DÜSSELDORF. Klagen über zu schwierige Mathe-Aufgaben in den diesjährigen Abiturprüfungen in NRW sind von Schulministerin Yvonne Gebauer zurückgewiesen worden. Die Aufgaben seien «angemessen und lehrplankonform» gewesen, «lösbar» und nicht fehlerhaft, sagte die FDP-Politikerin am Mittwoch im Schulausschuss des Düsseldorfer Landtags. Ob die Prüfungen schlechter ausgefallen sind als in den Vorjahren, weiß die Ministerin allerdings nicht. In Mecklenburg-Vorpommern hatte dieser Befund zu einer Anhebung der Noten geführt.
«Das zentrale Abitur in NRW umfasst 39 Fächer», sagte Gebauer, nur in Mathematik habe es kritische Rückmeldungen gegeben – und auch das nur in einem «sehr überschaubaren Rahmen». Sie sehe keinen Handlungsbedarf, habe prüfungsrechtlich auch keine Handlungsmöglichkeit. Die von einer Kommission aus Fachlehrern gestellten Mathe-Aufgaben seien von der Bezirksregierungen und von Uniprofessoren geprüft worden, Lehrer der Gymnasien und Gesamtschulen hätten sie einem Praxistest unter realen Prüfungsbedingungen unterzogen.
In zwei Internet-Petitionen gegen die Abi-Klausuren in Mathe hatten Schüler moniert, die Aufgaben seien «unverschämt schwer» gewesen. Sie hatten eine angepasste Bewertung oder neue Klausuren gefordert. Nach Angaben der Grünen kommen die Petitionen auf rund 15.000 Unterschriften.
Anders als NRW hat Mecklenburg-Vorpommern die Noten fürs Mathematik-Abitur um zwei Punkte angehoben
Gebauer zufolge ist aber davon auszugehen, dass es sich nicht bei allen Unterzeichnern um aktuelle Abiturienten handelt. Das Ministerium habe auch mehrfach mit Blick auf die Erschwernisse der Pandemie darauf hingewiesen, dass bei der Benotung einen Beurteilungsspielraum bestehe. Sie sei sicher, dass Lehrer diesen auch genutzt hätten.
Anders als Nordrhein-Westfalen hat Mecklenburg-Vorpommern – weil das Mathematik-Abitur in diesem Jahr dort viel zu schlecht ausgefallen ist – alle Noten in diesem Fach um zwei Notenpunkte angehoben. Dies gelte für die Grund- und die Leistungskurse, wie das Bildungsministerium in Schwerin mitteilte. Im Durchschnitt lagen die Notenpunkte in diesem Jahr im Schnitt bei 4,1 im Grundkurs und bei 5,6 im Leistungskurs, im vergangenen Jahr bei 5,7 beziehungsweise 8,4.
Für dieses außergewöhnlich niedrige Niveau hätten mehrere Rahmenbedingungen zusammengewirkt, erklärte das Bildungsministerium in Schwerin. So habe in diesem Jahr der erste Jahrgang der neuen Oberstufe das Abitur nach neuen Vorgaben abgelegt. Die Aufgaben seien erstmals in Grund- und Leistungskurs-Klausuren aufgeteilt worden. Gleichzeitig sei ein qualitativ neuer Aufgabentypus Grundlage für das Abitur gewesen, der stärker auf Kompetenzen als auf Anwendung von erlerntem Formelwissen beruhe. Die Schüler sollten durch das Zusammenwirken dieser Umstände keine Nachteile erfahren, hieß es. Mit der Anhebung um zwei Punkte solle der Punktedurchschnitt rechnerisch an die Ergebnisse der vergangenen Jahre angeglichen werden.
Wie die “Rheinische Post” berichtet, erhebt die Kultusministerkonfernz keine Einwände gegen das Vorgehen Mecklenburg-Vorpommerns. Die Bundesländer hätten “bei der Benotung Spielraum”, so hieß es.
