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Digitale Bildung nach Corona: Wie KI Lehrer im Unterricht unterstützen kann

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TÜBINGEN. Vielfach besteht in Deutschland die Hoffnung, dass der durch die Corona-Pandemie erzwungene Digitalisierungsschub im Bildungsbereich den Distanz- und Wechselunterricht überdauern und digitale Technologie in Zukunft auch selbstverständlich Teil des Präsenzunterrichts sein wird. Lehrer Florian Nuxoll beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit der Digitalisierung im Schulbereich und hat bereits mehrere Bücher zur digitalen Medienbildung verfasst. In seinem Gastbeitrag zeigt er auf, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit digitale Bildung langfristig funktioniert, – und welche Vorteile sie dann mit sich bringt.

Intelligente Tutorsysteme können während der Bearbeitung der Aufgaben den Lernenden unmittelbar Hilfestellungen geben. Foto: Shutterstock

Die Pandemie hat gezwungenermaßen Erfahrung mit digitalen Unterrichtsmethoden erbracht. Kaum jemand kann behaupten, Internet und Computersoftware seien überflüssig. Aber wie sieht es mit KI-Methoden aus? Unser Autor hat da eine klare Haltung

Das deutsche Bildungssystem hat die Digitalisierung in den letzten Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnten verschlafen. Die Folgen haben viele Schüler, Eltern und Lehrer während des Fernunterrichts seit März 2020 zu spüren bekommen. Fehlende Hard- und Software, fehlende praxistaugliche Vorgaben für den Datenschutz sowie fehlende Digitalkompetenz haben dazu geführt, dass der Fernunterricht, mit einigen Ausnahmen, nicht wirklich gut funktionierte. Dort, wo es funktionierte, war es engagierten Schulleitungen oder einzelnen Lehrkräften zu verdanken, nicht den Kultusministerien. Warum lief die Digitalisierung bislang so schleppend und was muss sich ändern, damit die Schule das Potenzial der Digitalisierung für das Lernen und Lehren nutzen kann und Schüler digitale Kompetenzen erwerben?

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Vergleich: früher und heute

Schon in den 1980er-Jahren wurde eine Bildungsrevolution durch den Einsatz von Computern in den Schulen vorhergesagt. Bislang hat diese Revolution aber nicht stattgefunden. Damals wurden zwar an weiterführenden Schulen erste Computerräume eingerichtet, diese wurden aber hauptsächlich von Schülern genutzt, die freiwillig das Fach Informatik belegten oder Mitglied der Computer-AG waren. Es kann also gut sein, dass Schüler, die vor 2005 ihren Abschluss gemacht haben, nie in einem Computerraum der Schule waren. Das ist heute anders.

Die Computerräume sind oft weit im Voraus ausgebucht und es gibt „mobile Computerräume“ in Form von Klassensätzen von Tablets oder Laptops. Will man aber diese als Lehrer nutzen, braucht man einerseits ein gewisses Organisationstalent – man muss die Geräte buchen, in die Klassenzimmer bekommen – und andererseits eine hohe Frustrationstoleranz, wenn die Geräte mal wieder nicht aufgeladen sind, Schüler ihr Passwort nicht mehr wissen oder das „Internet nicht funktioniert“.

Erforderliche Grundlagen der schulischen Digitalisierung

Zu viele negative Erfahrungen können dazu führen, dass Lehrer in Zukunft wieder analog unterrichten. Während des Fernunterrichts musste man auf Lernplattformen, Cloudspeicherplätze und Videokonferenzsysteme zurückgreifen, aber im Präsenzunterricht ist das nicht nötig. Damit die Schulen nicht wieder in einen digitalen Winterschlaf fallen und Schüler auf das Leben in einer digitalen Welt vorbereitet werden, muss jedem Politiker, jeder Schulleitung, jedem Lehrer und jedem Elternteil klar werden, dass folgende Ziele erreicht werden müssen:

