Mord an fünf Kindern: Stand Missbrauch am Anfang? Ex-Lehrerin sagt aus

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WUPPERTAL. Im Prozess gegen die 28-jährige Christiane K., die im Verdacht steht, fünf ihrer sechs Kinder ermordet zu haben, tun sich Abgründe auf. Eine ehemalige Lehrerin der Angeklagten berichtete als Zeugin am Mittwoch dem Wuppertaler Landgericht, dass diese zunächst eine gute, unauffällige Schülerin gewesen sei – bis dann in der 7. Klasse massive Probleme auftraten. Die Pädagogin vermutete Missbrauch und meldete das auch. Passiert ist trotzdem offenbar wenig, weil die Eltern sich entzogen. Schaut der Staat in solchen Fällen nicht genau genug hin?

Immer öfter landen Lehrer vor Gericht. Foto: Michael Grabscheit / pixelio.de
Der Prozess läuft. Foto: Michael Grabscheit / pixelio.de

In der 7. Klasse hätten die Probleme begonnen, so berichtete die Lehrerin vor dem Wuppertaler Landgericht. Ein Mann mit schwarzer Kapuze würde sie verfolgen, sie könne deswegen nicht kommen, habe Christiane K. behauptet. «Sie war Spitzenreiterin bei den Fehlstunden.» Sie habe auch häufiger hyperventiliert, mehrfach sei der Krankenwagen gerufen worden. Im Kunst-Unterricht habe sie nicht mit Tapetenkleister arbeiten können. Dies sei ein typisches Anzeichen für sexuellen Missbrauch. Ihr Vater habe die Gesprächsversuche der Schule boykottiert. «Wir haben später sexuellen Missbrauch vermutet», sagte die Lehrerin.

«Dann passierte, was so oft passiert: Telefonnummer gewechselt, Abmeldung von unserer Schule, Anmeldung an anderer Schule»

Sie habe ihren Verdacht dem Sozialpsychologischen Dienst mitgeteilt. Christiane K. sollte daraufhin mehrere Wochen in die Kinder- und Jugendpsychiatrie. «Die Eltern wollten das aber nicht, nahmen sie wieder mit. Dann passierte, was so oft passiert: Telefonnummer gewechselt, Abmeldung von unserer Schule, Anmeldung an anderer Schule», schilderte die Lehrerin. Später habe ihr ein Polizist gesagt, dass sie mit ihrer Vermutung recht gehabt habe und das Mädchen missbraucht worden sei.

Auf der Anklagebank des Wuppertaler Landgerichts muss sich die 28-jährige Mutter der Kinder wegen fünffachen heimtückischen Mordes verantworten. Die Frau hat die Tat bestritten. Ein Unbekannter sei in ihre Wohnung eingedrungen, habe sie gefesselt, geknebelt und dann ihre Kinder getötet. Die Ermittler hatten diese Version als Schutzbehauptung zurückgewiesen.

Der Deutschen droht lebenslange Haft. Die Leichen der Kinder waren am 3. September vergangenen Jahres entdeckt worden: Melina (1), Leonie (2), Sophie (3), Timo (6) und Luca (8). Laut Staatsanwalt hatte sie ihren Kindern «hohe Dosen» eines Gemischs aus drei Medikamenten verabreicht und bei ihnen so «gezielt einen Dämmerzustand herbeigeführt», um ihre Gegenwehr zu mindern. Nacheinander habe sie ihre Kinder dann ins Badezimmer gebracht und in der Badewanne erwürgt, erstickt oder ertränkt. Christiane K. warf sich nach der Tat im Düsseldorfer Hauptbahnhof vor einen Zug, überlebte aber. Ihr ältester Sohn blieb unverletzt. Ihn hatte die mutmaßliche Täterin zur Großmutter an den Niederrhein geschickt.

«Sexuelle Gewalt gegen Kinder hat pandemische Ausmaße, es ist eine Kinderschutzkatastrophe, was da passiert»

Christiane K. hatte sich zu Prozessbeginn einer Psychologin anvertraut. Die Gutachterin, Prof. Sabine Nowara, berichtete dem Landgericht aus den ausführlichen Gesprächen. Die 28-Jährige erzählte ihr dabei von einer schwierigen Kindheit, frühem Mutterglück und einer sehr schwierigen Ehe, aber auch von der Version, ein Unbekannter habe ihre Kinder getötet. Demnach sei die Angeklagte hauptsächlich bei ihren Großeltern aufgewachsen. Ihre leibliche Mutter sei nie eine Mutter für sie gewesen. Vor ihrem Vater sei sie immer geflüchtet, habe eine abgrundtiefe Abneigung gegen ihn. Als sie zwölf Jahre alt war, habe sie ein Bekannter ihres Onkels vergewaltigt. Sie habe zwei, drei Jahre später Anzeige erstattet. Die Tat habe aber nicht mehr verfolgt und bestraft werden können, weil sie das Datum des Tattags nicht habe nennen können. Sie sei danach in der Psychiatrie gewesen und habe sich einige Wochen lang geritzt.

„Sexuelle Gewalt gegen Kinder hat pandemische Ausmaße, es ist eine Kinderschutzkatastrophe, was da passiert“, sagt der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, gegenüber dem „Spiegel“. „Leider denken immer noch zu viele Menschen, das sei ein Thema für den sonntäglichen »Tatort« und in ihrem eigenen Umfeld finde das gar nicht statt. Dabei ist der Tatort häufig die Familie, und zwar unabhängig von sozialer Herkunft. Täter sind Väter, Großväter, Onkel, neue Partner, aber auch Mütter, Cousinen oder Freunde.“ Rörig schätzt, dass in jeder Schulklasse im Schnitt ein bis zwei betroffene Kinder oder Jugendliche sitzen.

Er erklärt: „Alle Lehrer brauchen Basiswissen über Missbrauch, damit sie Signale überhaupt wahrnehmen. Sexuelle Gewalt ist schwieriger zu erkennen als blaue Flecken. Das Thema gehört in die Schule, auch wenn Eltern gegen Präventionsworkshops Sturm laufen und Rechte propagieren, es gehe um Frühsexualisierung. Wir müssen den Kindern eine Sprache geben, um darüber reden zu können, was ihnen angetan wird.“ Ein Bundesland – Mecklenburg-Vorpommern – habe sein Schulgesetz geändert, um Schulen zu Schutzkonzepten zu verpflichten, in Nordrhein-Westfalen sei das geplant. „Zwei Bundesländer! Von 16! Wir müssen aber die Kinder an allen rund 32.000 Schulen, allen 54.000 Kitas und in den gut 88.000 Sportvereinen schützen“, so sagt Rörig. News4teachers

Missbrauch: Beauftragter will Schulen und Kitas gesetzlich zu Schutzkonzepten verpflichten

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