Testen ihres Kindes ablehnen, müssen selbst aktiv werden. Entsprechend dieser Regelung will das Bildungsministerium keine Datenschutz-Einwilligungen der Eltern einholen lassen. Den Schulen teilte das Ressort nach Hasses Vorstoß mit, dass es bei dem vom Ministerium kommunizierten Vorgehen bleiben solle. Datenschutz sei ein hohes Gut, so hieß es, müsse aber gerade in Zeiten der Pandemie mit anderen Rechtsgütern wie dem Gesundheitsschutz oder auch dem Recht auf Bildung abgewogen werden.
«Das Abwägen von zwei Grundrechten kann nicht so enden, dass eines der beiden Grundrechte wegfällt»
Hasse widerspricht – und pocht auf seine Kompetenz als Datenschutzbeauftragter. Der sei die oberste Datenschutzbehörde und dies gelte auch in Bezug auf das Bildungsministerium «und erst recht für die Schulen», betonte Hasse. Zugleich habe er den Schulen Hilfe angeboten und die entsprechenden Formulare zur Verfügung gestellt. Etliche Eltern hätten sich wegen Datenschutzfragen bei der Durchführung der Corona-Tests an Schulen an ihn gewandt. Hasse: «Das Abwägen von zwei Grundrechten kann nicht so enden, dass eines der beiden Grundrechte wegfällt.» News4teachers / mit Material der dpa
„Psychische Belastung“: Klagewelle gegen Testpflicht an Schulen überrollt Gerichte