Ziel 1: Schüler lernen, wie man Hard- und Software bedient.
Wenn man davon ausgeht, dass Digitalkompetenz eine Schlüsselkompetenz für Schülerinnen und Schüler ist, um selbstbestimmt in einer digitalen Gesellschaft zu agieren, ist es notwendig, dass diese Kompetenz auch in der Schule vermittelt wird. Es widerspräche dem Ziel der Bildungsgerechtigkeit, wenn nur die Kinder Digitalkompetenz erwerben, deren Eltern diese vermitteln. Daher muss der Einsatz von Hard- und Software selbstverständlich sein, sodass der Umgang damit und auch das selbstständige beheben kleinerer Probleme erlernt wird. Diese Forderung ist aber nur umsetzbar, wenn im Vorfeld das nächste Ziel erreicht wurde.

Ziel 2: Schulen erhalten Technik, die funktioniert und betreut wird.
Nur wenn in einer Schule ausreichend Hard- und Software sowie eine verlässliche und schnelle Internetverbindung vorhanden sind, kann digitale Bildung sinnhaft umgesetzt werden. Dabei ist es wichtig zu beachten, dass die Technik nicht nur angeschafft, sondern auch professionellen Support benötigt. Dies kann nicht von zwei oder drei Lehrkräften nebenbei erledigt werden. In Großbritannien gibt es zum Beispiel den Beruf des Bildungstechnikers, der in Vollzeit an einer Schule angestellt ist. Diese Lösung brauchen wir auch in Deutschland.

Ziel 3: Medienbildung ist ein zentrales Bildungsziel.
Kinder und Jugendliche wachsen in einer Welt auf, die von digitalen Technologien und Medien geprägt wird. Das bringt positive und negative Auswirkungen mit sich. Übermäßiger Medienkonsum, Cybermobbing, Zugang zu kinder- und jugendgefährdenden Inhalten sowie ein fehlendes Bewusstsein für den Unterschied zwischen öffentlichen und privaten Daten sind einige der Gefahren, die mit digitalen Technologien in Verbindung stehen. Einige Pädagoginnen, Pädagogen und Eltern fordern deshalb, dass wir unsere Kinder vor diesen Gefahren schützen, indem wir ihnen möglichst spät und möglichst wenig Zugang zu digitalen Endgeräten gewähren. In der Praxis ist diese Forderung jedoch nicht realisierbar. Daher ist es wichtig, dass die Schule über die Auswirkungen von Mediennutzung und die Wirkung von Medien allgemein aufklärt. Schülerinnen und Schüler sollten sich über ihr Medienverhalten austauschen und dabei ihr eigenes reflektieren. Auch eine kritische Betrachtung von YouTubern und anderen Social-Media-Stars sowie Fake News ist sinnvoll. Vielen Kindern und Jugendlichen ist nicht bewusst, wann es sich bei einem YouTube-Video um Werbung oder bezahltes Product-Placement handelt und wann es authentische Inhalte sind.

Medienbildung darf sich natürlich nicht nur mit den Gefahren der digitalen Welt beschäftigen. Ein zentraler Punkt muss sein, die Chancen der Digitalisierung zu behandeln und entsprechende Kompetenzen zu vermitteln, zum Beispiel wie man digital mit anderen kommuniziert und gemeinsam online arbeitet.

Binnendifferenzierung mit intelligenten Tutorsystemen

Unterricht muss nicht immer digital unterstützt stattfinden, es muss aber möglich sein, ohne Aufwand zwischen analogen und digitalen Unterrichtsphasen zu wechseln. Dafür müssen die Voraussetzungen jetzt sehr schnell geschaffen und Lehrkräfte fortgebildet werden. Es braucht verpflichtende Fortbildungsangebote für das Bedienen und Anwenden von Hard- und Software, aber auch Angebote, die zeigen, wie der Einsatz von Algorithmen und künstlicher Intelligenz den Unterricht grundlegend verändern kann. Was wäre dann möglich?