Warum ausgerechnet im Corona-Jahr an den Aufgabenformaten herumgedoktert werden musste, erklärte das Mininsterium nicht
Das NRW-Schulministerium hatte “Veränderungen” bei den Abiturprüfungen gegenüber den Vorjahren eingeräumt – die Klausuren seien länger geworden. „Durch die Veränderung der Klausurzeiten und der damit einhergegangenen Veränderung der Aufgabenformate in Form von Textlängen oder Veränderungen in der Struktur der Aufgaben kann bei Abiturientinnen und Abiturienten das Gefühl entstanden sein, dass die Aufgaben im Vergleich zu den Abituraufgaben der vorangegangenen Jahre einen höheren Schwierigkeitsgrad aufweisen.“ Tatsächlich schwerer seien die Aufgaben aber nicht gewesen. Warum ausgerechnet im Corona-Jahr 2021 an den Aufgabenformaten herumgedoktert werden musste, erklärte das Mininsterium allerdings nicht.
Zur Dringlichen Frage der SPD zu möglichen Abweichungen bei den Abiturnoten im Vergleich zu den Vornoten sagte Gebauer nun, es deute nichts darauf hin, dass die Durchschnittsnote in Mathematik – rund 45.000 Abiturienten hatten Mathe im Grund- oder Leistungskurs – diesmal deutlich unter dem Notenschnitt der letzten Jahre liegen wird (wie eben in Mecklenburg-Vorpommern). Die Ergebnisse in Nordrhein-Westfalen seien aber auch noch gar nicht bekannt. News4teachers / mit Material der dpa
Im Leserforum von News4teachers hat sich zu den Prüfungsaufgaben eine rege Diskussion entfaltet, die das Problem anschaulich macht. Ein Schüler schreibt:
“Ich als betroffender Schüler kann ihnen so viel sagen, dass ich bis zum jetzigen Zeitpunkt jede Klausur ohne Probleme im 1er Bereich bearbeitet habe und zur Übung die vorherigen Klausuren in rund 2h vollkommen Fehlerfrei schaffen konnte. Die Abiturprüfung in diesem Jahr hatte allerdings ein vollkommen anderes Niveau und man kann uns dabei nicht vorwerfen, dass wir mehr Zeit hatten, wenn die anderen Klausuren aufgrund deutlich geringer Komplexität und Quantität in rund zwei Stunden und die jetzigen in knapp 4 Stunden bearbeitet werden konnten. Zudem war der Sachzusammenhang, besonders in der Analytischen Geometrie komplett verwirrend und hatte keinerlei Berührungspunkte zum Unterrichtsgeschehen.”
Eine Lehrkraft erklärt dazu:
“Als betroffene Lehrkraft eines Grundkurses in NRW kann ich folgendes mitteilen:
– Die Aufgabentexte waren in diesem Jahr wie immer umfangreich, aber deutlich anspruchsvoller formuliert als in den letzten Jahren. Die erste Hürde war also die Lesekompetenz.
– Es wurde im Vergleich zu den vergangenen Jahren sehr stark in die Breite geprüft. So wurde deutlich detaillierter in Bezug auf alle vorgegeben Kompetenzen geprüft und dabei der Bereich der Qualifikations- und der Einführungsphase betrachtet. Besonders der Umgang mit Gleichungen und Variablen in komplexen Situationen war gefordert – deutlich mehr als in den letzten Jahren.
– Die einzelnen Aufgabenteile waren sehr komprimiert und verlangten diverse Zwischenschritte (ohne Kontrollösungen).
– Die Bepunktung war diesbezüglich sehr gering. Nicht selten waren für 6 bis 8 Zwischenschritte nur 3 bis 5 Punkte zu vergeben – halbe Punkte gibt es nicht.
– Die teilweise fehlenden Zwischenergebnisse machten es nicht möglich bei kleinen Fehlern einen Aufgabenteil oder den darauffolgenden Aufgabenteil zu lösen.
– Die Kontextualisierung der Aufgaben war besonders im Bereich der linearen Algebra unverständlich, nicht anschaulich und und wirkte stümperhaft übergestülpt.
– Die sonst immer empfohlene Vorbereitung über die Aufgaben der letzten Jahre und der Beispielaufgaben des Ministeriums war sinnlos, da die diesjährige Prüfung fast grundlegend anders aufgebaut war – auch im Hinblick auf die Aufteilung nach den Anforderungsbereichen.
-> Während ich also in den vergangenen Jahren die Petitionen gegen die Aufgabenschwierigkeit belächelt habe, stimme ich in diesem Jahr der Kritik zu.”
