STUTTGART. Auch das Land Baden-Württemberg will im Herbst mit Luftfiltern gegen die Ausbreitung des Coronavirus an Schulen ankämpfen. «Neben den bestehenden Bausteinen wie regelmäßiges Testen, Masken, den eingeübten Hygiene- und Schutzmaßnahmen und gezieltem Impfen schlägt die Landesregierung den Kommunen als Schulträger heute ein Förderprogramm von 60 Millionen Euro vor», teile Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Montag mit. Damit wolle das Land die Kommunen bei der Anschaffung mobiler Lüftungsanlagen und CO2-Ampeln zur Hälfte unterstützen. Grob gerechnet zwei Drittel der Klassenräume im Land könnten so mit Luftfiltern ausgestattet werden.
Die Luftfilter sollen laut Kretschmann vorrangig in nicht belüftbaren Räumen zum Einsatz kommen sowie in den Klassenstufen 1 bis 6, da deren Schüler bislang noch keinerlei Impfangebot haben. Allerdings ersetzten Luftfilter das Lüften nicht, warnte Kretschmann (ohne sich um den logischen Widerspruch zu kümmern – wieso sollen dann Luftfilter „vorrangig in nicht belüftbaren Räumen“ zum Einsatz kommen?). Tatsächlich behauptet auch niemand, dass mobile Luftfilter das Lüften ersetzen. Wie auch? Sie haben keine Verbindung nach außen. Schon der steigende CO2-Gehalt in der Atemluft macht Lüften notwendig. Aber: Mobile Luftfilter holen möglicherweise Corona-belastete Aerosole aus der Atemluft, wodurch sich der Lüftungsbedarf in Klassen- und Gruppenräumen auf ein normales Maß reduziert. Im bevorstehenden Winter bei Minusgraden ist das im Bildungsbetrieb keine Kleinigkeit.
Auch das Impfen bleibe unerlässlich, meint der Ministerpräsident – wohlwissend, dass die Stiko es ablehnt, generelle Impfungen von Schülern zu empfehlen. Kretschmann: «Jede und jeder Geimpfte bringt uns voran und hilft solidarisch gegen eine vierte Welle.»
Söder (CSU) hat bereits das Ziel ausgerufen, dass es bis zum Herbst in allen Klassenzimmern und Kita-Gruppenräumen Luftreiniger gibt
An diesem Montagabend kommen Landesregierung und Kommunen zur Gemeinsamen Finanzkommission zusammen. Dabei soll es neben Corona-Hilfen für Städte und Gemeinden auch um die Luftfilter gehen. Die Kommunen sind für die meisten Schulen als Träger zuständig. Politiker und Experten sorgen sich, dass die besonders ansteckende Delta-Variante des Virus im Herbst dazu führen könnte, dass Schulen und Kitas wieder geschlossen werden müssen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat bereits das Ziel ausgerufen, dass es bis zum Herbst in allen Klassenzimmern und Kita-Gruppenräumen einen Luftreiniger gibt.
Kretschmann wird allerdings mit seinem Finanzierungsvorschlag von 50:50 auf Widerstand stoßen. Mobile Luftfilter an Schulen sind aus Sicht des Städtetags Baden-Württemberg nur in Ausnahmefällen als Schutz vor einer Corona-Infektion geeignet. «Mobile Anlagen sind weder wirksam noch wirtschaftlich. Momentan können wir uns das nur für Räume vorstellen, die anders nicht mit Frischluft zu versorgen sind – vorausgesetzt, Land und Bund finanzieren das ausreichend und unbürokratisch», sagte Gudrun Heute-Bluhm, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Städtetags am Montag in Stuttgart.
Eine stationäre Anlage sieht der Städtetag anders. Mit dauerhaft eingebauten Anlagen (die praktischerweise gerade vom Bund mit einem Programm zu 80 Prozent gefördert werden) könne die Luft verbessert werden, außerdem wirkten sie sich positiv auf die Energiebilanz aus und könnten auch während des Unterrichts arbeiten. Die Gesamtkosten schätzt der Städtetag auf 670 Millionen bis eine Milliarde Euro. Dabei gibt mehrere Probleme: Das Bundesprogramm hat für ganz Deutschland nur ein Volumen von 500 Millionen Euro. Und: Ein Einbau solcher Anlagen ist technisch aufwändig und zum kommenden Winter hin praktisch nicht zu machen.
Die Kontroverse, die sich über das Lüften entwickelt habe, gehe teilweise von der irrigen Annahme aus, mobile Lüftungsanlagen könnten die Pandemie bekämpfen, erklärte Heute-Bluhm. Das sei nicht richtig. Eine von der Stadt Stuttgart in Auftrag gegebene Untersuchung bestätige, dass klassisches Lüften am wirksamsten für den Luftaustausch sei. Richtig ist, dass die Stadt Stuttgart eine Studie hat durchführen lassen. Seltsamerweise sollen die Ergebnisse aber erst am 28. Juli vorgestellt werden. Trotzdem wird bereits behauptet, die Studie habe ergeben, dass häufiges Lüften die beste Strategie gegen Corona sei. Die Deutsche Physikalische Gesellschaft warnt hingegen ausdrücklich davor, bei der Belüftung von Klassenzimmern nur auf offene Fenster zu setzen.
«Es wird nur mit drei Schutzmaßnahmen gemeinsam gehen: Masken, Testen und Lüften»
Der Einsatz technischer Geräte zur Belüftung ist nach Ansicht der Fachgesellschaft jeder Art passiver Lüftung durch bloßes Öffnen von Fenster und Türen weit überlegen, da bei der technischen Belüftung der Luftaustausch beziehungsweise die Luftreinigung in kontrollierter Art und Weise geschieht. Bei der von den Kultusministern empfohlenen passiven Lüftung von Klassenräumen mit Außenluft über die Fenster sei dies in einem typischen Klassenzimmer dagegen nicht zu erreichen, da diese stark von Faktoren wie Wind, Temperatur, Fensteröffnungen oder der Lage der Heizkörper abhänge.
Trotzdem meint der Städtetag: «Es wird nur mit drei Schutzmaßnahmen gemeinsam gehen: Masken, Testen und Lüften.» Das hieße in der Praxis: Schüler und Lehrkräfte säßen im Winter wieder weitgehend ungeschützt vor Corona in unterkühlten Klassenräumen. Offene Fenster haben die Schulschließungen der vergangenen Monate bekanntlich nicht verhindert.
Der Philologenverband appelliert an Landesregierung und Kommunen, sich zu bewegen. „Infektionsschutz gibt es nicht zum Nulltarif, und eine der effektiven Maßnahmen gegen Ansteckungen ist die Luftreinigung mit geeigneten mobilen Geräten“, betont Landesvorsitzender Ralf Scholl. Eine ganze Reihe von Studien zeige mittlerweile, dass mobile Luftreiniger die Viren aus der Luft herausfiltern. Daher müsse die Landespolitik zügig Geld in die Hand nehmen, damit die Schulen die dringend benötigten Geräte bekommen. Neben dem Philologenverband setzten sich auch der Landesschulbeirat, der Landeselternbeirat, der Landesschülerbeirat sowie sämtliche Lehrerverbände für die Anschaffung von Luftfiltern für Klassenzimmer ein. News4teachers / mit Material der dpa
Baerbock setzt (auch) Kretschmann unter Druck: Luftfilter für jeden Klassenraum!