Ein gutes Beispiel für das Potenzial von Digitalisierung an Schulen zeigt sich bei der Binnendifferenzierung. Lehrkräfte versuchen mit großem Zeit- und Materialaufwand, den unterschiedlichen Wissens- und Kompetenzständen der Lernenden innerhalb einer Klasse gerecht zu werden. Diese zum Teil enormen Unterschiede findet man von der ersten Klasse der Grundschule bis zur Abschlussklasse am Gymnasium. Für den Englischunterricht in einer 7. Klasse bedeutet das zum Beispiel, dass einzelne Kinder bereits Serien auf Englisch schauen und komplexe Gespräche führen können, andere aber nicht mal einfache Sätze bilden können. Lehrkräfte sind sich dieser Unterschiede bewusst, haben aber in der Regel nicht die Ressourcen, individuell für jeden Schüler eigene Lernwege und passende Übungen zu erstellen. Man kann versuchen, diesen Leistungsunterschieden gerecht zu werden, indem Schüler lernen, ihren Lernstand selbst einzuschätzen und eigene Lernwege zu finden. Das funktioniert aber nicht bei allen Kindern gleich gut. Gerade schwächere Schüler haben damit Probleme.

In einem digital unterstützten Unterricht wäre es möglich, jedem Schüler gerecht zu werden. Algorithmen können zum Beispiel Schülerantworten analysieren und dann auswerten, was bereits beherrscht wird und wo es noch Lücken gibt. Digitale Tutorsysteme können unmittelbar während der Bearbeitung Hilfestellungen geben und im Anschluss weitere Übungsaufgaben anbieten, die den aktuellen Wissens- und Kompetenzstand berücksichtigen. So können Lehrkräfte Feedback zu Fortschritten von einzelnen Schülern beziehungsweise der Klasse insgesamt erhalten und mithilfe dieser Informationen den weiteren Unterricht planen. Während digitale Tutorsysteme die Übungsphasen teilweise übernehmen, haben Lehrkräfte nun die Möglichkeit, sich auf weitere Aspekte guten Unterrichts zu konzentrieren. Das beinhaltet unter anderem die Erstellung und Durchführung kognitiv herausfordernder Lernumgebungen und das Pflegen des Klassenklimas, sodass die Anzahl an Unterrichtsstörungen möglichst klein gehalten werden kann.

Es ist Aufgabe der Politik, dass das Potenzial der Digitalisierung schnellstmöglich in Deutschland genutzt wird. Natürlich müssen dafür Fragen des Datenschutzes, der ökologischen Nachhaltigkeit, der Finanzierung und weitere gelöst werden. Dies darf aber nicht dazu führen, dass nach Corona direkt wieder der digitale Winterschlaf einsetzt. Wir müssen aufwachen. Jetzt!


Dieser Beitrag ist zuerst in der Zeitschrift „schule“ (Ausgabe 2/2021) erschienen.

News4teachers Bildungs-Podcast: KI im Unterricht

Mehr Informationen zum Potenzial von KI – künstlicher Intelligenz – im Klassenzimmer bietet auch die aktuelle Folge des News4teachers-Podcasts „Die Doppelstunde“. Darin bespricht Florian Nuxoll mit Detmar Meurers, Professor für theoretische Computerlinguistik an der Eberhard Karls Universität Tübingen, wie bestehende Probleme des Bildungsbereichs mit technischer Hilfe angegangen werden könnten. Eine Möglichkeit: intelligente Tutorsysteme, die Lehrerinnen und Lehrern in der Unterrichtspraxis die Binnendifferenzierung erleichtern können.
Hier geht es zum News4teachers-Podcasts „Die Doppelstunde“, entwickelt in Zusammenarbeit mit Westermann.

Lehrer als IT-Administratoren: So vermurkst die Politik die Digitalisierung der Schulen

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